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Die WHO hat zwar den internationalen Notstand ausgerufen, das neuartige Virus ist allerdings deutlich weniger gefährlich als ähnliche Viren wie Sars oder Mers. Europäer müssen sich nicht fürchten, sagen Experten. Ein STANDARD-Erklärvideo.
DER STANDARD

Wahrscheinlich hat das Gespräch, das der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Donnerstagabend mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping führte, den Ausschlag für die Ausrufung einer "gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite" gegeben. "Public Health Emergency of International Concern" (PHEIC) ist der Fachbegriff für eine Situation, die mit einer erhöhten Alarmstufe zu vergleichen ist. Die Gesundheitsbehörden sollen sich wappnen, offen kommunizieren und Daten teilen. Tedros Adhanom Ghebreyesus rief aber auch die Menschen auf, nicht in Panik zu geraten. Auch in den USA wurde am Freitag der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Notlage klingt ernst, doch was den Umgang mit dem neuen, unbekannten Wuhan-Virus betrifft, läuft eigentlich alles nach Plan.

Ansteckender als vermutet

Deshalb lobte der aus Äthiopien stammende WHO-Chef in seiner Deklaration gleich zu Beginn auch das vorbildliche Vorgehen Chinas, seine Kooperationsbereitschaft und die Veröffentlichung aller neuen Daten. In der Zusammenschau aller aktuellen Entwicklungen hat sich allerdings gezeigt, dass die globale Eindämmung trotz aller drastischen Maßnahmen doch schwieriger als gedacht zu sein scheint.

Das hat zwei Gründe: Zum einen scheint das 2019-nCoV doch relativ ansteckend zu sein, denn trotz der strengen Quarantänemaßnahmen hat es sich über ganz China ausgebreitet. "Es dürfte ansteckender als seinerzeit Sars sein", vermutet Stephan Aberle, Virologe an der Med-Uni Wien, der die Entwicklungen beobachtet. Chinesische Experten haben im New England Medical Journal dementsprechende Daten veröffentlicht. Das neue Coronavirus ist in etwa so ansteckend wie Influenza-Viren, wird per Tröpfcheninfektion übertragen und betrifft vor allem erwachsene, immungeschwächte Patienten.

Chinesische Unternehmen sind in vielen Ländern Afrikas präsent, sollte sich der Wuhan-Virus dorthin ausbreiten, wären die Gesundheitssysteme vor Ort nicht gerüstet.

Der zweite Grund zur Besorgnis für die WHO ist die Tatsache, dass sich das Virus offensichtlich auch gut von Mensch zu Mensch überträgt. Das lässt sich über die Krankengeschichten ermitteln. Es gibt derzeit 120 Fälle in 20 Ländern außerhalb Chinas (Österreich ist nicht dabei), und in drei Fällen dürfte eine Übertragung ohne jeden direkten Bezug zu China erfolgt sein.

Länder, die überfordert wären

Die WHO ist für die globale Gesundheit zuständig. Während in Ländern mit funktionierenden Gesundheitssystemen die Versorgung samt Quarantäneoption der erkrankten Menschen derzeit sichergestellt wird, ist das in sehr vielen weniger wohlhabenden Ländern nicht der Fall. Man hätte weder die Möglichkeit, entsprechende Diagnosetests für das 2019-nCoV durchzuführen, noch könnte man bei einem positiven Ergebnis Erkrankte hospitalisieren oder gar Quarantänebereiche einrichten.

Auch diese Umstände rechtfertigen Tedros Adhanom Ghebreyesus’ Schritt, hier eine internationale Notlage offiziell auszusprechen. Ein möglicher Grund zur Sorge könnte der afrikanische Kontinent sein. China hat in den vergangenen Jahren in vielen Ländern Afrikas Unternehmen übernommen und aufgebaut. Deshalb arbeiten etwa in Kenia viele Chinesen, die unter Umständen das Wuhan-Virus importiert haben könnten. Und so ist auch Ghebreyesus’ Sorge um die "vulnerablen Länder und Regionen" zu interpretieren. Es ist die Aufgabe der WHO, hier rechtzeitige Maßnahmen zu treffen, um für einen Ausbruch dann entsprechend gerüstet zu sein.

Schwere Fälle

Was einstweilen noch gegen dieses bedrohliche Szenarium spricht, ist die Tatsache, dass sich das neue Coronavirus einstweilen eher in den geografisch kühleren Regionen entwickelt und ausgebreitet hat. Das Überleben von Viren hängt von vielen Faktoren ab, die Temperatur spielt dabei eine wichtige Rolle. Beim 2019-nCoV gibt es noch keinerlei Erfahrungen. Insofern können Virologen auch wieder nur Rückschlüsse vom Verhalten anderer Viren ziehen. Auch das Influenza-Virus kursiert in der kalten Jahreszeit vornehmlich in kühleren Regionen, doch gibt es auch Fälle in südlicheren Breitengraden. Es sei also nicht aus zuschließen, dass sich das 2019-nCoV wie die Influenza verhalten könnte, so Aberle. Auch deshalb findet er die Vorsicht der Behörden nachvollziehbar.

Virologisch interessant sind für den Mediziner in Wien allerdings auch die unterschiedlichen Verlaufsformen einer 2019-nCoV-Infektion. Die WHO hat bekanntgegeben, dass es in China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern derzeit fast 10.000 bestätigte und über 15.000 Verdachtsfälle gibt. Von den bestätigten Fällen verlaufen 1370 schwer, rund 250 immunologisch geschwächte Personen starben. Die Behörden in der Provinz Hubei meldeten am Freitagabend, dass die Zahl auf 258 angestiegen sei. Nur 124 Hospitalisierte wurden bereits wieder gesund entlassen. "An den Entlassungszahlen werden wir die Aggressivität ablesen können", sagt Aberle. Interessant ist, dass Kinder eher nicht betroffen zu sein scheinen.

Österreichische Verdachtsfälle

Außerhalb Chinas hat der Virus bisher keine Todesopfer gefordert. In rund 25 Ländern werden etwa 150 Infektionen gezählt. In Österreich gibt es laut Gesundheitsministerium nach 30 Tests bisher keinen bestätigten Fall: Für einen siebenten Verdachtsfall in Wien gab es ebenso eine Entwarnung wie für einen Verdachtsfall in Kärnten, einen in Oberösterreich, eine Fall in Vorarlberg, die vier Personen in Salzburg und für zwei weitere Fälle in Niederösterreich. Für eine weitere Frau in der Landesklinik Mödling werden die Testergebnisse am Sonntag erwartet.

Sieben Österreicher, die sich in der Krisenprovinz Hubei aufhielten, sollen mit einer Bundesheermaschine ausgeflogen werden. Der C-130 Hercules-Transporter soll am Sonntagfrüh von Linz-Hörsching nach Südfrankreich fliegen, um die Österreicher in Empfang zu nehmen und anschließend nach Wien-Schwechat zu bringen. Die Evakuierten seien derzeit alle "wohlauf", wie ein Außenamtssprecher bestätigte.

Deutschen Rückkehrern Landung in Moskau verweigert

Die Rückholung deutscher Bürger aus dem chinesischen Seuchengebiet hat indessen zu einem diplomatischen Eklat mit Russland geführt. Russland habe der deutschen Luftwaffen-Maschine mit den 128 Rückkehrern aus Wuhan die zwingend benötigte Zwischenlandung in Moskau verwehrt, sagte der Kommandeur der Flugbereitschaft im Bundesverteidigungsministerium, Oberst Daniel Draken, am Samstag der "Bild am Sonntag".

Der Airbus legte deswegen zum Auftanken in Finnlands Hauptstadt Helsinki einen Zwischenstopp ein. "Russland hat uns zwar den Überflug genehmigt", sagte Draken der Zeitung. "Aber eine Landung an den Moskauer Flughäfen wurde mit Verweis auf mangelnde Kapazitäten am Boden verweigert."

Am Samstagnachmittag landete der Airbus 310 "Kurt Schumacher" in Frankfurt.
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Zuvor soll Russland den deutschen Behörden eine Landung in Aussicht gestellt haben. Der Zwischenstopp auf dem Flug nach Köln Frankfurt war notwendig, um den Regierungs-Airbus aufzutanken und die Piloten auszutauschen. (Karin Pollack, red, 1.2.2020)