Knapp eine Million Menschen in Österreich pflegen Angehörige. Etwa 100 werden dafür bezahlt.

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Seit vier Monaten stellt das Land Burgenland pflegende Angehörige über eine gemeinnützige Landestochter an. Sie bekommen also Gehalt, Urlaub und Krankenstandsvertretung und sind versichert.

Nachdem Wien Interesse bekundet hat, ziehen weitere Länder, zuletzt Oberösterreich, nach und prüfen, ob sich das Konzept auch für sie eignet. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte beim Auftakt seiner Pflege-Dialogtour am Freitag, er werde sich ein Bild vor Ort machen und gehe "total offen" in diesen Dialog hinein.

Doch wieso pflegt das Burgenland so vorbildlich, und welche Tücken sind im Konzept verborgen?

Frage: Wie viele Menschen pflegen ihre Familienmitglieder unbezahlt?

Antwort: Fast eine Million Österreicherinnen und Österreicher pflegen einen Angehörigen. Ein Drittel davon ist laut der Arbeiterkammer (AK) berufstätig. 73 Prozent von ihnen sind Frauen. Mehr als 175.000 Menschen werden ausschließlich von Angehörigen gepflegt. Zum Vergleich: Knapp 100.000 Menschen – das ist ein Fünftel aller Pflegegeldbezieher – sind in Pflegeheimen untergebracht, 150.000 nehmen mobile Dienste in Anspruch.

Frage: Und die Angehörigen wurden bisher alleingelassen?

Antwort: Nein. Schon jetzt kommt man ihnen entgegen, etwa bei der Pensionsversicherung, da übernimmt der Bund die Beitragskosten für viele pflegende Angehörige. Auch das Sozialministerium schießt zu: maximal 2.500 Euro im Jahr, wenn der Pflegling dement oder minderjährig und auf Pflegestufe sieben ist. Außerdem plant die türkis-grüne Regierung einen Pflege-daheim-Bonus von maximal 1.500 Euro im Jahr.

Frage: Und wie viel bekommen die Angehörigen nun im Burgenland?

Antwort: Entsprechend dem neu eingeführten burgenländischen Mindestlohn verdienen pflegende Angehörige 1.700 Euro netto, wenn sie Vollzeit arbeiten. Das ist nur möglich, wenn der Pflegling auf der Pflegestufe fünf oder höher ist. Bei Pflegestufe vier arbeitet der Angehörige 30 Stunden und bekommt dafür 1.430 Euro, bei Stufe drei bekommt er für 20 Stunden 1.022 Euro. Darunter ist die Anstellung nicht möglich.

Frage: Was ist, wenn nach 40 Stunden nicht fertiggepflegt ist?

Antwort: In seiner Arbeitszeit hat der Betreuer bestimmte Rechte und Pflichten, etwa Aufzeichnungen zu führen und Qualitätsvorgaben einzuhalten, eine Gleitzeitregelung soll für Flexibilität sorgen. Eine Arbeitszeit von 40 Stunden darf aber nicht überschritten werden. Den Rest der Zeit sind die Betreuer einfach nur Familienmitglieder und betreuen aus privater Veranlassung – unentgeltlich.

Frage: Und woher kommt das Geld?

Antwort: Aus drei Quellen. Vom Pflegegeld des Pfleglings werden je nach Pflegestufe 60 bis 90 Prozent abgezogen. Auf Pflegestufe fünf etwa beträgt das Pflegegeld 936,90 Euro, davon gehen 80 Prozent, also rund 750 Euro, an den Pflegenden. Außerdem wandert jenes Einkommen des Pfleglings, das über dem Richtsatz von 885 Euro liegt, in den Selbstbehalt und damit in das Gehalt des Betreuers. Das Land Burgenland fördert die Lohnkosten inklusive Lohnnebenkosten und die Kosten für den Betreuungsersatz während eines Urlaubs – der Betreuer hat fünf Wochen Urlaubsanspruch – oder Krankenstandes. Das Burgenland hat dafür bis Ende 2020 sechs Millionen Euro budgetiert. Um alle 600 Personen anzustellen, die für das Modell infrage kämen, brauchte man 13 Millionen Euro jährlich.

Frage: Das ist viel Geld, oder?

Antwort: Na ja. In Summe flossen laut AK 2018 6,7 Milliarden Euro in verschiedene Bereiche der Pflege, am meisten davon in Pflegeheime. Gut drei Milliarden kamen vom Bund, gut zwei von den Ländern und 1,4 Milliarden direkt von den betreuten Personen.

Frage: Muss man blutsverwandt sein, um das Angebot zu nutzen?

Antwort: Die betreuende Person muss nahe mit dem Pflegling verwandt sein, als am weitesten entfernt Verwandte kommen sogenannte Verschwägerte zweiten Grades in der Seitenlinie infrage, also die Ehepartner der Geschwister. Auch Wahleltern oder Wahlkinder sind zugelassen. Die Person muss außerdem gesundheitlich geeignet sein, darf selbst nicht in Pension sein und muss die pflegebedürftige Person innerhalb von 15 Minuten erreichen – das ist einer der Gründe, warum das Modell in Wien wohl anders aussehen müsste als im Burgenland. Dort wurden bisher 109 Anträge positiv behandelt, schon aktiv sind 88 Angestellte. Von den aktuellen Pflegern entfällt etwa je ein Drittel auf 20, 30 und 40 Wochenstunden. Etwa 500 weitere erfüllen die Voraussetzungen und könnten das Modell nutzen.

Frage: Das klingt ja alles schön und gut, aber lockt das nicht Frauen in die Teilzeitfalle?

Antwort: Der Frauenanteil liegt im burgenländischen Modell derzeit – also bei recht kleiner Datenbasis – bei unter zwei Dritteln, ist damit vorerst niedriger als in anderen Teilzeitjobs und auch niedriger als in der professionellen Pflegebranche. Außerdem würden viele Frauen dieselbe Arbeit sonst ohne Anstellung machen, merkt Silvia Rosoli, bei der AK für Pflegepolitik zuständig, an: "Bevor ich nichts habe, ist das besser", sagt sie. Das Land Burgenland argumentiert, das Modell habe zudem eine arbeitsmarktpolitische Funktion. Die 100-stündige Grundausbildung, die pflegende Angehörige spätestens zwölf Monate nach Dienstantritt absolvieren müssen, soll auch die Basis für einen professionellen Pflege- oder Betreuungsjob sein, wenn der Angehörige nicht mehr zu pflegen und damit die Anstellung beim Land obsolet ist.

Frage: Wird denn kontrolliert, ob die Pfleger wirklich pflegen?

Antwort: Es gibt sogenannte Unterstützungsbesuche. Diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal kommt – angekündigt – vorbei und gibt einerseits Tipps, überprüft andererseits aber auch die Betreuung. Die Besuche finden je nach Pflegestufe zwischen einmal monatlich und einmal wöchentlich statt.

Frage: Behebt das nun den Pflegenotstand, der so hart kritisiert wird?

Antwort: Nein. Veranschaulicht an Wien: Dort sucht die Stadt nach eigenen Angaben dringend Pflegepersonal, 9.000 zusätzliche Fachkräfte brauche es bis 2030 allein in der Langzeitpflege. Es ist weder wahrscheinlich, dass dieser Bedarf ausschließlich durch pflegende Angehörige spürbar abgefedert wird, noch gewünscht: "Auch wenn pflegende Angehörige angestellt werden sollten, wird der überwiegende Großteil der Pflege und Betreuung auch in Zukunft von professionellem Personal durchgeführt werden – und das ist gut so", heißt es dazu von Stadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Frage: Wer denkt darüber nach, das Modell zu übernehmen?

Antwort: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), selbst derzeit auf Pflege-Dialogtour und auch der Suche nach Ideen für eine Pflegereform, zeigt sich offen. "Wir werden uns das burgenländische Modell – auch direkt vor Ort – anschauen, aber ich kann am Anfang des Dialogs noch kein Ergebnis nennen", sagt er. Wien, Kärnten und Oberösterreich bekundeten Interesse, am Freitag heißt es von Oberösterreichs Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ), man mache sich zwar für den Ausbau von Tagesbetreuungszentren stark, verfolge aber das burgenländische Anstellungsprogramm "mit großem Interesse". Man prüfe derzeit die Umsetzung, "wenngleich die Voraussetzungen bei uns andere sind" – etwa weil die Zahl der Pflegegeldbezieher viel höher und noch arbeitsrechtliche Fragen zu klären seien. Von Tirol und Salzburg kam ein klares Nein. "Eine Verstaatlichung der Pflege und der Familie kann nicht das Ziel sein", heißt es dazu vom Tiroler Pflegelandesrat Bernhard Tilg (ÖVP). (Gabriele Scherndl, 7.2.2020)