Der Neandertaler war in Europa und Asien recht umtriebig, was uns letztlich einige seiner Gene beschert hat. Seine wanderfreudigen Vorfahren haben sich auch in Afrika mit dem Homo sapiens gepaart.
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Es ist kein Wunder, dass vom Neandertaler seit jeher eine große Faszination ausgeht. Früher häufig als grobschlächtiger und tumber Höhlenmensch dargestellt, weiß man mittlerweile, dass unser nächster Verwandter der Gattung Homo dem Menschen in vieler Hinsicht verblüffend ähnlich war. Als unser gemeinsamer Vorfahre gilt der Homo erectus. Während aus diesem in Afrika der anatomisch moderne Mensch hervorging, entwickelten sich parallel dazu Auswanderer dieser Vormenschenspezies in Europa schließlich zum Neandertaler weiter. Die Menschenart breitete sich schließlich erfolgreich bis Westasien aus, benutzte bereits komplexe Werkzeuge und Hilfsmittel, beherrschte das Feuer und betätigte sich vermutlich auch kreativ.

Folgenreiche Seitensprünge

Als der Homo sapiens selbst vor rund 270.000 Jahren Afrika verließ, traf er in Europa und Vorderasien mehrfach auf seinen Cousin. Ob diese Begegnungen letztlich vor 30.000 Jahren auch zum Aussterben des Neandertalers geführt haben, ist nach wie vor umstritten. Klar ist dagegen, dass die beiden Homo-Arten nahe genug verwandt waren, um in einzelnen Fällen gemeinsame Nachkommen hervorzubringen. Das Erbe dieser Seitensprünge findet sich bis heute in unserem Erbgut: Der Neandertaler-Anteil in den Genen von Europäern, Amerikanern, Asiaten und Australiern liegt nach bisherigen Studien bei 1,8 bis möglicherweise sogar vier Prozent. Das Resultat der Vermischung dürfte vielen von uns heute helle Haut verleihen und beim Fettabbau helfen. Zudem haben wir dadurch einige wichtige Rezeptoren des Immunsystems erhalten.

Mit den Vorfahren jener Menschen, die heute das südliche Afrika bevölkern, kam es dagegen kaum zu derartig folgenreichen Techtelmechteln – das zumindest war bisher die in der Fachwelt anerkannte Meinung. Grundlage dieser These waren zum einen fehlende genetische Belege, zum anderen die Vermutung, dass die Neandertaler im Norden und die afrikanischen Vorfahren im Süden geografisch zu sehr voneinander isoliert waren, um eine Vermischung zu gewährleisten.

Nun aber hat ein Team um Joshua Akey von der Princeton University (New Jersey, USA) erstmals robuste genetische Belege für Neandertalergene bei modernen Afrikanern entdeckt. Die im Fachjournal "Cell" präsentierte Studie wirft damit bisherige Annahmen über die Verbreitung der unterschiedlichen menschlichen Spezies weitgehend über den Haufen.

Neue Methode mit überraschendem Ergebnis

Die Forscher kamen zu ihren Ergebnissen, indem sie eine neue statistische Methode namens IBDmix entwickelten, um Neandertaler-Sequenzen im Genom des modernen Menschen zu identifizieren. Die Forscher wendeten das Verfahren an 2504 heute lebenden Individuen aus dem 1000-Genom-Projekt an, das geografisch unterschiedliche Populationen repräsentiert, und nutzten Neandertaler-DNA aus dem Altai als Vergleichserbgut. Während bisherige Verfahren sich ausschließlich auf Referenzpopulationen zur Analyse stützten, um die Unterscheidung zwischen geteilter Abstammung und jüngeren Kreuzungen zu verifizieren, fanden die Princeton-Forscher Neandertaler-DNA im menschlichen Genom, indem sie nach entsprechenden genetischen Ähnlichkeiten suchten – und letztlich auch fanden.

Die Analysen ergaben, dass das Erbgut der untersuchten Afrikaner im Schnitt 0,3 Prozent Neandertaler-DNA enthielt, deutlich mehr als bisher angenommen. Hinzu kommt, dass über 94 Prozent der in afrikanischen Proben identifizierten Neandertaler-Sequenzen bei Nichtafrikanern vorkommen. "Dies ist das erste Mal, dass wir tatsächliche Anzeichen einer Neandertaler-Abstammung bei Afrikanern feststellen können", sagt die Co-Erstautorin Lu Chen. "Und es zeigte überraschenderweise ein höheres Niveau, als wir bisher dachten."

Unerwartete Rückwanderung

Um eine mögliche Erklärung für den unerwartet hohen Neandertaler-Anteil im Genom der Afrikaner zu finden, verglichen die Forscher ihre Daten mit simulierten Genotypdaten, die aus verschiedenen demografischen Modellen stammen. Dabei zeigte sich, dass die untersuchten Afrikaner 7,2 Prozent der gefundenen Neandertalergene mit den Europäern teilen, verglichen mit nur zwei Prozent bei den Ostasiaten. Die Simulationen ergaben schließlich, dass es in den letzten 20.000 Jahren offenbar zu einer Rückwanderung von Neandertaler-Vorfahren nach Afrika gekommen sein muss.

Unabhängig davon lieferten die Genanalysen der Forscher um Akey eine weitere Besonderheit: Frühere Studien hatten ergeben, dass Ostasiaten etwa 20 Prozent mehr Neandertalergene besitzen als Europäer. Die neuen Ergebnisse jedoch lassen vermuten, dass diese Schätzungen aufgrund methodischer Einschränkungen verzerrt waren. Auffallenderweise verfügten Ostasiaten demnach im Vergleich zu Europäern nur über acht Prozent mehr Neandertaler-DNA. "Dies legt nahe, dass der größte Teil des Neandertaler-Erbes des modernen Menschen auf ein gemeinsames Hybridisierungsereignis zurückzuführen ist, an dem die Bevölkerung aller Nichtafrikaner beteiligt war", sagt Akey. "Dieses Ereignis müsste kurz nach der Auswanderung des Homo sapiens aus Afrikas stattgefunden haben."

Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse nach Ansicht der Forscher, dass die bisherigen Annahmen über den Einfluss von Neandertaler-Vorfahren bei Ostasiaten und Europäern aufgrund von nicht berücksichtigten Rückmigrationen von europäischen Vorfahren nach Afrika voreingenommen waren. (Thomas Bergmayr, 31.1.2020)