Lautlos schwimmt der Hai auf ein Beutetier zu und reißt sein Maul auf. Doch als er zubeißen will, schießt ihm eine gallertartige Masse in den Rachen. Irritiert versucht der Raubfisch, die zähflüssige Masse auszuspucken – und dem Schleimaal gelingt die Flucht.

National Geographic

"Super Trick, oder?", sagt Lukas Böni und grinst, als er die Stopptaste drückt. Der Forscher von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich hat sich das Video schon unzählige Male angesehen. Immer ist er aufs Neue beeindruckt. Zumal Schleimaalen wenige Tropfen Geliermittel ausreichen, um riesige Mengen Schleim zu erzeugen. Die schwabbelige Masse, mit der sie die Angriffe von Raubfischen zurückschlagen, besteht zu fast hundert Prozent aus Wasser. "Bis heute ist es der Menschheit nicht gelungen, ein auch nur annähernd gleich starkes Bindemittel für Flüssigkeiten zu entwickeln", erzählt Böni.

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Die gallertartige Masse, die der Schleimaal, absondert, schreckt sogar Haie ab.
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Seit mehr als 300 Millionen Jahren gibt es Schleimaale. Sie haben den großen Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen Jahren sowie mehrere Eiszeiten überlebt und bevölkern bis heute die Meere. In erster Linie ernähren sie sich von Aas. "Als eine Art Totengräber der Meere erfüllen sie eine wichtige ökologische Aufgabe", so Böni.

Die alten Römer

Der wirtschaftliche Nutzen der Schleimaale fällt dagegen bescheiden aus. Immerhin: Bereits die alten Römer verarbeiteten ihre Haut zu Peitschenschnüren. Und bis heute werden aus diesem "Leder" Gürtel, Schuhe, Handtaschen und Stiefel hergestellt. George W. Bush etwa trug am 20. Januar 2001 bei seinem Amtsantritt als US-Präsident Schuhe aus Schleimaalleder.

Lukas Böni interessiert sich vor allem für das Sekret dieser Tiere. Er gehört zu einem Forscherteam um Peter Fischer, Professor am Institut für Lebensmittelverfahrenstechnik der ETH Zürich, das Fließeigenschaften untersucht: zum Beispiel von Honig, Käsefondue – oder eben Schleimaalgel. Gemeinsam mit Projektpartnern aus Ålesund (Norwegen) fährt Böni zum Schleimaalfang in die Fjorde hinaus. Etwa 80 Meter tief lassen die Männer dann mit Fischereiabfällen gefüllte Kanister, in die sie Löcher gebohrt haben, an Stahlseilen auf den schlammigen Meeresgrund hinab.

Kaum hat der Kanister den Meeresboden erreicht, kriechen erste Schleimaale aus dem Schlamm und schlüpfen durch die Öffnungen in das Behältnis: "Sie haben eine sehr feine Nase", sagt Böni. Hieven die Männer den Kanister später an Bord ihres Motorboots, winden sich die schmutzig-rosafarbenen Schleimaale heraus. Viele hundert Stück sind es oft, bis zu 60 Zentimeter lang. Der Transport bis in die Schweiz wäre mit zu viel Stress verbunden. "Die Tiere könnten dabei so viel schleimen, dass sie selbst daran ersticken", sagt Böni. "Aber man kann sie melken."

Diesen Aal kann man melken

An den Flanken haben Schleimaale dutzende Drüsen, die bei Gefahr das Geliermittel absondern. Zum "Melken" nimmt Böni einzelne Tiere kurz aus dem Wasser und betäubt sie mit Nelkenöl. Dann stimuliert er mit einem leichten Elektroschock die Ringmuskeln um die Drüsen, bis das Sekret herausquillt. Mit einem Skalpell streift er die Flüssigkeit ab und gibt sie in ein luftdicht verschließbares Reagenzglas. Die Tiere kommen in ein Aufwachbecken und werden danach wieder freigelassen.

Das Sekret hat zwei Hauptbestandteile, wie Forscher aus den USA im Jahr 1981 nachwiesen: extrem elastische Proteinfäden und sogenannte Muzine, welche die Fäden miteinander vernetzen. Ein Teil der Zellen in den Schleimdrüsen produziert Muzine, der andere Proteinfäden. Bei Gefahr werden beide Zelltypen ruckartig ausgestoßen, die Plasmamembranen reißen, und die Fäden und Muzine kommen frei. "Sie interagieren und bilden die Matrix, die das Wasser bindet", erklärt Böni. "Wie ein Zweikomponentenkleber für Flüssigkeiten."

Winzige Mengen des Schleimaalsekrets reichen für hektoliterweise Flüssigkeit. "Es ist etwa so, als könnte ein Stückchen Würfelzucker das Wasser einer randvollen Badewanne zu zähem Schleim binden", sagt Böni. "Innerhalb weniger Zehntelsekunden." Besonders verblüffend: Das Protein, das in den Drüsenzellen als winziges Knäuel von der Dicke eines menschlichen Haares vorliegt, ist in der glitschigen Masse bis zu 20 Zentimeter lang. Bei Wasserkontakt wickeln sich die Knäuel blitzschnell auf.

Statt erdölbasierten Gelen

Produktentwickler freuen sich. Denn die meisten herkömmlichen Gele sind erdölbasiert – und dadurch schwer biologisch abbaubar. Dieser Schleim dagegen enthält keine umweltschädlichen Substanzen. Das Problem: Die Masse bildet sich schnell wieder zurück. Anfangs konnten die ETH-Wissenschafter ihn nur einen Tag lang konservieren. Inzwischen bringen sie es auf eine Woche. Eines ihrer Fernziele ist es, das Gel dauerhaft stabil zu halten.

Dann winkt dem Schleimaalsekret eine große Karriere. Auch weil die meisten Kunststoffe über die Jahre brüchig werden. Die Zugabe von Schleim könnte Autoreifen, Stents (Implantate zum Offenhalten von Herzkranzgefäßen) und künstliche Gallenblasen langlebiger machen. Die Saugfähigkeit von Babywindeln ließe sich optimieren, und auch Landwirte könnten profitieren: Bei der klassischen Berieselungstechnik verdunstet sehr viel Wasser über den Feldern. Läge die Feuchtigkeit als Schleim vor, wäre sie besser geschützt und könnte sparsamer abgegeben werden.

Ein besonderes Augenmerk vieler Forscher liegt auf den so wunderbar elastischen und reißfesten Proteinfäden im Schleim: Wissenschafter aus Kanada wollen nach dem Vorbild dieser Fäden eine Art Zwirn herstellen, der erdölbasierte Fasern wie Nylon und Lycra ersetzen könnte.

Supergel gegen Terroristen

Die wohl kuriosesten Forschungsprojekte laufen in den USA: An der Utah State University hat es sich ein Team zum Ziel gesetzt, mit Schleim Anschläge von Terroristen auf hoher See abzuwehren. Zähflüssiger Schleim soll die Schiffsschrauben ihrer Boote lahmlegen. Und Wissenschafter vom Naval Surface Warfare Center in Panama City wollen mit dem Supergel gar Torpedos abfangen.

Lukas Böni und seine Kollegen präsentierten unlängst eine weitere Anwendung: Schleimtofu. Rührt man das Sekret dieser Tiere in Sojamilch ein, wird der Tofu knackiger. "In Korea gelten Schleimaale übrigens selbst als Spezialität", erzählt der ETH-Forscher. Einmal habe er davon gekostet. "Schmeckte recht gut." Noch einmal würde er dennoch nicht zugreifen. "Ich arbeite seit Jahren eng mit diesen Tieren zusammen", sagt er. Da baue man eine Beziehung auf. "Es fühlte sich an, als würde ich mein Haustier verspeisen." (Till Hein, 7.2.2020)