Für viele von uns ist die Sonne einfach ein heißer, heller Kreis am Himmel. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, hat jede Kultur der Erde irgendeinen Mythos oder eine Gottheit, die mit diesem Objekt am Firmament in Beziehung steht. Auch wissenschaftlich betrachtet gibt die Sonne seit jeher viele bis heute ungelöste Rätsel auf. Mit einer neuen Raumsonde, die voraussichtlich am 10. Februar gegen fünf Uhr unserer Zeit von Cape Canaveral aus starten soll, möchte die Europäische Weltraumorganisation ESA ein Stück weit zur Erkundung beitragen und helfen, ihre Rätsel zu klären.

Solar Orbiter am Weg zur Sonne.
ESA/ATG medialab; Sun: NASA/SDO/ P. Testa (CfA)

Die Korona der Sonne

Wie die Erde und die meisten Planeten in unserem Sonnensystem besitzt auch die Sonne eine Atmosphäre, die wir Korona nennen und die wegen ihrer geringen Dichte lichtdurchlässig ist. Man sieht die Korona von der Erde aus ohne spezielle Instrumente eigentlich nur während einer Sonnenfinsternis. Ansonsten ist die Sonne viel zu hell und überstrahlt die Korona, sodass ein ungefilterter Blick in die Sonne zu Augenschäden führt. Deshalb benötigen wissenschaftliche Analysen der Korona besondere Instrumente und oftmals Satelliten-Missionen. Trotz der Kürze der Zeit ist mir während einer Expedition nach Argentinien im Juli 2019 mit einfachster Amateur-Ausrüstung, unter Mithilfe argentinischer Astronomen aus San Juan, ein kurzer Blick auf die Korona gelungen. Hierbei handelt es sich um eine Kombination von drei Einzelbildern, die von einem 15-Zentimeter-Spiegelteleskop durch das Okular abfotografiert wurden. Zu sehen ist die Streuung des Sonnenlichts in der Korona sowie die dunkle Rückseite des Mondes, der genau die circa 5.500 Grad heiße Sonne im Hintergrund verdeckt. Die Unebenheiten des Mondumrisses entstehen durch die nicht exakt kugelförmige Struktur des Mondes sowie die Krater auf seiner Oberfläche.

Korona und der Mond bei der Sonnenfinsternis am 2.9.2019 in Argentinien.
Foto: Philippe-A. Bourdin

Die hellen Streifen in der Korona geben so einen groben Eindruck über die Struktur des Sonnen-Magnetfeldes. Schon in den 1930er- und 1940er-Jahren wurde klar, dass die Korona mit über einer Million Grad deutlich heißer sein muss als die Oberfläche der Sonne selbst. Dies ist insofern sehr überraschend, weil normalerweise die Temperatur abnimmt, wenn man sich von einer Wärmequelle entfernt. Es muss also einen unbekannten Heizmechanismus geben, der die Korona so extrem aufheizt. Dies ist bis heute, circa 80 Jahre nach den ersten Entdeckungen, noch immer Gegenstand der Wissenschaft. Erst im vergangenen Jahrzehnt wurden die besten Supercomputer der Welt leistungsfähig genug, um komplexe Computer-Modelle der Korona zu simulieren. Damit konnten realitätsnahe Berechnungen der Heizprozesse in der Korona durchgeführt werden, die auch der beobachteten Magnetfeld-Struktur entsprechen.

Wir finden dort helle und heiße Bögen, die in der Korona extrem-ultraviolettes Licht abstrahlen, welches für unsere Augen unsichtbar ist und nur mittels Satelliten außerhalb der Erdatmosphäre beobachtet werden kann. Gelegentlich kommt es vor, dass solche magnetisch aktiven Regionen instabil werden und ein koronaler Massenauswurf entsteht.

NASA Goddard

Ausbrüche und magnetische Instabilitäten

Welche aktive Region auf der Sonnenoberfläche zu einem Ausbruch führt und welche nicht, lässt sich bis heute nicht zuverlässig voraussagen. Ein wichtiges Ziel der Mission Solar Orbiter ist es, bei einem Ausbruch spektroskopische Messungen des ausgeworfenen Materials in der Korona der Sonne vorzunehmen und in Folge die Veränderungen im Sonnenwind vor Ort zwischen Sonne und Erde (also in der inneren Heliosphäre) zu messen. Natürlich erfordert es Glück, dass die Raumsonde von genau jenem Ausbruch getroffen wird, der zuvor beobachtet wurde. Da es allerdings so gut wie täglich zu magnetischen Instabilitäten auf der Sonne kommt, stehen die Chancen nicht schlecht. 

Außerdem beeinflussen koronale Massenauswürfe große Teile der Heliosphäre. Während der magnetischen Instabilitäten auf der Sonne, die mit sogenannter magnetischer Rekonnexion einhergehen, entsteht nicht nur extrem-ultraviolette Strahlung, sondern wird auch Röntgenstrahlung, energiereiche Elektronen und andere elektrisch geladene Partikel ausgestoßen. Einmal ins All geschleudert, treffen diese später auch auf wichtige Satelliten im Erdorbit, wo elektrische und magnetische Turbulenzen auftreten, die wiederum die Elektronik von Satelliten beschädigen können. Dazu werden Satelliten bei besonders gefährlichen Ausbrüchen vorübergehend abgeschaltet oder "in den Wind" gedreht, sodass eine weniger empfindliche Seite des Satelliten die Elektronik schützt. Betroffen ist aber auch die internationale Raumstation, in der die Strahlenbelastung steigt und sich die Mannschaft deshalb in besonders abgeschirmte Bereiche zurückziehen muss.

SciNews

Sonnenwind und Weltraumwetter

Auch ohne Ausbrüche schickt die Sonne permanent Partikel und Magnetfelder in die Heliosphäre. Nur dann eher als eine Art Sonnenwind, der von der magnetischen Struktur der Sonne abhängt. Während magnetisch geschlossene Gebiete der Sonne eher einen langsamen Teilchenwind abgeben, entsteht der schnelle Sonnenwind in solchen Regionen mit "offenen" Magnetfeldern, die also in die Heliosphäre hinein zeigen. Der Sonnenwind hat typischerweise Geschwindigkeiten von 300 bis 650 km/s, wobei sie in extremen Fällen auch deutlich höher sein können. Dieser Themenkomplex hat den verdienten Namen "Weltraumwetter" bekommen. Was den Sonnenwind derart beschleunigt, ist bis heute nicht geklärt und daher ein weiteres wichtiges Ziel von neuen wissenschaftlichen Analysen, die durch die Solar-Orbiter-Daten ermöglicht werden sollen. Bisher bekannt ist nur, dass offenbar bestimmte Elemente, wie elektrisch aufgeladener Sauerstoff, stärker beschleunigt werden als andere. Einzelne Instrumente, wie der Sonnenwind-Analysator (SWA), werden deshalb nicht nur die Temperatur und Dichte, sondern auch die chemische Zusammensetzung des Sonnenwindes messen.

Schematische Darstellung von Sonne, Korona und Sonnenwind.
Grafik: esa, Ph.-A. Bourdin

Unser Blick auf die Sonne

Schon im Erdorbit strahlt die Sonne mit etwa 1.300 Watt/m² auf uns ein. Das ist ungefähr so viel Energie wie eine voll aufgedrehte Herdplatte abgibt. Je mehr wir uns der Sonne nähern, umso größer wird diese Energiemenge, sodass sich die Front-Seite von Solar Orbiter stark aufheizen wird. So stark, dass ein Schutzschild nötig ist, um den Satelliten und seine Instrumente von der Einstrahlung weitestgehend abzuschirmen. Während es also vorne bis zu 500 Grad heiß werden kann, liegt die sonnenabgewandte Seite der Sonde mit circa 30 bis 50 Grad noch im passablen Bereich der Betriebstemperatur. Viel heißer oder kälter sollte es nicht sein, denn sonst versagt die Elektronik oder es treten unerwünschte Störungen bei den Messungen auf.

Solar Orbiter wird während seines Fluges sowohl die Oberfläche der Sonne selbst beobachten, als auch Messungen im Sonnenwind durchführen. Dazu werden eine Reihe von Instrumenten benötigt. Die Wissenschafter erhalten Magnetfeld-Karten der Sonnenoberfläche, Spektren von der Region nahe der Sonne, aber auch die Eigenschaften des Sonnenwindes, der an der Raumsonde vorbeizieht: Temperatur, Dichte, Energie von elektrisch geladenen Partikeln wie Elektronen und Protonen und natürlich das elektrische sowie das magnetische Feld.

Das Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist federführend beteiligt am Bau und der Programmierung des Bordcomputers für das Radiowelleninstrument "RPW" (Radio and Plasma Waves), dessen Antennen ebenfalls vom IWF kalibriert wurden. Wissenschaftlich ist die Magnetometergruppe des IWF am Magnetfeldmessgerät "MAG" beteiligt.

Das IWF ist an zwei (RPW und MAG) der zehn Instrumente an Bord von Solar Orbiter beteiligt.
ESA/ATG media lab

Auf dem Weg zur Sonne

Der Weg zur Sonne ist beschwerlich, und sogar deutlich aufwendiger als der Weg aus dem Sonnensystem heraus. Der einfache Grund dafür ist die Tatsache, dass man von der Erde weg nach außen weniger Sonnenanziehung überwinden muss, als man es von der Sonne zur Erde müsste. Das liegt natürlich an der enormen Masse und Anziehungskraft der Sonne. Fliegt man jedoch zur Sonne hin (oder besser in deren Nähe), muss man eben jene Anziehungskraft durch Bremsmanöver kompensieren, damit die Raumsonde nicht einfach immer schneller wird und am Ende womöglich unkontrollierbar würde. Außerdem sind die Bremsmanöver schon alleine deshalb nötig, um in einen stabilen Orbit nahe der Sonne zu gelangen – allerdings wiederum nur so nahe, wie der Hitzeschild die Instrumente schützen kann. Das Bremsen auf dem Weg zur Sonne benötigt deshalb mehr Energie, als nötig wäre, um unser Sonnensystem zu verlassen. Deshalb waren Flüge zum Rand des Sonnensystems (und darüber hinaus) auch schon in den 1970er-Jahren möglich (siehe Voyager 1 und 2), Flüge zur Sonne hingegen sind erst mit neuester Technik realisierbar geworden.

Neben Solar Orbiter fliegt auch die NASA-Sonde Parker Solar Probe in Richtung Sonne, wobei diese zwar näher an die Sonne herankommt, durch den Schwung allerdings so schnell wird, dass sie sich weniger lange dort aufhalten wird. Im Gegensatz dazu wird Solar Orbiter durch Vorbeiflüge an der Venus deren Anziehungskraft nutzen, um der Sonne näher zu kommen. Andererseits wird Solar Orbiter auch aus der Ebene der Planetenbahnen, der sogenannten Ekliptik, heraus katapultiert, was eine einzigartige und neue Sicht auf die Pole der Sonne ermöglichen wird. Bis auf die Ulysses-Sonde (ESA und NASA) aus den 1990er-Jahren gibt es keine Daten für die Sonnen- und Heliosphärenphysik, die von außerhalb der Ekliptik stammen. Leider war Ulysses aber technisch noch nicht so ausgereift, um auch Bilder von der Sonne zu liefern und musste wegen des damals noch nicht entwickelten Hitzeschildes auch einen viel größeren Abstand zu Sonne wahren. Dies wird sich nun mit Solar Orbiter endlich ändern und Sonnen- sowie Heliosphärenphysiker weltweit sind gespannt auf die neuen Daten, die möglichst zeitnah in wissenschaftliche Artikel und Erkenntnisse umgewandelt werden sollen. Dazu laufen die Vorbereitungen bereits seit Jahren in zahlreichen Arbeitsgruppen, unter anderem auch in der Sonnen-Gruppe der Universität Graz sowie am IWF.

Missionen zur Sonne.
Foto: ESA

Eine besondere Eigenschaft des Weges durch die innere Heliosphäre ist, dass der Abstand und die Geschwindigkeit von Solar Orbiter genau zur Eigenrotation der Sonne passen, sodass die Raumsonde für eine längere Zeit genau über einem festen Punkt auf der Sonne zu "stehen" scheint und die Entwicklung von magnetisch aktiven Regionen länger verfolgen kann als es jemals zuvor möglich war. Im Video unten sieht man die Vorbeiflüge ("flyby") an den Planeten sowie die Bahn von Solar Orbiter und Parker Solar Probe (gestartet im August 2019). Rot markiert sind die interessanten Beobachtungszeiträume der beiden Raumsonden, wenn sie der Sonne am nächsten sind.

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Erdmagnetfeld und Polarlichter

Trifft ein koronaler Massenauswurf auf die Erde, stört dieser das Erdmagnetfeld mitunter so stark, dass dies zu großen elektrischen Strömen am Boden führt. Diese geomagnetischen Stürme können, neben gestörter Telekommunikation und Satelliten-Verbindungen, auch zu ernsthaften Stromausfällen von ganzen Netzen führen, wie sich bereits mehrfach gezeigt hat. Neben den Gefahren sind aber auch viele Touristen sehr interessiert daran, wann und wo sich in einer kalten Polarnacht Nordlichter beobachten lassen. Besonders schöne und intensive Polarlichter finden wir in der historischen Literatur, unter anderem in der "Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Meteorologie", wo im Jahr 1872 von solch starken Polarlichtern berichtet wird, die in ganz Europa und bis hinunter an den ägyptischen Nil sichtbar waren.

Beim Start von Solar Orbiter live dabei

Das IWF Graz öffnet am Montag, 10. Februar 2020, um 4.30 Uhr seine Türen und lädt alle Frühaufsteher zum Public Viewing des Starts von Solar Orbiter, der für 5.03 MEZ geplant ist. Das Launch-Event kann auch per Live-Stream mitverfolgt werden. (Philippe-A. Bourdin, 7.2.2020)

IWF Live Events

Philippe-A. Bourdin studierte Physik an der ETH Zürich und der Universität Freiburg, war Stipendiat am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau und promovierte an der Universität Göttingen. Seit 2013 ist er am ÖAW-Institut für Weltraumforschung (IWF) in Graz tätig und forscht zur Plasmaphysik der Sonne, des sonnennahen Weltraums und der Erdmagnetosphäre sowie zur Heizung der Korona, unter Einsatz von Großrechnern zur Modellierung von Weltraumplasma. Seit Oktober 2019 arbeitet er in enger Kooperation mit der Arbeitsgruppe Sonnen- und Heliosphärenphysik an der Universität Graz.

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