Im Gastkommentar warnt die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast davor, digitale Gewalt gegen Frauen zu bagatellisieren. Sie fordert bessere rechtliche Maßnahmen gegen Hass im Netz, aber ohne couragierte Zivilgesellschaft lasse sich das Problem nicht lösen.

Die Ernennung von Alma Zadić zur Justizministerin löst Emotionen aus. Bei mir zuallererst Bewunderung. Sie ist eine couragierte Frau, das zeigen ihr Werdegang, ihr Umgang mit dem Hass und der öffentlichen Berichterstattung. Aber es gibt auch rassistische und sexistische Hasskommentare, Morddrohungen und den Versuch der Einschüchterung. So ein Vorgehen gegen Frauen und speziell gegen Frauen mit Migrationshintergrund erleben wir auch in Deutschland und international. Das ist ein Bestandteil von Rechtsextremismus.

In seinem ersten Statement hat Kanzler Sebastian Kurz gesagt, als Politikerin müsse die Justizministerin solche Anfeindungen aushalten. Ich halte das für falsch. Dies ist eine Bagatellisierung digitaler Gewalt gegen Frauen und zeugt auch von Unverständnis gegenüber dem Phänomen.

Rechte Hassmaschinerie

Bei den Beleidigungen gegen Ministerin Zadić und viele, viele andere Frauen – auch ich bin Betroffene – geht es in Wahrheit gar nicht nur um uns. Der organisierte Rechtsextremismus nutzt Hass und Hetze als Strategie. In wohlorchestrierten Hasskampagnen werden zwar einzelne Personen als Ziel ausgewählt. Es geht eigentlich aber um nichts Geringeres als die Zerstörung des demokratischen Systems mit all seinen Werten, der Gewaltenteilung und den demokratischen Prozessen. Politikerinnen, Politiker und andere gesellschaftlich engagierte Menschen sollen mundtot gemacht werden, sich aus ihrem Engagement für die Demokratie zurückziehen. Neben Hass nutzt der Rechtsextremismus auch Desinformation. So wurden auch über Zadic unter anderem über die Identitäre Bewegung gezielt Falschaussagen verbreitet, um die Stimmung gegen sie anzuheizen.

Einigen wird es bestimmt schlaflose Nächte bereiten, mit dieser Ministerin ein so gelungenes Beispiel an Integration zu haben, die dazu noch medial präsent ist. Also positiven Einfluss hat. Die Strategie verzeichnet aber leider erste Erfolge. In Deutschland hören wir von Kommunalpolitikerinnen und -politikern, die sich gezwungen sehen, ihr Amt niederzulegen, oder Wahlkandidaturen zurückziehen. Die rechtsextremistische Ideologie von Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie will genau das, dass Menschen sich zurückziehen. Und sie will gesellschaftliches Misstrauen gegenüber den Institutionen säen.

Zäher juristischer Weg

Die Aktionen gegen die Justizministerin zeigen deutlich, wie die rechte Hassmaschinerie funktioniert. Den Rechtsextremisten geht es nie um Kritik in einer Sache, sondern sie provozieren und manipulieren menschliche Ängste und Sorgen. Sie beschwören Untergangsszenarien. Dazu müssen sie propagieren, dass das politische System der Demokratie und das gesellschaftliche Leitbild von Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz gescheitert seien.

Dabei ist Zadić doch ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Als junges Mädchen aus Bosnien nach Österreich geflüchtet, hat sie eine hervorragende schulische und berufliche Karriere hingelegt, ist gesellschaftspolitisch engagiert und obendrein für den Staat aktiv, kämpft für Recht und Gesetz. Und deshalb wird so hasserfüllt auf sie reagiert.

Wehrt sich gegen üble Beschimpfungen in sozialen Netzwerken: die deutsche Grünen-Politikerin Renate Künast.
Foto: Imago / Stefan Boness

Ich selbst erfahre solche Aktionen auch, habe viele Strafanträge gestellt, versuche, juristisch gegenüber Facebook und Twitter an die notwendigen Daten zu kommen, um zivilrechtliche Schmerzensgeldverfahren zu führen. Was rate ich Betroffenen? Es ist wichtig, dass wir rechtlich dagegen vorgehen. Allerdings kann ein solcher Weg zäh, kostenintensiv und belastend sein.

In Deutschland arbeiten wir deshalb am Aufbau von Strukturen. Das beginnt bei der Finanzierung von Beratungsstellen, damit eine Spezialisierung auf digitale Gewalt entwickelt werden kann. Mit der Organisation Hate Aid gibt es jetzt für ausgewählte Fälle eine rechtliche Unterstützung, damit auch die Rechtssprechung ins digitale Zeitalter kommt. Immerhin werden in den Bundesländern erste Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet, und die Arbeit des Bundeskriminalamts wird sich neu ausrichten. Dabei ist die Qualifizierung von Justiz und Polizei ein zentrales Problem, das erlebe ich gerade selbst in einem mühevollen Verfahren vor dem Landgericht Berlin, das meiner Meinung nach unglaubliche Vorstellungen darüber hat, was Politikerinnen und Politiker erdulden sollen. Wer wird sich noch in Wahlen bewerben, wenn das die eigene Familie gefährdet?

Zivilgesellschaft als Stütze

Wir brauchen jetzt ein politisch koordiniertes Vorgehen. In Österreich wie in Deutschland sind gerade verschiedene Vorschläge für neue Gesetze und Möglichkeiten verbesserter Rechtsdurchsetzung in der Diskussion. Aber durch rechtliche Änderungen allein können wir das Problem gar nicht lösen.

Ein demokratisches Land braucht als Stütze jeden Tag eine Zivilgesellschaft, die sich für das Land engagiert. Indem wir uns mit den Betroffenen solidarisieren, unsere Stimme gegen Hass und Hetze im Alltag erheben, Courage zeigen. Egal ob analog oder digital. Denn alle Menschen haben das Recht auf Würde, Respekt und körperliche Unversehrtheit!

Die neue Justizministerin bietet nun in Person alle notwendigen Chancen, für rechtliche Maßnahmen, zivilgesellschaftliche Aktionen, finanzierte Präventionsprojekte und Identifikation mit ihr als Beispiel fürs Gelingen. Ein Glück für Österreich. (Renate Künast, 3.2.2020)