Die sogenannte nichtfinanzielle Berichterstattung, also Reports über Umwelt, Soziales und Diversität, steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen, attestiert die Arbeiterkammer (AK). Kapitalmarktfirmen mit über 500 Mitarbeitern müssen seit 2017 Nachhaltigkeitsberichte vorlegen, 89 Unternehmen sind davon betroffen. Das erregt Kritik, und die anschließende Forderung lautet: Ausweitung der Verpflichtung auf kleinere Firmen, verpflichtende Indikatoren und ein einheitlicher Standard. Derzeit werden solche Berichte überwiegend nach den Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) oder nach den Prinzipien des UN Global Compact erstellt.

Die Wirtschaftsprüferin Brigitte Frey zählt zu den fundierten Expertinnen dafür im Land, sie befördert (freiwillige) Nachhaltigkeitsberichterstattung seit 20 Jahren via den Austrian Sustainability Reporting Award, leitet mittlerweile die Jury dieses bundesweiten Preises für die besten Nachhaltigkeitsberichte.

STANDARD: 20 Jahre Austrian Sustainability Reporting Awards (Asra) – wo halten wir in Österreich?

Frey: Es tut sich viel mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Aktuell etwa ein Einreicherrekord, aber die programmatischen Botschaften des Asra können noch mehr: Konzepte von langjährigen Einreichern wie beispielsweise die Post AG und "CO2-neutral zugestellt" oder die Wienerberger AG mit der "Roadmap 2020" zeigen, wie in diesen Unternehmen bereits vor einiger Zeit strategisch umgebaut wurde, um Geschäftsmodelle zukunftsfähig zu machen.

Brigitte Frey war Partnerin bei EY, ist nun selbstständig tätig und zudem Vorsitzende der Jury des Austrian Sustainability Reporting Awards (Asra).
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STANDARD: Was befördert Nachhaltigkeitsberichte, wo zieht es sich, wo hakt es?

Frey: Die EU-weiten gesetzlichen Regelungen zur Berichterstattung börsennotierter Unternehmen haben das Blatt gewendet. Wohl ist der Kreis der Betroffenen überschaubar, aber erstmals wird in ganz Europa gezeigt, wie sehr berichtsrelevante Inhalte im Wandel sind. Klimaschutz, Arbeitgeberverantwortung und verantwortungsbewusste Produkte sind Buzzwords dazu.

STANDARD: Da tun sich große Firmen leichter, oder?

Frey: Ob KMU oder Großunternehmen ist kein ausschlaggebendes Unterscheidungskriterium, um zu berichten oder eben nicht. Der Klein- und Mittelstand hat möglicherweise weniger Ressourcen, dafür ist das Geschäft überschaubar. Große Player haben leichter Zugriff auf finanzielle und zeitliche Kapazitäten, aber gleichzeitig sind deren Geschäftsmodelle unverhältnismäßig komplex. Conclusio: Reporting dieser Art ist für jeden eine Herausforderung. Warum auch nicht? Wer ist vergleichsweise in der Lage, die Informationen für einen Jahresabschluss ohne weiteren Aufwand zusammenzutragen? Wer käme auf die Idee, sich ambitionierte ökonomische Ziele zu stecken, aber gleichzeitig auf jegliches Reporting zu verzichten? Nichtfinanzielle Berichterstattung folgt zunehmend professionellen Managementansätzen. "Nice to have" ist längst zu wenig.

STANDARD: ... sagen die, die das Thema befördern wollen.

Frey: Bei den Asra-Einreichern lassen sich für all diese Entwicklungen überzeugende Beispiele finden. Die einzige Ausnahme stellt die Kategorie "Öffentliche Unternehmen und Organisationen" dar. Hier schwächelt bereits die Zahl der eingereichten Berichte. Das tut mir sehr leid. Insbesondere weil Argumente wie keine Zeit, kein Geld, kein Nutzen eindeutig zu kurz greifen.

STANDARD: Was konkret ist der Profit? Apropos: Es geht ja auch um ein Geschäftsfeld für die Prüfer, oder?

Frey: Davon kann wohl noch einige Zeit nicht ernsthaft die Rede sein. Auch auf dieser Seite gibt es Lernkurven, und es wird intensiv in den Aufbau der Expertise investiert. Vorrangig spannend sind die unternehmerische strategische Ausrichtung und die Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte, quasi als Spitze des Eisbergs. Dabei stellen Unternehmen immer wieder fest, dass die Materie anspruchsvoll ist und unterschätzt wird. Diese empfundene Überforderung wird in Anbetracht scheinbar konkurrierender Herausforderungen verstärkt. Kanonartig wird Unternehmern die Notwendigkeit vermittelt, sich um die Digitalisierung zu kümmern, um Nachhaltigkeit mit Klimaschutzüberlegungen sowie um neues Leadership-Denken. Die Akteure tun sich besonders schwer, wenn zeitgleich Veränderungen an verschiedenen Stellen stattfinden. Große Organisationen sind gewohnt zu fokussieren, zu Standardisieren und zu vereinfachen, um Prozesse beherrschbar zu halten. Da kann es schon auch einmal ordentlich im Getriebe krachen.

STANDARD: Wenn die alte Welt auf die neue trifft?

Frey: Wir hatten bei der Asra-Gala zum 20er eine Future-Lounge der Jungen eingerichtet. Höchste Zeit, dass auch hier out of the box gedacht wird. Es war auch die Start-up-Szene, die eigene Ideen zur unternehmerischen "licence to operate" lieferte.

STANDARD: Wer ist denn wie weit?

Frey: Die langjährige Statistik der Asra-ausgezeichneten Unternehmen zeigt, dass Unternehmen der Finanzbranche sowie Energieversorger die Nase vorn haben. Kleinere Unternehmen oder öffentliche Organisationen waren in der 20-jährigen Geschichte des Asra immer wieder unter den Einreichern und auch unter den Preisträgern. Gründe dafür, weshalb es später wieder still um diese Unternehmen wird, gibt es mehrfach. Einer davon ist wohl der starke Bezug auf Einzelpersonen, die das Thema Nachhaltigkeit zur persönlichen Priorität erhoben haben. Ändert sich hier etwas, endet nur allzu rasch das Engagement. Ein Problem, das auch große Organisationen trifft, aber hier kann besser gegengesteuert werden. Gesetzliche Verpflichtungen und strategische Verankerung tun ihr Übriges, um Kurs zu halten.

STANDARD: Abgesehen von der Haltung und der Unternehmenskultur, die sich durch Berichte wandeln – wer liest diese Papiere eigentlich?

Frey: Ist eine Gegenfrage erlaubt? Wer liest Jahresabschlüsse und Bilanzen? Finanzberichterstattung ist ein Expertenthema. Geschäftsberichte bringen auf verständliche Weise die notwendigen Hintergrundinformationen und einen Ausblick. Die Entwicklungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung zeigen in eine vergleichbare Richtung, um Stakeholdergruppen zu erreichen. Der Dreh- und Angelpunkt für alle Beteiligten sind die Professionalität der Berichterstattung und die Seriosität der vermittelten Inhalte. (Karin Bauer, Der Standard, 5.2.2020)