Über die Sinnhaftigkeit von Brustkrebs-Screenings streiten Wissenschafter schon länger. Künstliche Intelligenz könnte die Debatte weiter anheizen.

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Im Januar 2020 publizierte die Fachzeitschrift "Nature" eine Studie über ein AI-System zur Brustkrebsfrüherkennung. AI heißt "Artificial Intelligence", also "künstliche Intelligenz". Die Medien greifen solche Untersuchungen gerne auf, allerdings lässt die Qualität der Berichterstattung zu wünschen übrig, kritisieren Forscher. So titelte etwa Spiegel online: "Wie künstliche Intelligenz künftig den Job von Ärzten übernimmt."

"AI-Systeme werden in der Tat immer besser in der Krebsfrüherkennung, aber das ist nicht unser Punkt", sagt der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der gemeinsam mit Walter Krämer die "Unstatistik des Monats" ins Leben gerufen hat. Die Interpretation schieße deutlich über das Ziel hinaus, meint er, und verweist darauf, dass AI-Erfolge in der Presse übertrieben, aber die Frage nach dem Nutzen für Patientinnen und Patienten nicht gestellt werde.

Irreführende Ergebnisse

In der in Nature publizierten Studie trainierten und testeten Google-Wissenschaftern in Palo Alto und London künstliche neuronale Netzwerke. Als Basis dienten Röntgenbildern der Brust von mehr als 25.000 Frauen aus Großbritannien und über 3.000 Frauen aus den USA. In Großbritannien, wo zwei Radiologen jede Röntgenaufnahme beurteilen und im Fall eines unklaren Ergebnisses ein Konsensus-Urteil erstellt wird, war das AI-System im Durchschnitt etwas besser als der erste Radiologe und leicht schlechter als der zweite Radiologe bzw. das Konsensus-Urteil.

In den USA, wo nur ein Radiologe das Urteil trifft, war die AI besser. Im zweiten Teil der Untersuchung wurden sechs US-Radiologen getestet, die schlechtere Werte erreichten als die AI. Von diesen hatten jedoch die meisten kein spezielles Training im Beurteilen von Mammogrammen. Die Autoren der Studie stellten selbst klar, dass die Ergebnisse bei spezialisierten Radiologen wahrscheinlich besser ausgefallen wären.

Frage nach dem Nutzen

Die Frage, die in den Medienberichten so gut wie nie gestellt wird, ist, ob Frauen durch besser werdende AI einen Nutzen haben? "Je besser die Diagnose-Systeme werden, desto mehr kleine und klinisch irrelevante Krebsformen werden entdeckt, die nur technisch gesehen Krebs sind. Das heißt, man würde diese Formen während seines Lebens nie bemerken, da sie keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben", erklärt Gigerenzer.

Das Fazit des Psychologen: "Da man zum Zeitpunkt der Früherkennung diese harmlosen Formen von anderen nicht unterscheiden kann, erhalten bereits heute viele verunsicherte Frauen unnötige Operationen, Strahlen- oder Chemotherapien." Dieses Problem ist bereits vom Mammografie-Screening bekannt. Untersuchungen mit etwa 500.000 Frauen haben gezeigt, dass von je 1.000 Frauen, die nicht zum Screening gehen, nach 10 Jahren etwa fünf an Brustkrebs sterben; mit Screening sind es 4.

Demnach stirbt im Schnitt nur eine von 1000 Frauen weniger an Brustkrebs. Der Schaden durch unnötige Behandlungen sei aber hier noch nicht eingerechnet. "Mit mehr AI-Diagnostik werden wahrscheinlich noch mehr Frauen unter einer Überbehandlung leiden. Das heißt, AI wird zwar immer mehr Krebse frühzeitig erkennen, aber man sollte auch einen Schritt weiter denken und ehrlich sagen, dass all dieser technische Erfolg den Frauen wohl wenig helfen wird", resümiert Gigerenzer. (red, 3.2.2020)