Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Déjà-vu: Wertschätzung ist wieder ein großes Thema, darüber wird wieder geredet. Schon sehr lange wird in Führungsseminaren gelehrt, dass einmal Schulterklopfen und ein Jahresbonus nicht das ist, was Menschen (Mitarbeitenden) das sichere Gefühl gibt, anerkannt und wertgeschätzt, gesehen, gefragt und informiert zu werden. Schon gar nicht, keine Nummer zu sein, gebraucht zu werden.

Schon sehr lange ist bekannt, dass Wertschätzung weder täglich abzuhakendes To-Do noch antrainierte Methode, sondern aus innerer Haltung gespeistes und im Außen erlebbares Verhalten als Mensch mit echtem Interesse anderen Menschen gegenüber ist. Jetzt kommt noch etwas dazu: das Vermitteln vom Sinn in der Arbeit, die Antwort auf die Frage "why?". Warum ist gerade ein Wertschätzungshype im Gange? Die beiden Geschäftsführer des Dienstleisters Sodexo, Michael Freitag und Andreas Sticha, haben Antworten.

Andreas Sticha, Michael Freitag (Sodexo): "Alle denken jetzt massiv um."
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STANDARD: Wertschätzung ist gerade das (alte) neue Ding – warum?

Freitag: Es ist schwieriger, die richtigen Talente zu finden und zu halten. Die Attraktivität als Arbeitgeber ist das große Thema. Kundenseitig ist die Relevanz klar: Es macht einen Unterschied, ob der Mitarbeiter, der Essen ausgibt, lächelt, weil er gerne arbeitet und weiß, warum, oder eben nicht. Die Motivation der Mitarbeiter ist heute auch eine andere, das liegt wesentlich an den Jungen, an der demografischen Kurve. Ein Firmenauto in guter Ausstattung inklusive Privatnutzung – das reicht heute nicht. Es muss zumindest elektromobil sein oder die Jahreskarte für die Öffis. Für viele geht es heute überhaupt um etwas anderes, um mehr als monetäre Dinge. Um Zeit, sich zu entwickeln, etwa. Um die erlebte Möglichkeit, gesund zu arbeiten. Es wird individueller.

Sticha: Werte stecken ja schon im Wort Wertschätzung. Da geht es stark auch um gelebte Grundwerte wie Respekt, darum, Erfolge auch sichtbar zu feiern, um Feedback. Nicht nur um Lob, auch um korrektive Rückmeldungen – das ist schwer zu fassen, gewinnt aber enorm an Bedeutung.

STANDARD: Eine Frage der Führungs- und Unternehmenskultur ...

Sticha: Zeit zu investieren ist zentral. Es menschelt. Zwar gibt es dutzende Freunde auf Social Media, aber die Menschen werden tendenziell einsamer.

Freitag: Unternehmen merken jetzt, dass sie in all der Beschleunigung – Stichwort Digitalisierung – Menschen verlieren, wenn sie Wertschätzung nicht in den Fokus nehmen. Das ist eine Bringschuld der Vorgesetzten, die Basis ist Vertrauen. Das muss vorgelebt werden und sich kaskadieren im Unternehmen.

STANDARD: Mit Kontrolle geht das wohl nicht.

Freitag: Nein, ein Indikator für wertschätzendes Klima ist: Wer traut sich, sich einzubringen und seine Meinung zu sagen? Dazu gehört natürlich auch Freiraum.

STANDARD: Das wird manchmal mit Nettsein verwechselt, oft folgt das große Erstaunen: Warum klappt das nicht, ich bin ja nett?

Sticha: Für mich als Führungskraft ist wichtig: Stop being nice, start being fair.

Freitag: Es geht nicht um eine höfliche Fassade, sondern um handfeste Signale, etwa Vertrauensarbeitszeit. Einschätzbar, berechenbar und konsequent. Die Mitarbeiter müssen klar wissen, was geht und was nicht. Und wie die Firma die gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt. Die Aktivitäten im Bereich Corporate Social Responsibility sind ein zunehmend starkes Instrument der Wertschätzung – auch den Mitarbeitern für soziales Engagement freizugeben oder Corporate-Volunteering-Programme anzubieten.

STANDARD: Zu Ihrem Geschäft: Was beobachten Sie in Ihrem Kundenportfolio, wohin geht der Trend in Sachen Benefits?

Freitag: Jede Branche hat zwar ihre eigenen Gesetze, aber alle gehen gerade einen massiven Umdenkprozess an. Lebensqualität ist das große Thema dabei. Dazu gehört natürlich gutes, qualitätsvolles Essen. Coaching und Ernährungsberatung ist zwar immer schon dabei in unseren Packages, aber jetzt wird es intensiv gefragt – Tendenz extrem steigend. Dazu gehört Hilfe bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Betreuungsschecks – Tendenz stark steigend.

Sticha: Übrigens: Unser Geschäft war bis jetzt analog, in Papierform. Das geht gerade ins Digitale, beispielsweise in aufladbare Karten. Da müssen sich Unternehmen jetzt in Sachen Kommunikation etwas überlegen, um diese Geste der Wertschätzung auch gut sichtbar zu machen. Employee-Assistance-Programme sind ebenso ein starker Wachstumsmarkt. Unternehmen bieten zunehmend für alle zugänglich anonymisiert Hilfe und Beratung in Krisen, in schwierigen Lebenssituationen, psychologisch, rechtlich und auch präventiv. (red, 11.2.2020)