Der "weed guy" ist wieder mit dem Fahrrad quer durch Brooklyn unterwegs: Hauptdarsteller, Regisseur und Autor Ben Sinclair.


Foto: David M. Russell / HBO

Lässt sich Intimität koordinieren? Die Frage taucht auf, als sich eine Frau am Buffet eines Filmsets einem auf Anhieb sympathischen Mann vorstellt. Als "intimacy coordinator", so erklärt sie, kümmere sie sich um das Wohlbefinden von Schauspielerinnen und Schauspielern bei Sexszenen. Entscheidend dabei: "Grenzen, Grenzen, Grenzen!" Niemand müsse etwas tun, was sie oder er nicht wolle. Erst später wird sich herausstellen, dass für ihre neue Bekanntschaft schon eine bloße Umarmung eine Qual bedeutet.

Die natürlich wirkende Beiläufigkeit, mit der hier von einem ungewöhnlichen Beruf, von kleinen und großen Hürden beim Zusammenleben erzählt wird, zeichnet die Serie aus, in der wir ihr in Form gelassener Empathie ständig begegnen: High Maintenance wirft auch in der vierten Staffel, zu sehen ab heute, Freitag, auf HBO und hierzulande ab 18. Februar auf Sky, Schlaglichter auf ein buntes Spektrum New Yorker Großstadtexistenzen. Und zwar nicht nur auf junge Urban Professionals, sondern schon in der Vergangenheit unter anderem auf eine chinesische Familie, die vom Schrottsammeln lebt. Hipster in Gegenden Brooklyns wie Williamsburg oder Greenpoint kommen natürlich in den Geschichten vor, sind aber nicht ihr Anker. Immer ist es das Alltägliche, das selbst im zunächst Ungewöhnlichen akzentuiert wird.

Dealer als Türöffner

Dass sich High Maintenance nicht auf Menschen aus Milieus beschränkt, die man gleich auf den ersten Blick um ihre Wohnungen beneidet, verdankt sich dem cleveren Grundprinzip der Serie: Ein nur als "weed guy" bekannter Cannabisdealer, der seine Rauchwaren mit dem Fahrrad quer durch New York ausliefert, fungiert als Türöffner zu einem menschlichen Panoptikum. Begleitet wird er in den neuen Folgen von einem einäugigen, auf der Straße aufgelesenen Hund. Der Drogenkonsum ist in High Maintenance beiläufig, Ausgleich zu einem fordernden Alltag und im Grunde Nebensache. Selbst vom üblichen Kifferhumor findet sich keine Spur.

Trailer zur vierten Staffel von "High Maintenance".
HBO

Bevor Ben Sinclair den bärtigen Dealer spielte, war er auf die Darstellung mehr oder weniger irrer Obdachloser abonniert. Um der Klischeerolle zu entkommen, riefen er und seine damalige Frau, die für ihre Arbeit an der Serie 30Rock ausgezeichnete Castingdirektorin Katja Blichfeld, im Jahr 2012 High Maintenance mit minimalem Budget als Webserie ins Leben. In 19, nur fünf bis 20 Minuten langen Folgen erzählten sie auf Vimeo konzise von Menschen mit Angststörung, von einem asexuellen Zauberer, rücksichtslosen Airbnb-Gästen und dem Schrecken, den eine Maus in der eigenen Wohnung verbreiten kann.

Die damals entwickelte visuelle Kurzschrift zeichnet die Serie noch heute aus. Daran hat die Übernahme durch den Kabelriesen HBO im Jahr 2016 nichts geändert. Nur die Länge der Folgen ist auf 30 Minuten angewachsen und bietet Gelegenheit, mehr Figuren miteinander zu verweben. Da die Episoden für sich allein stehen, sind wir vom Binge-Watching befreit.

Aus dem Leben gegriffen

Sinclair und Blichfeld, nach wie vor als Autoren- und Regieduo für High Maintenance verantwortlich, sind Meister der Beobachtung. Meist brauchen sie nur wenige Sätze und Gesten, um ihre Figuren bei aller Unterschiedlichkeit wie aus dem Leben gegriffen erscheinen zu lassen. Das gilt in der Auftaktfolge der neuen Staffel für einen sich als lebendes Glückwunschtelegramm verdingenden Mann ebenso wie für eine Frau, die ihre Eltern unbedingt wegen ihrer ungewöhnlichen Beziehungsgeschichte für eine Radiosendung interviewen will – und scheitert. High Maintenance hat für sie keinen Spott übrig, sondern für uns die Überraschung, dass wir uns in ihnen allen ein wenig wiedererkennen können.

Wenn denn ein Mann einer "Intimitätskoordinatorin" zuliebe daran geht, seine eigenen, eng gezogenen Grenzen zu überwinden, ist das im Fall von High Maintenance, ohne auch nur ansatzweise auf die Tränendrüsen zu drücken, tatsächlich berührend. Am Ende steht die Erkenntnis, dass das große Bindemittel der Serie nicht das Gras, sondern von mitfühlendem Humor getränkte Menschlichkeit ist. Da darf dann auch mit dem "weed guy" auf einer Party ordentlich getanzt werden. (Karl Gedlicka, 7.2.2020)