Nicola Werdenigg will keine Miesepetra sein. "Der Skiverband bricht in eine moderne Richtung auf. Er stellt sich der Diskussion", sagt die 61-jährige Ex-Skirennläuferin. Also alles auf Schiene, alles gut? "Nein, eine Organisation, in der etwas vorgefallen ist, kann sich nicht selbst kontrollieren. Das geht nicht."

Nicola Werdenigg: "Eine Organisation, in der etwas vorgefallen ist, kann sich nicht selbst kontrollieren."
Foto: Standard/Cremer

Am Mittwoch hatte der Österreichische Skiverband (ÖSV) seine Initiative "Optimal Sports" präsentiert. Es ist dies eine Spätfolge der von Werdenigg im Jahr 2017 erhobenen Missbrauchsvorwürfe. Bei der Vorstellung in Wien sah sich ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in der Bringschuld: "Im Moment trainieren wir die Sportler. Aber wir haben eine größere Verantwortung." So soll "Optimal Sports" auch "das Drumherum" beinhalten. Ein Verband, sagt der Präsident, müsse sich regelmäßig eine Vision geben.

"Man muss nichts neu erfinden"

Wer Visionen hat, braucht nach einem Bonmot von Ex-Kanzler Franz Vranitzky einen Arzt – oder auch eine Ärztin. Die ist in diesem Fall Martina Leibovici-Mühlberger. Sie hat das Konzept von "Optimal Sports" entwickelt. Im Ehrenkodex wird festgehalten, dass "jede Form von Übergriffen in Gesten, Worten, Handlungen oder Taten" zu unterlassen sei. Zudem wird im Verdachtsfall eine klare Maßnahmenkette befolgt. Vorwürfe sollen einer von Leibovici-Mühlberger geleiteten Stabsstelle gemeldet werden. Es folgt eine Bewertung – und gegebenenfalls die Weiterleitung der Causa an die zuständigen Behörden.

Der ÖSV, also Präsident Schröcksnadel, betont, dass es sich bei "Optimal Sports" um eine externe, unabhängige Anlaufstelle handelt. "Aber wer richtet die Stelle ein, wer gibt den Auftrag?", fragt Werdenigg. Es gäbe mit dem vom Sportministerium eingerichteten Verein 100% Sport bereits ein Kompetenzzentrum in Sachen Prävention von sexualisierter Gewalt. Werdenigg: "Es ist alles vorhanden, man muss nichts neu erfinden. Es hilft nichts, wenn jeder Verband seine eigene Stelle installiert, wenn 15 lose Fäden in der Luft hängen."

Claudia Koller: "Der Skiverband geht seinen eigenen Weg. Ein koordiniertes Vorgehen wäre dennoch wünschenswert."
Foto: : 100% Sport

Bei 100% Sport fühlt man sich ob der gestreuten Rosen geehrt. "Es freut uns, dass Frau Werdenigg unsere Arbeit hervorhebt", sagt Geschäftsführerin Claudia Koller. Die Initiative des ÖSV sei prinzipiell zu begrüßen: "Es ist ein Statement. Wichtig wäre es, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Oft braucht es Vorfälle, bis etwas unternommen wird."

Bevor Werdenigg mit ihrer Geschichte im STANDARD an die Öffentlichkeit ging, sei es schwierig gewesen, mit dem Thema Missbrauch im Sport durchzudringen. Jeder Versuch der Prävention sei als impliziter Vorwurf betrachtet worden. Koller: "Es gab großen Widerstand. Bei uns gibt es so was nicht – das war der allgemeine Tenor. Mit Werdenigg wurde ein Stein ins Rollen gebracht. Die Beachtung, die der ÖSV unfreiwillig bekommen hat, hat vieles bewirkt. Keine Organisation kann die Augen verschließen. Niemand kann sagen, das geht uns nichts an."

Gespräche zwischen dem ÖSV und 100% Sport hätte es gegeben, eine weiterführende Zusammenarbeit habe aber nicht stattgefunden. "Der Skiverband geht seinen eigenen Weg. Diese Entscheidung ist zu respektieren. Ein koordiniertes Vorgehen wäre dennoch wünschenswert", sagt Koller.

Geöffnete Türen

Ironie am Rande: 100% Sport hat sich mit dem Projekt "WoMen Go Sport – Skijumping" einst für Chancengleichheit im Skisprung starkgemacht. Eine Sparte, auf die der Verband angesichts der zahllosen Erfolge seiner Athletinnen mittlerweile besonders stolz ist.

"Ich bin guter Dinge, dass wir uns in Zukunft mit dem ÖSV zusammenfinden. Wir arbeiten an denselben Zielen", sagt Koller. 100% Sport wolle sich jedenfalls nicht verschließen: "Wir suchen immer das Gespräch. Wir werfen die Türe bestimmt nicht zu, ganz im Gegenteil." (Philip Bauer, 6.2.2020)