"Die Entscheidung für den Nobelpreis an Peter Handke konnte ich nicht wirklich nachvollziehen", sagt Staatssekretärin Ulrike Lunacek. Ein Angriff auf die Freiheit der Kunst ist diese Äußerung mitnichten, findet der Dramaturg, Übersetzer und Autor Sven Hartberger im Gastkommentar.

Der Kunstsenat und die Kurie für Kunst treten selten öffentlich in Erscheinung. Wer sich darüber belehren möchte, wie sie ihrer Aufgabe, die Anliegen der Kunst in der Öffentlichkeit zu vertreten, gerecht werden, findet Erhellendes in der Gratulations- und Kondolenzrubrik "Aktuelles" des Kunstsenats. Vier der nicht mehr als insgesamt sieben Einträge der letzten zwei (!) Jahre künden von der Freude der Honoratiorenrunde über verdiente Auszeichnungen, zwei von ihrer Erschütterung über den Tod der eigenen Mitglieder. Sonst noch aktuell? Nichts.

Unlängst aber kam Bewegung in die Sache. Der Präsident des Senats, Josef Winkler, erwachte aus mehrjährigem Winterschlaf und, mit leichter Verzögerung, auch sein mit ihm hibernierender Kollege Wolf D. Prix von der Kurie: Erweckungserlebnis war Ulrike Lunaceks mangelndes Verständnis für Peter Handkes Aussagen zu den Balkankriegen und die Entscheidung der Nobelpreisjury.

Die grüne Kulturstaatssekretärin Lunacek zweifelt an der Nobelpreiswürdigkeit Handkes.
Foto: Matthias Cremer

Groteske Reaktionen

Von beiden Präsidenten war seit langem kein einziges Wort zu ernsthaften Anliegen von Kunst und Kultur zu hören gewesen. Weder das auf niedrigem Niveau stagnierende Kunstbudget, noch seine inflationsbedingte Entwertung, nicht die mutwillige Zerstörung der Kunstszene in Oberösterreich oder die Verschiebung von Kulturgeldern an einen Motorradhersteller, auch nicht die Unterdrückung von siebzig Jahren Musikgeschichte an der Wiener Staatsoper – zu nichts von alledem hat man ein Präsidentenwort vernommen.

Jetzt aber: Unverständnis für einen der Ihrigen! Oberlehrer Winkler mahnt die eigensinnige Staatssekretärin zu wirklichem, ernsthaftem Lesen. Hätte sie richtig gelesen, müsste sie ja wohl mit ihm, Winkler, einer Meinung sein. Prix sieht sogar Gefahr im Verzug für zeitgenössische Künstler und die Gegenwartskunst. Grotesk. Keiner von beiden geht auch nur mit einem Wort auf Lunaceks Befremden über die Haltung des Dichters zu den Balkankriegen ein. Derlei kunstfremde Überlegungen gelten in ihren Kreisen als unfein. Dafür unterstellen ihr beide niedrige Motive für ihre Meinungsäußerung. Der Schriftsteller Winkler Feigheit; der Architekt Prix Anbiederung: "Es sind die ersten Anzeichen einer politischen Unterordnung an die angedachte Meinheitsmeinung (sic)." Wie kommen die beiden zu diesen Unterstellungen? Ohne Grund. Der sachliche Diskurs wird verweigert und durch bodenlose Verdächtigungen ersetzt.

Kein Anlass

Die Ehre der Künste rettet IG-AutorInnen-Geschäftsführer Gerhard Ruiss. Er argumentiert, aber auch ihm ist nicht zuzustimmen. Lunacek hat keinen Anlass geboten, mit erhobenem Zeigefinger auf den hohen Wert der Unabhängigkeit von Jurys hinzuweisen, weil sie diese nicht einmal andeutungsweise infrage gestellt hat. Zu Entscheidungen einer Jury Stellung zu beziehen ist nämlich, anders als Ruiss glaubt, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht jedes Kulturpolitikers.

Die öffentliche Teilnahme an der Diskussion über Kunst, Kunstwerke, Kultur und eben auch über Juryentscheidungen ist Aufgabe der Kulturpolitik und kein Angriff auf die Freiheit der Kunst. Als Interessenvertreter mag er sich wünschen, dass Amtsträger zu Juryentscheidungen eisern schweigen. Der Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik wäre die Erfüllung dieser Zumutung kaum zuträglich. Aus diesem Grund ist auch Winklers Wunsch verfehlt, der sich nach Kulturpolitikern sehnt, die als "beherzte Fürsprecher der Künstler und ihres Tuns" wirken – worin immer dieses besteht – und ihre Fähigkeit zu eigenem, kritischem Denken beim Betreten des aller Kritik enthobenen Sanktuariums der Kunst abzugeben haben. Kritik an Künstlern und Juryentscheidungen ist für Winkler offenbar ipso facto und immer ungebührlich.

Verbockter Auftritt

Lunacek mag in den ersten Tagen nach ihrer Angelobung noch nicht vollkommen im Amt angekommen sein, und wann und wo sie sich gelangweilt hat, sollte sie wahrscheinlich besser ihren Freundinnen und Freunden als den Medien anvertrauen. Ihr widerständiger Mut, auf klare Fragen klare Antworten zu geben, verdient aber Respekt, unabhängig davon, ob man ihr in der Sache beitreten will oder nicht. Widerborstigkeit, das sollten die Präsidenten noch lernen, ist keine Prärogative auserwählten Künstlertums. Beide haben ihren ersten Auftritt auf der großen öffentlichen Bühne ordentlich verbockt. Schwamm drüber. Wir wollen das Positive sehen.

Jetzt, da sie nach der langen Zeit behäbigen und konformistischen Schlummers erwacht sind und die Wirksamkeit offener Briefe erkannt haben, werden sie im nächsten Schritt bestimmt ernsthafte Themen in Angriff nehmen wollen. Gernot Blümel, der als Kulturminister unter dem dröhnenden Schweigen von Senat und Kurie absolut gar nichts für Kunst und Kultur getan hat, wird als Finanzminister wenig Ambition haben, einer engagierten Nachfolgerin die seit Jahren dringend notwendige Verdoppelung des Kulturbudgets zu gewähren.

Wir alle freuen uns auf den offenen Brief, mit dem Winkler und Prix den Finanzminister eben dazu auffordern werden. (Sven Hartberger, 5.2.2020)