Frage: Was passiert jetzt?

Antwort: Erst einmal nicht allzu viel. Wichtigster Punkt in dem 500 Seiten dicken Austrittsvertrag, den Boris Johnsons Regierung vor Weihnachten durch das britische Parlament gebracht und den das EU-Parlament schließlich am Mittwoch bestätigt hat, ist eine Übergangsfrist: Bis 31. Dezember tut sich vorerst einmal wenig. Großbritannien bleibt so wie bisher im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion.

Frage: Und dann?

Antwort: Wie es ab 2021 in puncto Handel weitergeht, müssen weitere Verhandlungen klären. An deren Ende droht – einmal mehr – das Gespenst WTO: Nach den harten Regeln der Welthandelsorganisation würde der Warenaustausch zwischen der EU und dem Drittland Großbritannien nämlich ablaufen, sollte man sich nicht auf ein neues Abkommen einigen. Bis dahin überweisen die britischen Steuerzahler weiterhin Mitgliedsbeiträge nach Brüssel, ohne von Abgeordneten im Parlament vertreten zu sein.

Auch als Podcast: UK hat die EU verlassen – was passiert jetzt?

Frage: Wie geht es mit Nordirland weiter, dem Knackpunkt bisher?

Antwort: An Nordirland scheiden sich, wie schon während der mühsamen Verhandlungen, die Geister. Weil zwischen dem britischen Norden und dem EU-Mitglied Irland im Süden gemäß Johnsons Deal auch weiterhin keine Pass- und Zollkontrollen stattfinden sollen, werden nach dem 31. Dezember Waren, die für die Republik Irland bestimmt sind, in den Häfen an der Irischen See kontrolliert – von britischen Zöllnern, wohlgemerkt. Die europäischen Qualitätsstandards für Agrarprodukte, Lebensmittel und Industriegüter sollen weiterhin auch für das britische Nordirland gelten. Ein komplexes Verrechnungs- und Erstattungssystem muss dem "Withdrawal Agreement" zufolge garantieren, dass der Handel zwischen den beiden Teilen Irlands nicht zum Erliegen kommt – und zudem das für den fragilen Frieden auf der Insel so bedeutsame Karfreitagsabkommen in Kraft bleiben kann. Alle vier Jahre muss das nordirische Parlament in Hinkunft darüber abstimmen, ob es den Kompromiss noch mittragen kann – oder doch etwas ganz anderes will.

Frage: Wann beginnen nun die Verhandlungen?

Antwort: Wenig überraschend, lässt man sich damit Zeit. Erst am 25. Februar sollen die EU-Mitgliedsstaaten die Verhandlungsziele der Kommission absegnen. David Frost, Unterhändler der britischen Seite, wird ein 30-köpfiges Team zusammenstellen, das die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU ausarbeiten soll. Kanada, das gerade erst das Ceta-Abkommen mit der EU über die Bühne gebracht hat, soll dem Vernehmen nach Vorbild stehen. Bis 1. Juli könnte Johnson die EU um eine Verlängerung der Übergangsfrist bitten. Auch wenn er dies im Wahlkampf und auch danach kategorisch ausgeschlossen hat – never say never.

Frage: Womit müssen Touristinnen und Touristen rechnen?

Antwort: Wie das österreichische Außenministerium erklärt, ändert sich vorerst – auch hier – nicht allzu viel. Zwar war Großbritannien auch vor dem Brexit nicht Teil des Schengenraums, die Personenfreizügigkeit bleibt aber vorerst bis Ende des Jahres aufrecht. Will heißen, dass Frau und Herr Österreicher bei der Einreise etwa am Kanalhafen im französischen Calais oder auf dem Londoner Airport Heathrow so wie bisher einen Pass vorzeigen müssen; ein Visum ist vorerst nicht nötig; der Personalausweis allein dürfte aber nicht mehr sehr lang ausreichen. Roaming-Gebühren für Telefonate und Internetnutzung fallen vorerst nicht an.

Frage: Was müssen die Britinnen und Briten in Österreich jetzt tun?

Antwort: Das britische Außenministerium bemüht sich seit Monaten um Beruhigung. "Wir empfehlen vorerst nichts zu tun", heißt es von der Botschaft in Wien. Einzig: "Man sollte seine Dokumente ordnen und sich, wenn man dies noch nicht hat, eine Aufenthaltsbescheinigung zusätzlich zum Meldezettel besorgen." Und auch nach dem Ende der Übergangsfrist, zu Silvester um Mitternacht also, werden Britinnen und Briten in Österreich "ihr Leben im Großen und Ganzen so weiterleben können wie bisher". Dies gilt auch umgekehrt: Bis Ende März 2021 haben EU-Bürgerinnen und -Bürger Zeit, sich um einen sogenannten "Settled Status" zu bemühen, der einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gleichkommt.

Eine Botschaft von Botschafter Turner.
UK in Austria

Frage: Wird jetzt alles teurer?

Antwort: Vermutlich nicht, eher im Gegenteil – durch die zu erwartenden Einbußen für die britische Wirtschaft dürfte das Pfund gegenüber dem Euro an Boden verlieren, was für unsereins Einkaufen in Großbritannien wohlfeil macht. Schon jetzt liegt der Pfund-Kurs um zehn Prozent unter dem Niveau vom 23. Juni 2016, als der Brexit seinen Anfang nahm.

Frage: Wird es in der EU nun unsicherer?

Antwort: Während Großbritannien und viele der EU-Staaten militärisch ohnehin viel eher in der Nato als in der EU zusammenarbeiten und die Geheimdienste ebenso außerhalb der gemeinsamen Strukturen miteinander kooperieren, drohen in puncto Kriminalitätsbekämpfung durchaus Lücken. Schließlich scheidet Großbritannien am 31. Jänner formell auch aus der europäischen Polizeibehörde Europol aus und kann künftig keine EU-weiten Haftbefehle mehr ausstellen. Während der Übergangsperiode soll London aber weiterhin Zugang zu den EU-Datenbanken haben. Und weil Großbritannien schon aus historischen Gründen international höchst vernetzt ist, wird das Know-how der Diplomaten Ihrer Majestät der EU spürbar fehlen. De facto haben sich die Regierungen in Berlin und Paris mit ihren Kolleginnen und Kollegen in London allerdings im Krisenfall auch schon jetzt außerhalb der EU-Strukturen abgestimmt. Auch nach dem Brexit ist man schließlich nicht aus der Welt.

Frage: Droht dem Königreich nach Brexit und Megxit nun womöglich bald auch der Scotxit?

Antwort: Tatsächlich brodelt es in Schottland, das mit 62 Prozent gegen den Brexit gestimmt hat, schon seit längerem. Die Unterhauswahl im Dezember hat die Spaltung Großbritanniens nur noch verstärkt: Während in England Boris Johnsons Konservative überraschend stark abschnitten, gewann die separatistische Scottish National Party (SNP) in Schottland satte 45 Prozent der Stimmen. Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte schon am Tag danach ein zweites Unabhängigkeitsreferendum an: Schottland "könne ein Leben außerhalb der EU nicht akzeptieren." Politologen zufolge verfügt sie dabei durchaus über ein gewisses Momentum: Das Pendel hat seit dem Brexit-Referendum 2016 zwar nicht dramatisch, aber doch spürbar in Richtung Unabhängigkeit ausgeschlagen. 51 Prozent der Schottinnen und Schotten sind einer Umfrage vom Mittwoch zufolge für ein Los von London. Im schottischen Parlament gibt es seit dieser Woche eine Mehrheit für ein neues Referendum. Einzig mit dem Wirt hat Sturgeon die Rechnung nicht gemacht. Der sitzt nämlich in London, heißt Boris Johnson und hat dem Gesuch der forschen Schottin prompt eine Absage erteilt. Und auch Sturgeons Vorschlag, Schottland könne nach dem Brexit doch selbst Visa für potenzielle Einwanderer ausstellen, stieß in Westminister auf wenig Gegenliebe.

Nicola Sturgeon will es wissen.
Foto: Andy Buchanan / AFP

Frage: Können die Briten jetzt – so wie versprochen – wieder über Großbritannien bestimmen?

Antwort: Vorerst einmal nicht. Bis Ende 2020 gelten zwischen Gibraltar, Dover und den Shetland-Inseln zwar weiter die EU-Gesetze, Mitsprache haben die am Mittwoch aus dem EU-Parlament ausgeschiedenen Briten aber nicht mehr.

Frage: Ist jetzt Großbritannien endgültig raus?

Antwort: Ja. Jedenfalls bis zum nächsten Beitrittsansuchen. (Florian Niederndorfer, 31.1.2020)