Emmanuel Macron hat am Freitag seine für französische Oberbefehlshaber übliche Rede zur Atomwaffendoktrin des Landes gehalten. Auch wenn er weiterhin die Befehlshoheit über die Nuklearwaffen behalten möchte, bot der Präsident seinen europäischen Partnern einen "strategischen Dialog über nukleare Abschreckung" sowie die Teilnahme an entsprechenden Militärübungen an. Es ist dies wohl ein erster von vielen kleinen Schritten, die die Unionsbürgerinnen und -bürger langsam an den Besitz nuklearer Waffen gewöhnen sollen – bis sich eines Tages die gesamte EU unter Frankreichs nuklearem Schutzschirm befindet, alle EU-Staaten dafür zahlen und alle für deren moralische Folgen geradestehen müssen.

Emmanuel Macron beim Besuch von "Le Terrible", dem Schrecklichen. Die 16 Raketen des Atom-U-Bootes haben insgesamt die 700-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Atomwaffen unter die EU-Flagge zu stellen wäre aber keine sonderlich gute Idee. Zahlreiche Experten gehen davon aus, dass die knapp 300 Atomsprengköpfe Frankreichs zwar die denkbar schrecklichsten Folgen haben könnten, aber für eine umfassende Abschreckung auf dem Kontinent dennoch nicht ausreichen würden. Eine weitere Aufrüstung wäre die logische Folge. Es wirkt außerdem kurios, eine engere europäische Verteidigungskooperation just am konfliktträchtigsten Punkt aufzuhängen. Gelten doch Irland und Österreich als prononcierte Verfechter eines Verbots von Nuklearwaffen und zahlreiche weitere Staaten als Gegner dieser menschenverachtenden Waffen.

Ebenfalls Macron beim Besuch eines französischen Atom-U-Bootes. Die "Suffren" wurde erst im vergangenen Jahr eingeweiht. 67 Prozent der Französinnen und Franzosen sprechen sich laut Umfragen für ein globales Verbot von Nuklearwaffen aus.
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Ihr Einsatz braucht zudem klare und vor allem schnelle Kommandostrukturen. Die EU ist von solchen weit entfernt. Auch sieht es derzeit nicht danach aus, als wollten die EU-Staaten ihre Souveränität in Fragen der Staatsgewalt und der Verteidigung so bald aufgeben. Aber sollte je eine Atomwaffe unter EU-Flagge gezündet werden, geschähe dies im Namen aller, nicht nur Frankreichs.

Macron hat das Datum seiner Rede nicht zufällig gewählt. Die internationale Rüstungskontrolle ist ob des mangelnden Kooperationswillens der USA und Russlands akut gefährdet. Fast genau in einem Jahr droht mit "New Start" der letzte große Rüstungsbegrenzungsvertrag ohne Verlängerung auszulaufen. Auch ist Frankreich seit dem Brexit die einzige EU-Atommacht. Die Zeit scheint für Paris günstig, sich als Verteidiger Europas zu inszenieren und von den EU-Staaten dafür einen fairen Beitrag einzufordern. Aber statt um 37 Milliarden sein Atomwaffenarsenal zu modernisieren, sollte sich Frankreich lieber um eine weltweite Abrüstung bemühen – und das Ende aller Atomwaffen. (Fabian Sommavilla, 7.2.2020)