Auf Laserscans dokumentiert Claudius Schulze Biotope, die in oder um Großstädte zu finden sind. Sie sind der Beweis dafür, dass sich die Natur ihren Raum zurückerobern kann – wenn man sie lässt.
Foto: Claudius Schulze

Als Künstler und Forscher dokumentiert und visualisiert Claudius Schulze in seinen Arbeiten das von Menschen verursachte Artensterben. Für das Kunst-Haus Wien entwarf er eine raumspezifische Installation, in der Laserscans urbane Biotope, Fotografien autonome Tier-Drohnen abbilden und eine künstliche Intelligenz neue Schmetterlingsarten berechnet.

STANDARD: In Ihrer aktuellen Schau bringen Sie den Verlust von Biodiversität und die Erschaffung neuer Spezies durch künstliche Intelligenz zusammen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen den zwei Aspekten?

Schulze: Da gibt es ganz viele Zusammenhänge, die aber immer wieder zu uns Menschen zurückführen. Ich dokumentiere mit Fotografien das Artensterben und visualisiere mittels neuer Technologie neue Arten. Würde man zum Beispiel als Außerirdischer auf die Erde blicken, würde man unzählige Veränderungen beobachten: Das Klima wandelt sich, viele Lebewesen verschwinden, und neue Arten entstehen als kluge Maschinen. Und dafür ist genau eine Spezies verantwortlich: der Homo sapiens.

STANDARD: Was für kluge Maschinen sind das?

Schulze: Zum Beispiel kleine autonome Drohnen, die wie Fledermäuse aussehen.

STANDARD: Könnten so auch Bienen oder andere Insekten ersetzt werden?

Schulze: Das ist die Frage, die ich aufwerfen möchte. Was ist einfacher: Das Artensterben aufzuhalten oder neue Arten zu entwickeln?

STANDARD: Werden Roboter wirklich einmal Flora und Fauna ersetzen?

Schulze: Um diese Fragestellung geht es mir. Der neuseeländische Künstler und Critical Engineer Julian Oliver hat einmal gesagt: "Die Menschheit wird den Tag ohne Insekten nicht erleben." Unser Leben ist von ihrer Existenz abhängig. Ob Drohnen ihre Aufgabe übernehmen können, ist doch fraglich.

STANDARD: Es besteht ja die große Angst, dass auch der Mensch durch künstliche Intelligenz verdrängt werden könnte. Wird er das?

Schulze: Ich glaube nicht, dass das passiert, dafür sind Roboter viel zu dumm. Es gibt aber Erhebungen, die besagen, dass es viele andere Lebensformen im Weltall geben muss. Warum hat man diese noch nicht entdeckt? Eine Idee dazu ist, dass sich dieses Leben bereits selbst zerstört hat. Vielleicht rotten sich höhere Lebensformen immer selbst aus …

STANDARD: Also das, was wir Menschen gerade mit der Erde tun?

Schulze: Genau, die Idee ist aber gar keine zeitgenössische, sondern stammt bereits aus den 1960er-Jahren.

Schulze: "Was ist einfacher: das Artensterben aufhalten oder neue Arten entwickeln?"
Foto: eSeL

STANDARD: Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema, sind für Ihr Projekt "State of Nature" 50.000 Kilometer durch Europa gereist. Wie sind Sie dazu gekommen?

Schulze: Eigentlich ist die Frage, wie man sich nicht mit dem Thema beschäftigen kann. Fängt man an, von Artensterben und Defaunation zu lesen, wirken andere Probleme nichtig.

STANDARD: Was bedeutet Defaunation?

Schulze: Defaunation ist das Verschwinden von Arten und unterscheidet sich vom Artensterben. Es geht nicht um das Aussterben einer seltenen Art, sondern um den Verlust des Artenreichtums, also einer häufig vorkommenden Art, wie dem Spatz.

STANDARD: Ihre Arbeit befasst sich viel mit Zahlen und Studien. Sehen Sie sich eher als Künstler oder als Forscher?

Schulze: Wahrscheinlich bin ich beides. Mir ist es wichtig, wissenschaftlich akkurat und mit einer belastbaren Methodik zu arbeiten. Letztendlich versuche ich, mit den Möglichkeiten der Kunst Zusammenhänge herzustellen, die im wissenschaftlichen Kontext so nicht möglich wären. Ob ich damit ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolge, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass jemand in eine Ausstellung kommt und sein Weltbild verändert. Aber ich hoffe, dass meine Arbeit eine Zugänglichkeit bietet, die sonst nicht möglich ist.

STANDARD: Klima- und Umweltthemen werden auch für Kunsteinrichtungen relevanter. Das Kunst-Haus Wien setzt hier sogar einen Fokus. Kann Kunst wirklich etwas verändern?

Schulze: Wenn es darum geht, die Katastrophe abzuwenden, wird es eher Ingenieure als Künstler brauchen. Es ist aber wichtig, dass wir uns mit unserer Umwelt durch Kunst beschäftigen. Das unterscheidet uns ja auch von anderen Lebewesen.

STANDARD: Tragen hier Museen eine gewisse Verantwortung?

Schulze: Museen haben keine direkte Verantwortung, sich dem Naturschutz zu verschreiben. Aber sie haben die Aufgabe, sich mit wichtigen und gesellschaftlich relevanten Fragestellungen auseinanderzusetzen, und das werden Klima- und Umweltthemen auch in den nächsten 100 Jahren sein. Bisher sind sie aber noch nicht präsent genug in der Kunst, genauso wenig in der Musik, der Politik oder den Medien.

STANDARD: Was können wir als Individuen tun?

Schulze: Selbst nicht mehr zu fliegen oder kein Fleisch mehr zu essen macht erst dann einen Unterschied, wenn es alle Menschen tun. Hier liegt die Verantwortung bei der Politik. Wenn die aktuellen Politiker nicht in der Lage sind, diese Entscheidung zu treffen, ist es die Aufgabe der Bürger, andere Politiker zu wählen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auf der grünen Seite der Grünen noch eine Partei gründet. Dabei geht es aber nicht um rechts oder links. Umweltschutz ist ja eigentlich etwas Konservatives, es geht darum, die Schöpfung zu erhalten.

STANDARD: Ein Blick in die Zukunft: Was werden technische Neuerungen konkret verändern?

Schulze: Es gibt Untersuchungen, die den Tag ausrechnen, an dem all unsere Ressourcen aufgebraucht sein werden. Wir leben eindeutig über unsere Verhältnisse. Die Technologie kann uns hier lediglich helfen, dass der Verzicht auf manche Ressourcen nicht so schmerzhaft wird.

STANDARD: Also zögern technische Möglichkeiten die Folgen des Klimawandels nur hinaus?

Schulze: Das ist die Gefahr. Vielleicht machen wir so auch alles nur noch schlimmer.(Katharina Rustler, 5.2.2020)