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"Bye-bye EU": Die Remainers verabschieden sich schweren Herzens.

Foto: AP/Francisco Seco

Londons Bürgermeister Sadiq Khan: "An die eine Million EU-Bürger, die so viel beitragen zu unserer Stadt: Ihr seid Londoner, ihr seid hier willkommen. Und das wird sich niemals ändern".

London/Berlin – Eine Ära geht zu Ende: Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum wird Großbritannien am Freitag um 24 Uhr die Europäische Union verlassen. Das Land war über 47 Jahre lang Mitglied der Staatengemeinschaft und ihrer Vorgängerorganisationen. In einer Übergangsphase bis zum Ende des Jahres müssen London und Brüssel aber noch ihre künftigen Beziehungen klären.

Begangen wird der historische Moment in London (23 Uhr Ortszeit) aus Rücksicht auf die Brexit-Gegner ohne großen Pomp. Big Ben soll nicht läuten. Der Uhrturm des britischen Parlaments wird derzeit aufwendig restauriert und müsste dafür extra hergerichtet werden. Am Parliament Square soll an allen Fahnenmasten der Union Jack wehen. An die Fassade der Downing Street 10 wird ein Countdown projiziert.

Schon gehört? Manuel Escher erklärt, was jetzt nach dem vollendeten Brexit noch alles auf uns zukommen wird.

Kein Champagner aus Frankreich

Trotzdem dürfte am Regierungssitz der eine oder andere Sektkorken knallen. Pressefotografen hatten dort bereits vergangene Woche größere Lieferungen englischen Schaumweins erspäht – Champagner aus dem EU-Land Frankreich verbietet sich bei dem Anlass selbstredend.

In einer Rede, die am Abend übertragen werden soll, betont Premierminister Boris Johnson laut im Voraus verbreiteten Auszügen, der Brexit sei kein Ende, sondern ein Anfang: "Es ist ein Moment der echten nationalen Erneuerung und des Wandels." Seine Aufgabe sei es nun, das Land zu einen und voranzubringen. Die Lebenschancen der Menschen sollten nicht davon abhängen, in welchem Teil des Landes man aufwachse. Das werde nicht mehr akzeptiert.

"Will Brexit affect my holiday?"

Ausgelassener als Johnson will der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, mit seinen Mitstreitern den EU-Austritt feiern. Die Initiative "Leave means Leave" hat für Freitagabend eine Party vor dem Parlament geplant. Auch in anderen Landesteilen wird gefeiert. Ein Feuerwerk wurde Farage allerdings untersagt.

Übergangsphase und Handelsdeal

Auch wenn Johnson den Brexit am liebsten nun beiseiteschieben will, wird das Thema weiter die Schlagzeilen bestimmen. Bis 31. Dezember bleibt Großbritannien noch in einer Übergangsphase, in der sich so gut wie nichts ändert, außer dass es nicht in Brüssel nicht mehr vertreten sein wird. Währenddessen müssen sich beide Seiten auf ein Anschlussabkommen einigen, sonst drohen schwere Konsequenzen für den Handel und weitere Bereiche. Doch die Zeit dafür ist äußerst knapp, und die Vorstellungen klaffen weit auseinander.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wünscht sich weiterhin gute Beziehungen zwischen der EU und der Insel.

Seine Verhandlungsziele für die künftigen Beziehungen will Johnson britischen Medien zufolge nächste Woche vorstellen. Souveränität sei wichtiger als reibungsloser Handel, will er laut dem "Telegraph" als Leitlinie ausgeben. Der Bruch zwischen London und Brüssel soll viel klarer ausfallen als unter Johnsons Vorgängerin Theresa May geplant. Er will sein Land von der Anbindung an EU-Regeln freimachen und die Verbindungen weitgehend kappen.

Johnson würde sich einem Bericht zufolge auf ein Handelsabkommen mit der EU einlassen, wie es deren Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier vorgeschlagen habe. Es handle sich um das sogenannte Kanada-Modell, berichtete die "Times" unter Berufung auf Inhalte der Rede, die Johnson am Montag halten wolle. Das Modell basiere auf dem Ceta-Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada und erlaube einen nahezu zollfreien Warenhandel, umfasse aber auch Grenzkontrollen. Großbritanniens großer Dienstleistungssektor würde ausgeklammert.

Schottland will zweites Referendum

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon warnte Johnson unterdessen erneut davor, Schottland ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit zu verweigern. Schottland werde gegen seinen Willen aus der EU gerissen. Johnson könne "nicht ewig dem Willen der Schotten im Weg stehen", sagte sie der Zeitung "Die Welt" vom Freitag. Das schottische Parlament hatte am Mittwoch für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum gestimmt.

Auch für Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo ist der britische Austritt ein trauriger Moment. Für ihn – ebenso wie für die Bevölkerung der britischen Exklave – sei dies "kein Tag zum Feiern", sagte Picardo am Freitag dem staatlichen spanischen Fernsehen.

Großbritannien ist gespalten: Für die einen signalisiert der Ausstieg einen Aufbruch, für die anderen ist es ein Schritt in die falsche Richtung. Das sieht man auch anhand der aktuellen Zeitungscover, wie ORF-Journalistin Lou Lorenz twittert.

Die EU-Kommission fordert indes eine möglichst enge Anbindung an EU-Standards. Unfaire Subventionen sowie Sozial- oder Umweltdumping dürfe es nicht geben, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Kommission will am Montag die Verhandlungslinie vorschlagen, die dann noch von den 27 verbleibenden EU-Staaten gebilligt werden muss. Ende Februar oder Anfang März geht es wirklich an den Verhandlungstisch.

Irlands Premier Leo Varadkar zeigte sich hoffnungsvoll. Für den bereits beschlossenen Vertrag seien alle über ihren Schatten gesprungen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Welt" vom Freitag. Das sei "ein gutes Omen" für die nächste Phase der Verhandlungen. "Was auch immer geschieht, ich hoffe, dass die Tür immer offen steht, sollte das Vereinigte Königreich jemals entscheiden, zurückkehren zu wollen." (APA, 31.1.2020)