Bisexuell, ohne Höschen, dafür in Herrenkleidern: Sona MacDonald spielt Marlene Dietrich. Mit Martin Niedermair hat sie den richtigen Mann für alle Lebenslagen an der Seite.

Foto: Moritz Schell

1927, noch bevor die Dietrich die Dietrich wurde, war die Dietrich schon in Wien. In den Kammerspielen und der Josefstadt hatte sie kleinere Engagements. Als Tanzgirl fiel sie nicht weiter auf, die Kritik lobte aber schon damals vor allem ihren auch später berühmten Beineinsatz. Jetzt ist die Dietrich zurück in Wien, Sona MacDonald lässt in den Kammerspielen das Phänomen und den Menschen dahinter aufleben.

Die Uraufführung Engel der Dämmerung erzählt chronologisch das Leben des am Ende vom Showbusiness und Lebenshunger gezeichneten und zwischendurch bestbezahlten Bühnenstars der Welt gespickt mit mehr als 20 ihrer bekanntesten Songs nach.

Viele werden von MacDonald und der schmissigen Liveband nur knapp angespielt. Ausgewählte wachsen sich aber zu Auftritten aus. Zu Lola galoppiert der Sound wie ein Pferdchen. Manchmal trat die originale Dietrich sogar ohne Höschen auf, um dem Publikum den Kopf zu verdrehen. So weit gehen die Kammerspiele nicht, aber ein andermal sitzt MacDonald schwuppdiwupp der Herrenhose entledigt beinfrei auf dem Klavier. Herbert Schäfers dunkle Bühne ist im Grunde nur Kulisse für Kleiderwechsel im Scheinwerferlicht.

MacDonald hat in der Ikonenverehrung Routine, war in den letzten Jahren schon Billie Holiday (Blue Moon, 2015) und Lotte Lenya (Lenya Story, 2017). Zu erzählen gibt es wieder genug: Marlene Dietrich, die Femme fatale, der Weltstar, die politische Figur im Exil und im Widerstand gegen die Nazis. Aus Hitlerhass und Pflichtgefühl ist sie nicht nur vor der US-Armee aufgetreten, sondern hat die Soldaten sich auch beim Duschen zuschauen lassen.

Zackig bei den Truppen

Wird die Geschichte öfters auch düster und schwer, programmiert Regisseur Torsten Fischer gleich darauf stets eine Nummer mit mehr Tschinbum und Schwung. Nicht nur deshalb hält der Abend zwei Stunden lang die Spannung durch. Er ist auch in Details äußerst fein gemacht. In der letzten Strophe von Lili Marleen, die MacDonald auf Truppenbesuch singt, zieht die Band der Melodie die Schrauben an und treibt sie zum zackigen Militärmarsch hoch.

Wer mit Dietrichs Biografie nicht vertraut ist, wird super abgeholt. Erzählüberleitungen, gespielte Szenen und die Lieder greifen raffiniert ineinander, der Abend wird zunehmend dichter und tragischer. Man meint, man schaue tief in dieses Leben hinein.

Unterstützt wird MacDonald von Martin Niedermair in sämtlichen männlichen Nebenrollen. Der erste wichtige unter ihren Männern war Josef von Sternberg, der festlegte, wie sie in Zukunft in welchem Licht was für ein Gesicht machen sollte. Als Noël Coward wechselt Niedermair mit gepudertem Gesicht und Lippenstift frivol ins Schwule. Der Lebensfreund wird auch der letzte Mann in Marlenes Leben sein, als sie von Alkohol und Schlaftabletten gezeichnet nach Stürzen auf der Bühne die letzten Jahre im Bett verbringt.

Kraftlos findet Niedermair sie in einem Sessel, hilft ihr zart beim Finden der Worte. Eine letzte fabelhafte Szene des Abends. Gegeben wurde die Diva als Mensch. (Michael Wurmitzer, 7.2.2020)