Susanne Wiesinger, bis vor kurzem Ombudsfrau im Bildungsministerium, stellte ihr neues umstrittenes Buch vor. Kontroversen gab es nicht, dafür Applaus aus dem Publikum.

Foto: Robert Newald

Die konventionellen Theorien über Warteschlangen in Buchhandlungen erwiesen sich am Mittwochabend beim Thalia in Wien Mariahilf als falsch. Vergünstigte Bücher? Nein. Jemand hat "sicher noch irgendwo eine Kundenkarte vom letzten Mal dabei", kann sie aber trotz einer minutenlangen Suchaktion partout nicht im Geldbörserl aufstöbern? Auch nicht. Personaleinsparungen an der Kasse, weil der stationäre Buchhandel in Zeiten von Amazon und Lesefaulheit in der Krise steckt? Falsch – genauso wie die Theorie, dass Saša Stanišic und Stefanie Sargnagel da sind, um eine gemeinsame Lesung abzuhalten.

Schon mehr als eine halbe Stunde vor Beginn der Präsentation standen die Besucher Schlange.
Foto: Robert Newald

Tatsächlich galt der Platzkampf im Auditorium dem "Machtkampf im Ministerium" – jenem Buch der Wiener NMS-Lehrerin Susanne Wiesinger, das vor zwei Wochen landauf landab diskutiert wurde und in der Edition QVV des Red-Bull-Gründers Dietrich Mateschitz verlegt wird. Die Autorin, aufgrund türkiser Bestellung bis zur Veröffentlichung auch weisungsfreie Ombudsfrau für Wertefragen im Bildungsministerium, kritisiert darin den parteipolitischen Einfluss im Schulsystem sowie einen vermeintlichen Kontrollwahn des Kabinetts. Garniert wird dies mit anekdotischer Evidenz über die Auswüchse des konservativen Islam an heimischen Schulen, die sie bei ihren vielfachen Gesprächen mit Direktoren und Lehrern in ganz Österreich mitbekommen habe.

Wer all dies noch einmal hören wollte, kam bei der Buchpräsentation durchaus auf seine Kosten. Dass besonders viele Lehrerkollegen im Publikum saßen, wurde deutlich, als Wiesinger über die Inkompetenz der Verantwortlichchen im Schulsystem herzog: "Alles, was wir früher im Lehrerzimmer über die oberen Hierarchien geschimpft haben, hat sich bewahrheitet", fasste sie ihre Erkenntnis nach einem Jahr als Ombudsfrau im Inneren des Apparats zusammen. Dafür gab es Szenenapplaus und viele "Ja, stimmt"- Rufe der Zuhörerschaft.

Für die richtigen Fragen an Wiesinger sorgte Addendum-Journalist Jan Thies. Wirklich überrascht dürfte er von den Antworten allerdings nicht gewesen sein, denn er fungierte als Co-Autor des Buches.

Addenum-Journalist Jan Thies (rechts auf der Bühne) stellte die Fragen. Er wirkte auch am Buch mit.
Foto: Robert Newald

Auch die anschließenden Wortmeldungen des Publikums boten keinen Stoff für Kontroversen, eher noch für ein drittes Wiesinger-Werk. So beklagte etwa eine Lehrerin, dass muslimische Schüler bisweilen das Ankreuzen bei Tests verweigerten, weil darin das Kreuz als Symbol des Christentums stecke. Was von Wiesinger umgehend bestätigt werden konnte. Mancherorts würden muslimische Schüler gar die Wanderschaft boykottieren, um nicht mit dem Gipfelkreuz in Kontakt zu geraten, ergänzte sie.

Schädliche Ideologien

Nach dem Gespräch bildete sich abermals eine Warteschlange, diesmal um eine persönliche Widmung zu ergattern. Und der Autorin persönlich für ihren "riesigen Mut" zu danken, wie es eine Dame formuliert, die sich als Berliner Lehrerin vorstellt. In ihrer Heimatstadt würde es gegen Wiesingers Thesen, insbesondere die Kritik am konservativen Islam und den Sprachproblemen von Migranten, Demos vor der Buchhandlung und Rechtsextremismusvorwürfe geben, glaubt die Berlinerin. "Rechtsextrem, das wurde mir in Wien auch schon gesagt", relativiert Wiesinger kopfschüttelnd, einst sozialdemokratische Gewerkschafterin.

Von der SPÖ, von der Gewerkschaft, von Parteien allgemein zeigt sie sich mittlerweile ernüchtert. Das Grundproblem sei, dass das Schulsystem von widerstrebenden Ideologien umkämpft und blockiert sei. Was es brauche, sei ein "ideologiefreier" Zugang. Und den verortet Wiesinger naturgemäß bei Wiesinger: Ideologisch, das sind immer die anderen. (ta, 7.2. 2020)