Eine Impfung gegen Krebs, und zu wenige gehen hin: Die sexuell übertragbaren humanen Papillomaviren (HPV) sind Hauptauslöser von Gebärmutterhalskrebs sowie weiteren Krebsarten, seit 2006 gibt es Impfungen gegen die wichtigsten Virenstämme. Doch ein Großteil der Bevölkerung ist nicht geimpft. Die Immunisierung ist vor dem ersten Sex am sinnvollsten.

Die Impfraten bei jungen Menschen könnten demnach höher sein. Das österreichische Gesundheitsministerium schätzt, dass durchschnittlich etwa die Hälfte der Mädchen und Burschen unter 15 Jahren gegen HPV geimpft wird. Allerdings kommen statistisch gesehen gut 80 Prozent aller Menschen irgendwann mit den Viren in Kontakt. Jährlich gibt es hierzulande allein auf Gebärmutterhalskrebs bezogen bis zu 400 Neuerkrankungen und 180 Tote.

In Japan ist Impfskepsis kaum ausgeprägt, Grippeimpfungen etwa sind weitverbreitet. Ein Sonderfall ist die Impfung gegen das HP-Virus.

Eine besonders dramatische Entwicklung ist in Japan zu beobachten. Nach der Einführung stieg die Impfrate junger Mädchen auf 80 Prozent, bis es drei Jahre später zu einem massiven Einbruch kam. Heute sind nur noch 0,3 Prozent der Mädchen unter 15 geimpft. Dabei gilt der Wirkstoff als gut untersucht und sicher. Wie kam es zu diesem Wandel?

Vermeintliche Nebenwirkungen

Im Jahr 2013 wurden Videos publik, auf denen Mädchen ihre zitternden Gliedmaßen kaum unter Kontrolle brachten. Die Filme zeigten vermeintliche Nebenwirkungen von HPV-Impfungen und riefen in der Bevölkerung große Skepsis hervor. Die japanische Regierung leitete Untersuchungen ein. Man konnte jedoch keinen Zusammenhang zwischen Impfung und Symptomen nachweisen, denn Letztere kommen in gleichem Ausmaß auch in der nicht geimpften Bevölkerung vor. Dazu gehören etwa Müdigkeit, Gedächtnisprobleme, Schmerzen und Nervenstörungen.

Nichtsdestoweniger machte der Arzt und Forscher Shuichi Ikeda bei einem Fernsehauftritt nicht fundierte Forschungsergebnisse öffentlich: Im Rahmen eines Tierversuchs habe man Anzeichen für Hirnstörungen nachgewiesen. Angeblich wusste Ikeda zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es sich dabei um ein Experiment an einer einzigen Maus gehandelt habe, die nicht einmal selbst geimpft, sondern mit einem Serum genetisch veränderter, gegen die Viren immuner Mäuse präpariert wurde. Zeitungen verbreiteten die Fehlinformationen des Forschers über die Gefahr für Menschen.

Aussage wurde nie zurückgenommen

Zurückgenommen wurde die fatale Aussage nie. Stattdessen revidierte die Regierung ihre Empfehlung für die HPV-Impfung – sie ist für junge Mädchen noch immer gratis erhältlich, wird aber nicht aktiv empfohlen. Eine Gruppe "Impfopfer" verklagte den Staat und Produzenten des Impfstoffs wegen des angeblich entstandenen Schadens. Und auch die Medizinerin und Wissenschafterin Riko Muranaka wurde angegriffen.

Muranaka kritisierte den Medizinskandal im japanischen Magazin Wedge, insbesondere die bescheidene Grundlage für die Aussagen des Forschers Ikeda. Dieser ging wegen Rufschädigung vor Gericht: Muranaka hatte den Ausdruck der "Fälschung" verwendet. Das unveröffentlichte Forschungsergebnisexistiert ja tatsächlich, auch wenn es nur eine einzige Maus betrifft. Daher wurde ihm Entschädigung zugesprochen. In den kommenden Wochen zeigt sich, ob der Fall neu aufgerollt wird.

Daneben hatte die Medizinerin mit Anfeindungen von Impfgegnern und den Eltern betroffener Mädchen zu kämpfen. "Mein Arbeitsleben wurde schwierig", sagt Muranaka, die ihren Fall vor kurzem auf dem vom Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Uni Krems wissenschaftlich geleiteten Europäische Forum für Evidenzbasierte Prävention vorstellte. "Ich konnte meine Kolumnen in Medien nicht mehr schreiben und konnte nicht auftreten, um über andere Themen zu sprechen. Man befürchtete weitere Gerichtsverfahren."

Ikeda leitet mittlerweile ein Ambulatorium für die angeblichen Opfer der HPV-Impfungen. Deren Beschwerden traten im Durchschnitt mehr als 300 Tage nach der Impfung auf, in manchen Fällen sogar erst vier Jahre später. "Kinderärzte meinen, dass sie schon vor der Einführung der Impfung viele dieser Symptome bei Jugendlichen beobachtet haben", sagt Muranaka. Die Impfzeit fällt oft mit der Pubertät zusammen, die ohnehin eine Phase voller Umbrüche ist. Hinzu kommt der Druck, gute schulische Leistungen zu erbringen.

Körperliche Symptome

"Viele der Mädchen, die ich getroffen habe, sind sehr brav und ruhig. Eines spielt seit seinem dritten Lebensjahr Geige und gewann in der Volksschulzeit Wettbewerbe. Später konnte es nicht mehr mithalten. Diese Mädchen leben schon jahrelang mit den Erwartungen der Erwachsenen. Wenn sie diese nicht erfüllen können, zeigen sich körperliche Symptome." Diese Erklärung für derlei Symptome wollen viele Eltern nicht wahrhaben.

"Die negativen Auswirkungen von Ikedas Botschaft, dass der Impfstoff das Gehirn von Mäusen schädigt, sind enorm", sagt Muranaka. Diesen Schaden tragen vor allem diejenigen, die nicht von der Impfung profitieren und an Krebs erkranken. Aktuell sterben in Japan jährlich 3000 Personen an Gebärmutterhalskrebs. Aber auch weltweit haben Impfgegner durch dieses Beispiel Rückenwind erhalten. In Dänemark sank die jährliche Impfrate nach einem Medienbericht stark (laut WHO von mehr als 70 auf 16 Prozent). Mittlerweile haben sich die Werte wieder erholt. Zu Jahresbeginn erschienen auch dänische Studien, die unterstreichen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Impfung und Symptomen gibt.

Klärte über einen Skandal auf: Riko Muranaka.
Foto: Takuma Suda

"Der Unterschied zwischen Japan und anderen Ländern mit sinkender Impfrate ist der Umgang der Regierungen mit dem Problem", sagt Muranaka. Die dänische Gesundheitsbehörde initiierte nach dem Sinken der Rate eine Kampagne, um wieder mehr Menschen zum Impfen zu bewegen. Muranaka plädiert für einen ähnlichen Kurswechsel im japanischen Gesundheitsministerium. Prominente Unterstützung erhält sie von Tasuku Honjo, Medizin-Nobelpreisträger von 2018 und Krebsforscher. "Kurz nachdem er von seinem Nobelpreis erfuhr, forderte er den Gesundheitsminister auf, die HPV-Impfung sofort wiederaufzunehmen", sagt sie. Dieser Ansicht sind laut einer aktuellen Umfrage auch 83 Prozent der Gynäkologen im Land.

Muranaka zog 2018 nach Deutschland und arbeitet bei einem Hamburger Institut für Tropenmedizin. Weiterhin versucht sie, dazu beizutragen, dass sich ihre Geschichte nicht wiederholt und Falschinformationen rechtzeitig von mehr kritischen Fachleuten erkannt werden: Sie hält an der medizinischen Fakultät der Universität Kioto einen Kurs für Wissenschaftsjournalismus ab. (2.2.2020)