Der Weg in die Zukunft führt zunächst einmal durch den Keller. Im Souterrain eines Lokals in Panora, Iowa, namens The Port hat Andrew Yang zum Bürgerforum geladen. An der Wand hängt ein Transparent: "A New Way Forward" – das klingt so beliebig, als hätte eine Werbeagentur den Auftrag bekommen, sich einen Spruch auszudenken, mit dem man bei keinem, wirklich keinem, anecken kann.

Zweckoptimismus bei Andrew Yang: "Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bin ..."
Foto: Der Standard / Frank Herrmann

"Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bin", beginnt Yang seine Sätze. "Wenn" – nicht "falls". Als wäre jetzt schon alles klar. Der selbstsichere Optimismus gehört zum Standardrepertoire der Kandidaten fürs Weiße Haus, so wie es zum Standardprogramm gehört, im Winter kreuz und quer durch das verschneite Iowa zu fahren. Durch eine öde, flache Landschaft, aus der Getreidesilos aufragen oder Windräder, deren Rotor blätter im Nebel verschwinden. Bei Yang stehen an diesem Tag Creston, Panora, Jefferson, Laurens und Storm Lake auf dem Programm. Orte, die man mindestens einmal besucht haben sollte, wenn man ins Oval Office einziehen will – auch wenn man nur vor 24 Leuten in einem kalten Restaurantkeller spricht.

Die Demokraten bereiten sich auf die Präsidentenwahl Anfang November vor. Im Bundesstaat Iowa beginnen die Vorwahlen, bei denen letztlich der Kandidat oder die Kandidatin gekürt wird. ORF-Korrespondent David Kriegleder berichtet aus den USA.
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Alle vier Jahre wird Iowa zum Nabel des US-Politikbetriebs. Seit 1972 beginnt hier, im Agrarstaat mit drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, der Marathon der Vorwahlen, an dessen Ende ein Präsidentschaftskandidat gekürt wird. 1976 gewann ein kaum bekannter Gouverneur: Jimmy Carter. Mit Ausnahme Bill Clintons (1992) hat seither kein Demokrat das Rennen um die Nominierung gewonnen, wenn er nicht in Iowa oder in New Hampshire, der zweiten Etappe, siegte. Dabei ist der "Hawkeye State" kein Spiegelbild der USA: weniger urban, weniger industriell, rund 90 Prozent der Bevölkerung weiß.

Optimismus und Selbstironie

Yang, der Newcomer, weiß trotz seiner gespielten Zuversicht genau, dass er chancenlos ist. Dennoch macht er weiter, schlägt in der Substanz vor, jedem erwachsenen Amerikaner ein Grundeinkommen zu zahlen, 1.000 Dollar, um abzufedern, was technischer Fortschritt an Jobverlusten mit sich bringt. Der frühere Hightech-Unternehmer, dessen Eltern aus Taiwan in die USA kamen, gibt sich, ähnlich wie Medienmogul Michael Bloomberg: als Problemlöser, allein an Praktischem interessiert, nicht an Ideologie. Und an Zahlen. "Ein Mann mit asiatischen Wurzeln, der Mathematik mag, ist das nicht der beste Gegenentwurf zu Donald Trump?" Sein Augenzwinkern verrät: Sie kann auch Spaß machen, die Ausdauerübung in Iowa.

Szenenwechsel: Michael Moore schiebt sich die Baseballkappe aus der Stirn. In einem Kinosaal der Universitätsstadt Ames ruft er mit theatralischer Geste in Erinnerung, wie ihm manche Parteifreunde seine Prognose verübelten: Damals, im Sommer 2016, prophezeite der filmemachende Provokateur einen Sieg Trumps, weil er im Rust Belt die Nase vor Hillary Clinton haben werde. "Wisst ihr es noch? Die eigenen Leute haben mich ausgebuht. Niemand wollte die Wahrheit hören."

Bernie Sanders, 78, erlitt im Oktober einen Herzinfarkt, aber statt kürzerzutreten, stürzte er sich danach erst recht ins Gewühl.
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Und heute, sagt er, sei dies die Wahrheit: "Trump hat an seiner Basis nicht einen Zoll an Rückhalt verloren. Wer glaubt, jemand, den wir irgendwie halbherzig ins Duell gegen ihn schicken, könnte ihm Paroli bieten, dem sage ich: Wacht endlich auf!" Um Trump zu besiegen, müsse man schon begeistern können. Und keiner könne das so gut wie Bernie Sanders, meint Moore.

Sanders und die Jungen

Partystimmung in Ames: Portugal the Man, eine angesagte Band aus Alaska, bringt den Saal in Stimmung. Und nach Moore hält Alexandria Ocasio-Cortez, die jüngste Abgeordnete, eine Laudatio auf den ältesten Bewerber. Als Sanders schließlich die Bühne betritt, wird er gefeiert wie ein Rockstar. Der Senator aus Vermont ist 78. Im Oktober erlitt er einen Herzinfarkt, aber statt kürzerzutreten, stürzte er sich danach erst recht ins Gewühl. In Iowa ist von physischer Schwäche nichts zu spüren. Sanders’ Themen sind dieselben wie 2016, als er Clinton parteiintern zusetzte. Wachsende Ungleichheit bei den Einkommen, eine Lawine von Studienschulden, ein Gesundheitssystem, das teuer und ineffizient ist. Dazu die Erderwärmung.

Ein Präsident Sanders, ruft er in die Arena, werde auf alle Nationen zugehen, Russen, Chinesen, Inder eingeschlossen, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. "Klar ist doch: Wir sitzen alle zusammen in diesem Boot."

Der Senior kann sich auf die jüngste Anhängerschaft stützen – das allein ist schon ein Phänomen. Adam Day, ein Student Anfang zwanzig, erklärt es knapp mit zwei Schlagworten: Sozialismus und Authentizität. "Ich weiß: Für Generationen war Sozialismus ein Schimpfwort, für meine Generation klingt es cool. Wir denken nicht an die Sowjetunion, wir denken eher an Dänemark." Wenn also einer wie Sanders sage, er sei Sozialist, dann schrecke es die Jungen keineswegs ab. Und dass Sanders zu Überzeugungen stehe, zu denen er schon vor einem halben Jahrhundert stand, das wisse man zu schätzen. "Der Mann ist authentisch, der macht dir nichts vor."

Pete Buttigieg präsentiert sich als Kandidat der "künftigen Ex-Republikaner".
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"Künftige Ex-Republikaner"

Der Jüngste des Feldes, Pete Buttigieg, 38 Jahre alt, kommt eher bei mittleren Jahrgängen an. Das Frontier Opera House in Fort Dodge hat er flächendeckend mit Tüchern in den Nationalfarben Blau, Weiß und Rot schmücken lassen – rein optisch das konservative Kontrastprogramm zu Sanders’ aufregender Show.

Auf T-Shirts steht: Boot-Edge-Edge. Es soll helfen, Buttigiegs Namen – sein Vater stammt aus Malta – richtig auszusprechen. Für die meisten ist er freilich immer noch Mayor Pete, obwohl das so nicht mehr stimmt: Bis Silvester war der 38-Jährige Bürgermeister von South Bend, einer Industriestadt in Indiana. Nach zwei Amtszeiten wollte er sich nicht für eine dritte bewerben, zumal er nach Höherem strebt. Egal, für seine Fans bleibt er Mayor Pete. Wer eine Stadt verwalten könne, finde sich auch im Weißen Haus zurecht, entgegnet Buttigieg Kontrahenten, die ihm mangelnde Amtserfahrung vorwerfen. "Außerdem bin ich der einzige Kandidat, der mit einer Waffe in den Krieg zog." 2014 wurde er als Reservist für sechs Monate nach Afghanistan beordert. Mit seiner Vita, betont er, könne er im Herbst auch im konservativen Lager punkten. Bei "künftigen Ex-Republikanern", wie er sie nennt.

Elizabeth Warren sieht sich – siehe Wahlmotto – schon als Siegerin.
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"Es ist schon verdammt schwer in diesem Jahr", stöhnt Janet Wahl. Die Lehrerin hat etliche Bewerber aus nächster Nähe studiert, jetzt steht sie in Ames in dichtem Gedränge im Grillrestaurant "Jethro's BBQ", unter Postern mit der Parole "Amy for America". Was Janet am meisten umtreibt, umschreibt sie mit einer sperrigen Vokabel: Electability. Wählbarkeit. Das E-Wort, wie manche es nennen. Damit verbindet sich die Frage, ob der Sieger oder die Siegerin der Demokraten im Herbst auch in der gesellschaftlichen Mitte punkten kann.

Wegen der Wählbarkeit, sagt Janet Wahl, müsse sie wohl ihre Ideale "herunterschlucken". Ihr Herz schlage links, für Elizabeth Warren, die Senatorin aus Massachusetts. Doch zu weit nach links dürfe es nicht gehen, sonst verliere man gegen Trump. "Amy for America", Amy Klobuchar, Senatorin aus Minnesota, moderat, für manche ein Geheimtipp, redet von nichts anderem als vom Brückenschlag in der politischen Mitte. Der Mann, der sie bei Jethro's BBQ vorstellt, war bis 2016 Republikaner. Ehemals Senator in Iowa, verließ er die "Grand Old Party", als sie zur Trump-Partei wurde.

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Amy Klobuchar, Senatorin aus Minnesota: moderat, für manche ein Geheimtipp.
Foto: AP / Gene J. Puskar

"Sind weder düster noch zornig"

Joe Biden setzt sein strahlendes Zahnpasta-Lächeln auf, als er in Marshalltown, einer Kleinstadt mit großen Schlachthöfen, aus seinem Wahlkampfbus steigt. "The Battle for the Soul of the Nation" – Die Schlacht um die Seele der Nation – steht in Großbuchstaben auf dem Gefährt, und das skizziert sein Programm mit einer Zeile.

Die Rückkehr zur alten Ordnung, zu Anstand und Würde nach dem gehässigen Grundton der Trump-Jahre – so ließe es sich zusammenfassen. "Fired up and ready for Joe", hat jemand auf ein Blatt Papier geschrieben, das nun neben der Bühne an der Wand einer Lagerhalle hängt. Von flammender Begeisterung, wie das Plakat sie beschwört, ist allerdings nichts zu spüren.

"Fired up and ready for Joe" ... gemeint ist Joe Biden.
Foto: EPA / Jim Lo Scalzo

Bidens Helfer haben bloß 150 Stühle in die Halle getragen, obwohl mindestens dreimal so viele hineinpassen würden. Doch als der 77-Jährige vom wahren Charakter Amerikas spricht, von Irrwegen und überfälligen Korrekturen, da hängen die Leute an seinen Lippen. "Ich weigere mich zu glauben, dass wir dieses düstere, zornige Land sind, das Trump mitten in der Nacht in seinen Tweets beschreibt", sagt Biden. "Im Weißen Haus brauchen wir einen, der sich aufs Heilen von Wunden versteht!" (Frank Herrmann, 3.2.2020)