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Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

Foto: Reuters / Tamas Kaszas

Wien/Budapest – Mit den Begriffen "Rechtsstaatlichkeit" und "liberale" oder "illiberale Demokratie" hat sich Ungarns Botschafter Andor Nagy bei einem Vortrag in Wien am Donnerstagabend auseinandergesetzt. "Was in Ungarn abläuft, wird sehr kritisch beobachtet", stellte der Diplomat fest.

Die Medienfreiheit in seinem Land sieht er "nicht gefährdet", seine strenge Migrationspolitik habe Ungarn "im Interesse der ungarischen Bürger" abgewickelt.

"Ungarn ist ein Rechtsstaat, eine stabile Demokratie"

Der Botschafter sprach in der Diplomatischen Akademie zum Thema "Ist Ungarn ein rechtsstaatliches Sorgenkind oder haben wir es mit einem neuen Staatsmodell zu tun?" Seine Antwort lautete: "Ungarn ist ein Rechtsstaat, eine stabile Demokratie." Nie habe es vorgezogene Neuwahlen gegeben. Zugleich warf Nagy die Frage auf: "Was ist eigentlich Rechtsstaatlichkeit?" Dies werde nur im Falle Ungarns und Polens hinterfragt; nie in anderen EU-Staaten wie Italien, Griechenland oder Finnland. "Rechtsstaatlichkeit ist eine politische Waffe", die gegen die Regierungen in Ungarn und Polen eingesetzt werde.

Zur Pressefreiheit in Ungarn konstatierte der hervorragend Deutsch sprechende Diplomat: "Wenn jemand glaubt, dass die Medienfreiheit beeinträchtigt ist, muss er zumindest Ungarisch sprechen." Eine Zeit lang seien viele ungarische Medien privatisiert worden. Nach seiner Einschätzung betrage das Verhältnis regierungstreu bzw. liberal heute etwa 50:50. Nagy verwies auf Medienkartelle, wo viele Medien in einem Verband zusammengefasst seien. Zudem berichteten die Social Media "zu 99 Prozent regierungskritisch".

ORF-Satire auf Youtube

In seinem Referat übte Botschafter Nagy auch Kritik an dem kürzlich auf Youtube veröffentlichten Videoclip des ORF-Satirikers Peter Klien über Ungarns Medienpolitik. Er kritisierte vor allem die Tatsache, dass diese Satire des öffentlich-rechtlichen österreichischen Fernsehens mit ungarischen Untertiteln auf Youtube erschien. Gezeigt wird dort, wie Premier Orban sukzessive die ungarischen Medien unter seine Kontrolle gebracht habe – der STANDARD berichtete. Alleine auf Youtube kommt das Video bereits auf beinahe 300.000 Abrufe.

Gute Nacht Österreich

Im Zusammenhang mit der Errichtung eines Grenzzauns gegen die Flüchtlingswelle von 2015 erinnerte der Botschafter an die Durchtrennung des Eisernen Vorhangs zwischen Österreich und Ungarn 1989. Nagy verwies auf "die Verpflichtung zum Grenzschutz" laut Dubliner Vertrag. "Zehntausende marschierten 2015 ohne Dokumente durch Ungarn." Nur einer oder zwei von zehn hatten Recht auf Asyl, "der Rest waren Wirtschaftsflüchtlinge". Nach moralischen und christlichen Überlegungen habe Ungarn dann die Südgrenze geschlossen.

"In Ungarn ist es anders"

Interpretationsspielraum lassen nach den Worten des ungarischen Diplomaten die Begriffe "liberale Demokratie, Nationalismus und Populismus". Nagy: "Nationalismus klingt auf Ungarisch anders als in Frankreich, Deutschland oder Österreich. Der Terminus kommt in Ungarn nicht so negativ an." Ministerpräsident Viktor Orban werde oft als Rechtspopulist dargestellt. Nach der Auffassung in Westeuropa, auch in Österreich, "gehören 'liberal' und 'Demokratie' zusammen". Der Botschafter dazu: "In Ungarn ist es anders. Demokratie kann auch sozial- oder christdemokratisch sein." Der Begriff "Illiberalismus" sei in Ungarn nicht so negativ besetzt, sondern vielmehr "eine Art Antithese zum Neoliberalismus".

Ungarn habe also mit der "illiberalen Demokratie" unter Orban zu einem "neuen Gesellschaftsmodell" gefunden. "Liberal" erinnere an Ex-Kommunisten, die sich nach der Wende so präsentiert hätten. Das heutige Modell basiere auf der Verfassung von 2011, in dem die christliche Kultur nach 50 Jahren Kommunismus verankert wurde. Laut Nagy ruht die christliche Kultur auf drei Pfeilern: der Ehe zwischen Mann und Frau, dem Schutz des Nationalstaates und der Verteidigung der christlichen Tradition. In dem Kontext wurde 2019 ein Familienpaket beschlossen. Sein demografisches Problem wolle Ungarn "mit Familienpolitik lösen, nicht mit Zuwanderung".

Ausgezeichnete bilaterale Beziehungen zu Wien

Erleichtert ist der Botschafter über das Faktum, dass die christlich-demokratische EU-Fraktion (Europäische Volkspartei EVP) Orbans Fidesz nicht ausgeschlossen habe, sondern die Suspendierung der Partei vorläufig aufrecht bleibt. Dafür spreche auch der pragmatische Grund, dass die Christdemokraten ihre Mehrheit im Europäischen Parlament behalten wollen. Den Konflikt mit der Privatuniversität des US-Milliardärs George Soros, der Central European University CEU, die im Vorjahr nach Wien übersiedelte, bewertet Nagy ebenfalls pragmatisch. Die CEU habe in Budapest US-Diplome ausgestellt, die von Ungarn nicht anerkannt würden.

Prinzipiell unterstrich Nagy die ausgezeichneten bilateralen Beziehungen zwischen Wien und Budapest. Namens des Ko-Veranstalters, des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), betonte IDM-Präsident Erhard Busek die engen bilateralen Bindungen in Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Der Direktor der Diplomatischen Akademie, Emil Brix, hob die Teilnahme von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am jüngsten Gipfel der Visegrad-Gruppe (Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen) in Prag hervor. Angesprochen auf die Konflikte mit Brüssel ersuchte Nagy den Westen um Geduld. "Im Osten Europas laufen nach 50 Jahre Kommunismus viele Dinge anders." Fehler passierten, auch sei die Zivilgesellschaft noch nicht so stark entwickelt wie in Westeuropa. (APA, red, 31.1.2020)