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Die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation ist alljährliche Tradition.

Foto: AP/Evan Vucci

Sie ist so etwas wie das Hochamt der US-amerikanischen Politiktradition: die jährliche "State of the Union Address" – die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation. Die Veranstaltung hat hohen protokollarischen Stellenwert, bietet jede Menge Raum zum Setzen neuer politischer Akzente und garantiert ein großes Fernsehpublikum sowie eine mächtige Zuhörerschaft im Saal. Immerhin versammeln sich dabei im Kapitol zu Washington die Mitglieder beider Kongresskammern, also des Senats und des Repräsentantenhauses, zu einer gemeinsamen Sitzung – nur um den Worten des Präsidenten zu lauschen.

All das, könnte man meinen, ist ganz nach dem Geschmack von Donald Trump. Dieser liebt ja bekanntlich die große Bühne, wo er für sich selbst und seine Pläne ein Maximum an Aufmerksamkeit bekommt. Doch ganz so einfach liegen die Dinge dann doch nicht. Trump, der als impulsiv und unberechenbar gilt, lässt sich auch bei öffentlichen Auftritten gerne einmal von seinen Instinkten leiten, um die Stimmung im Saal anzuheizen. Die Rede zur Lage der Nation mit ihrem Nimbus althergebrachter Bedeutsamkeit aber will sich nicht so recht eignen als Plattform für spontane Emotionsausbrüche. Das verlangt Trump eine gewisse Zurückhaltung ab – auch wenn er sich dabei nicht unbedingt fühlt wie ein Fisch im Wasser.

Wahljahr und Impeachment

Die State of the Union Address des Jahres 2020, die – nach europäischer Zeit – in der Nacht auf Mittwoch auf dem Terminplan steht, war in den USA bereits im Vorfeld Gegenstand von Debatten und Spekulationen. Dass ihr sowohl von Trumps Gegnern als auch von seinen Anhängern besonders große Bedeutung beigemessen wurde, hat vor allem zwei Gründe.

Zum einen ist heuer Wahljahr. Zwar entscheidet sich erst im November, ob der Republikaner Donald Trump weitere vier Jahre im Amt bleiben kann oder ob jemand aus den Reihen der Demokraten ins Weiße Haus einziehen wird. Doch längst wirft die Wahl ihre Schatten voraus. Just einen Tag vor Trumps Rede fanden die traditionell ersten Vorwahlen im Bundesstaat Iowa statt – und sorgten vor allem aufgrund von Auszählungspannen im demokratischen Lager für Schlagzeilen.

"Wird er, oder wird er nicht?"

Zum anderen neigt sich derzeit das Impeachment-Verfahren gegen Trump seinem Ende zu. Bereits am Mittwoch steht die Senatsabstimmung an, bei der über die Amtsenthebung des Präsidenten wegen der Ukraine-Affäre entschieden werden soll. Weil dafür eine Zweidrittelmehrheit nötig wäre, die Republikaner im Senat jedoch in der Überzahl sind, gilt es als sicher, dass Trump sein Amt behalten kann. Fast spannender erschien da die Frage, ob der Präsident in seiner Rede überhaupt auf das Verfahren eingehen wollte, das er stets nur als "Hexenjagd" bezeichnet hat. "Wird er, oder wird er nicht?", fragten selbst die Moderatoren des konservativen TV-Senders Fox News.

Anonyme Quellen aus Trumps Umfeld deuteten immerhin ein paar Themen an, die zur Sprache kommen sollten: Gesundheitsversorgung etwa, Immigration oder nationale Sicherheit. Darauf konnte man sich einigermaßen verlassen. Über der State of the Union Address wurde im Weißen Haus schließlich monatelang gebrütet. Kein Präsident schüttelt sie einfach launig aus dem Ärmel. Selbst Donald Trump nicht. (Gerald Schubert, 4.2.2020)