War mit Spaß am Lesen der erste auf dem Feld: Ralf Beekveldt.

Foto: van Herk

Die Frühjahrsprogramme der Verlage sind zwar reich haltig gefüllt. Nicht für alle bieten sie aber Lesestoff. Denn etwa eine Million Menschen hierzulande können nicht oder nur schwer sinnerfassend lesen. Gründe dafür können neben Legasthenie eine kognitive Beeinträchtigung, Krankheiten wie Demenz oder mangelnde Bildung sein, auch Sprachlerner tun sich mit üblichem Lesestoff schwer, an sie alle richtet sich das Segment der Literatur in einfacher Sprache.

Eine bald erscheinende Neufassung von Kafkas Die Verwandlung beginnt in selbiger so: "Eines Morgens wird Gregor Samsa wach. In der Nacht hat er schon unruhig geträumt. Und als er aufwacht, ist alles anders als sonst. Gregor Samsa ist ein riesiger Käfer geworden."

Klare Richtlinien gibt es für einfache Sprache zwar nicht. Sie fordert aber zuallererst einmal kurze Sätze, in denen weder ungebräuchliche noch Fremdworte auftauchen. Sprachbilder sind ebenso verboten wie viele Erzählstränge und Zeitsprünge, auch Passivformen und Konjunktive werden vermieden. Ihr Fokus liegt auf dem Fortgang der Handlung.

Im März erscheint bei einem großen deutschen Verlag ein Lesebuch mit Texten von konventionellen Autoren, die sich in einfacher Sprache versuchen, es gibt jedoch seit einigen Jahren auch Verlage wie Naundob oder Passanten, die sich auf diese Nische spezialisiert haben. Ein weiterer dieser ist Spaß am Lesen. Vor elf Jahren war er der erste Verlag für Literatur in einfacher Sprache am deutschsprachigen Markt, mittlerweile erscheinen dort im Jahr rund 30 Titel, fündig werden soll jeder: Frauen wie Männer, Junge wie Ältere.

Freude an Bestsellern

"Manche denken zwar, dass Literatur etwas Besonderes ist und man die Sprache nicht antasten darf. Aber viele verstehen auch unsere Mission, dass Menschen, die von der normalen Literatur überfordert wären, auch die Möglichkeit bekommen, gute Bücher zu lesen und dabei Freude zu empfinden", erfährt man im Gespräch.

Eine Frage, die sich angesichts der für Vereinfachungen notwendigen Verknappungen stellt, ist nämlich: Ist Kafka in einfacher Sprache noch Kafka? Arno Geiger noch Arno Geiger? Marlen Haushofer noch Marlen Haushofer? "Es ist schwierig, zwischen dem Personalstil eines Autors und leichter Verständlichkeit abzuwägen", gibt der Verlag auf die Frage nach dem Rhythmus und Eigenheiten des ursprünglichen Autors zu.

"Wir versuchen zwar, den Stil, soweit es geht, zu bewahren. Wenn etwas im Original von einem Icherzähler erzählt wird, haben wir den auch." Aber es gebe Bücher, die davon leben, dass man erst im Nachhinein erfahre, was früher passiert sei. Da müsse man Wege finden, es umzuformen. Im Zweifelsfall geht Verständlichkeit vor. Ist die Teilhabe, die dadurch ermöglicht wird, nicht mehr wert als eine bestimmte Wortstellung?

Literatur in einfacher Sprache unterliegt auch wirtschaftlichen Anforderungen, Leservorlieben, der Lust auf Unterhaltung. Doch Gesellschaftspolitik schwingt mit: als Inklusion von Menschen, die sonst von "hoher" Literatur ausgeschlossen sind. Denn lange wurde ihnen empfohlen, Kinderbücher zu lesen – doch die decken ihre Lebensrealität klarerweise nicht ab.

Migrantische Themen

Das sehen auch normale Verlage so. Die Reaktionen auf Anfragen, etwas übertragen zu dürfen, seien meist positiv. Für sie sind Bücher in einfacher Sprache zudem keine Konkurrenz. "Die Leser, die wir erreichen, sind ja solche, die sonst gar kein Buch in die Hand nehmen würden. Im besten Fall fängt einer mit unseren Büchern an und greift irgendwann einmal zum Original", so Spaß am Lesen. Treten keine Hindernisse auf, ist der Weg von der Entscheidung für eine Übersetzung bis zum fertigen Buch in einem halben Jahr zu schaffen. Gut, denn: "Es ist für unsere Leser schön, wenn sie mitreden können, weil sie die Bestseller der letzten Jahre auch kennen."

Literaturpreise verfolgt der Verlag auch, aber die gingen oft an Bücher, die einen besonders schönen Stil hätten – "lässt man den weg, ist es oft schwierig, dass ein tolles Buch so eines bleibt". Gibt es oft Änderungswünsche der Originalverlage bei vereinfachten Versionen? "Wir behalten uns vor, nichts zu ändern, da bei unseren Mitarbeitern die Expertise liegt."

Viele der bei Spaß am Lesen erscheinenden Titel schreiben aber Autoren eigens für den Verlag. Auf die Flüchtlingsbewegung hat man etwa mit mehr Büchern über migrantische Themen reagiert, über Zuwanderer auf Arbeitssuche oder lustige Situationen, wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Bald erscheinen auch Sachbücher zu Themen wie Hygiene oder Mobbing für Menschen, die in Werkstätten arbeiten. Im normalen Buchhandel findet man Bücher in einfacher Sprache bisher jedenfalls kaum. (Michael Wurmitzer, 5.2.2020)