Bei Genitalverstümmelung werden zwar die Grade unterschieden. Tatsächlich lässt sich aber nicht immer genau sagen, welche Verletzungen Female Genital Mutilation (FGM) verursacht und worunter die betroffenen Mädchen als erwachsene Frauen leiden könnten.

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Ursula Walch, "Blutiges Brautgeld. Afrikas beraubte Frauen – eine Hebamme klagt an", 22 Euro / 258 Seiten. Braumüller-Verlag, 2020

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Sie war sieben Jahre alt und lebte in Mogadischu. Es war Krieg, draußen waren Schüsse und Bomben zu hören, erinnert sich Abiola* an die ersten Stunden nach ihrer Genitalverstümmelung. "Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, als das Blut in und über meinen Unterleib floss", erzählt die heute 35-Jährige. Seit 2009 lebt Abiola in Tirol, die körperlichen Wunden sind verheilt, "das Trauma wird mich ein Leben lang begleiten", sagt sie.

Am 6. Februar ist der Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung, der auf diese brutale Tradition aufmerksam macht. Diese reicht von der Entfernung der Klitoris bis hin zum vollständigen Wegschneiden der inneren Schamlippen und Zunähen der großen Schamlippen. Nur eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut bleibt.

"Die Einteilung in unterschiedliche Grade ist aber fließend, sagt die Hebamme Ursula Walch, die kürzlich ihr Buch über Female Genital Mutilation (FGM) "Blutiges Brautgeld – Afrikas beraubte Frauen" veröffentlichte. "Die Kinder wehren sich, die Hände der oft älteren Beschneiderinnen sind zittrig", sagt Walch. Da sei oft nicht klar, was weggeschnitten wird.

Mit sieben verstümmelt

Zehn Prozent der Mädchen verbluten. Die Klitoris ist stark mit Blutgefäßen versorgt. Wenn dort zu tief geschnitten wird, ist eine Blutung kaum noch zu stoppen. Alle zehn Sekunden werden die Genitalien eines Mädchens unter zwölf Jahren verstümmelt, so die Unicef. Drei Millionen Mädchen sind in Gefahr, Opfer von FGM zu werden, weltweit sind 200 Millionen Mädchen und Frauen betroffen. Am weitesten verbreitet ist FGM in westlichen, östlichen und nordöstlichen Regionen Afrikas. In Somalia sind 98 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren betroffen.

Abiola wurde gemeinsam mit zehn anderen Mädchen verstümmelt. Sogar zweimal: "Ich war als Letzte an der Reihe", erzählt sie. Sie wurde zwar mit einer Spritze anästhetisiert, die Schmerzen waren trotzdem groß. Der Krieg war der Grund, warum Abiolas Mutter keine Zeit mehr verlieren wollte.

"Sie wollte nicht das Risiko eingehen, dass sie im Krieg getötet wird und sich nicht mehr um die Beschneidung ihrer Tochter kümmern kann." Oft bekommen die Mädchen vor der Genitalverstümmelung nur wenige Tropfen Wasser, weil das Urinieren in den ersten Stunden danach sehr schmerzhaft ist.

Abiola hielt ihren ersten Toilettengang bis zum nächsten Tag zurück, irgendwann konnte sie es einfach nicht mehr halten. Sie stand auf und ging ein paar Schritte, die Naht platzte auf, und ihre Mutter holte ein zweites Mal die Beschneiderin, die sie wieder zunähte. Diesmal gänzlich ohne Betäubung.

"Die Frauen brauchen oft bis zu einer halben Stunde zum Urinieren", sagt Walch, die 2014 auch die NGO Saama für ihren Kampf gegen FGM gegründet hat. Ihr macht derzeit vor allem Sorgen, dass in Ländern, wo FGM verboten wurde, Mädchen noch früher verstümmelt werden, weil sich das leichter verheimlichen lässt.

Abiola bekam mit 19 Jahren ihr erstes Kind, ihre Geburtshelferin öffnete sie für die Geburt. Nach der Geburt wollte sie nicht mehr wie andere Frauen "zugenäht" werden. Zunähen, schmerzhafter Geschlechtsverkehr, für eine Geburt wieder öffnen – für viele Frauen geht das über Jahre so. "Es dauert viele Generationen, bis sich das Bewusstsein über FGM ändert", sagt Abiola.

Lernen, auch sich zu achten

Auf einen Perspektivenwandel zielt auch das im Juli 2019 gestartete Projekt Women Care des Roten Kreuzes ab. Dafür werden unter anderem in Tirol Workshops zu Frauengesundheit und speziell zu FGM abgehalten. Laut Schätzungen sind in Österreich 8000 Frauen betroffen.

In den Women-Care-Workshops wird etwa über die Unterschiede im medizinischen Umgang mit FGM in Österreich und Somalia informiert, etwa, warum in Österreich das Zunähen nach einer Geburt verboten ist und dass FGM unter den Straftatbestand der schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen fällt.

"Die Frauen sind aber nicht nur Informationsempfängerinnen", sagt Doris Olumba, Leiterin des Bereichs Flucht und Migration beim Tiroler Roten Kreuz. Die Workshops dienen auch für einen Austausch unter den Frauen. "Die Frauen kommen aus einem Kriegsland und waren lange in einem Überlebensmodus, in dem ihre Gesundheit keine Rolle spielte." Jetzt können sie lernen, wie sie auf sich achten, sagt Olumba.

Auch das Wiener Frauengesundheitszentrum Fem Süd kümmert sich seit über zehn Jahren um betroffene oder bedrohte Frauen und Mädchen. Die Ärztin Umyma El-Jelede führt dort Beratungen durch und arbeitet auch bei der Ambulanz für FGM-Patientinnen im Wiener Wilhelminenspital.

Dorthin kommen die meisten Frauen wegen Komplikationen nach einer Beschneidung, Problemen während der Periode, Unterleibsentzündungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, erklärt El-Jelede. Auch Rückoperationen, sogenannte Defibulationen, werden durchgeführt. Diese sind zwar keine vollständigen Rekonstruktionen, sie können allerdings chronische Komplikationen beheben.

Kontrolle der Sexualität

Mindestens 100 Frauen kommen pro Jahr in die Ambulanz, schätzt El-Jelede. Hinter der tiefverankerten Tradition steckt eine Vorstellung von "Reinheit", sagt El-Jelede, "doch vor allem geht es um die Kontrolle der Sexualität". Auch der Schutz der Gebärmutter wird als "Grund" herangezogen, das soll das Zunähen nach Geburten rechtfertigen. Bei einem Verdacht, dass ein Mädchen beschnitten werden soll, arbeitet Fem Süd eng mit dem Jugendamt zusammen. Es gibt Fallkonferenzen, Gespräche mit den Eltern und regelmäßige medizinische Kontrollen in den Spitälern.

Nicht für alle Frauen und Mädchen ist FGM ein Asylgrund. Gibt es innerstaatliche Fluchtalternativen in Gebiete, wo kein oder kaum FGM praktiziert wird, wird FGM als Asylgrund nicht immer anerkannt. Die Frau könnte schließlich in diese Gebiete gehen.

Abiolas Mutter findet es bis heute richtig, dass sie ihre Tochter beschneiden ließ. Natürlich war sie wütend auf ihre Mutter, "aber meine Mutter ist meine Mutter". Doch bei Abiola und ihren Töchtern findet zumindest in ihrer Familie diese Tradition nun ein Ende. (Beate Hausbichler, 6.2.2020)