Mediales Framing sorgt dafür, dass Menschen nur ihres Äußeren wegen mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht werden.

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In sozialen Medien zirkulieren Hashtags wie #IchBinKein Virus. Medien berichten von der "Lungenseuche", einer "Horrorepidemie", die "Panik" ver breite und vor der man sich schützen müsse, etwa indem man keine Glückskekse mehr esse. Viele Nachrichten über das Corona virus haben den Boden der Realität verlassen. Mit Schockwörtern und -bildern wird eine tödliche Gefahr suggeriert, der man hilflos ausgesetzt ist.

Gegen solches mediales Framing wehrt sich der Verein Neue deutsche Medienmacher*innen: "China ist keine Krankheit", sagt eines ihrer Mitglieder, die Autorin und Filmemacherin Sun-Jo Choi, und kritisiert rassistische Meldungen: Immer öfter würden Menschen mit dem Virus in Verbindung gebracht, nur weil sie "asiatisch aussehen".

STANDARD: Wo beobachten Sie Rassismus bei Nachrichten zum Coronavirus?

Choi: Viele Bilder, Titel und Aufmacher der letzten Tage spielen mit dem alten Bild der "gelben Gefahr aus dem Osten". Da schlummert ein Rassismus, der aus kolonialen Zeiten des 19. Jahrhunderts stammt. Es wird suggeriert, dass alle Asiatinnen und Asiaten als infiziert gelten. Das ist eine rassistische Annahme.

STANDARD: Wie passiert die Diskriminierung? Sie sprechen von medialem Framing.

Choi: Es wird eine ganze Bevölkerungsgruppe mit einem Er reger, einer Krankheit gleichgesetzt. Wir sehen das zum Beispiel an Überschriften wie "Made in China" im Zusammenhang mit dem Virus. Das erzeugt sofort Assoziationsketten, und das ist diskriminierendes Framing. Es geschieht ja nie, dass ein Krankheitserreger mit Europa und den USA gleichgesetzt wird. Immer sind andere Kontinente im Spiel, egal ob im Fall von Ebola, Aids oder Sars: Wir haben es mit kon struierten Fremdheitsbildern zu tun, die mit einem Krankheitserreger in Verbindung gebracht werden.

STANDARD: Wie sehr sind die klassischen Massenmedien als Katalysatoren mit sozialen Medien im Bunde?

Choi: Ich möchte nicht nur Schelte austeilen. Sowohl in Social -Media-Kanälen als auch in klassischen Medien wird mitunter besonnen und achtsam berichtet. Der Aufruf von den "Neuen deutschen Medienmacher*innen" zu Diversität und lebendiger Vielfalt in Medien zeigt Wirkung. Es gibt Journalistinnen und Journalisten, die innehalten, aber ich würde mir dazu einen breiteren Konsens wünschen.

STANDARD: Wie bewerten Sie das Fiebermessen in aus China kommenden Fliegern hinsichtlich seiner rassistischen Effekte?

Choi: Das sagt nichts anderes aus, als dass die gesamte Bevölkerung als Krankheitsträger eingestuft wird. Klar kann man das als Vorsichtsmaßnahme sehen, aber in der Berichterstattung erzeugen die Bilder vom Infrarotthermometer Assoziationen von Gefahr, und es wird signalisiert, dass das Böse aus der Fremde kommt, und so wird China noch fremder gemacht. Das ist eine gefährliche Schleife.

STANDARD: Warum kommt es im Zusammenhang mit Viren so oft zu Verschwörungstheorien?

Choi: Das sind Mechanismen, um das eigene Selbst auf- und das andere abzuwerten. Solche Menschen brauchen das Fremde, um sich selbst zu stabilisieren.

STANDARD: Es gibt Stimmen, die sagen, China trage mit seiner Vertuschung selbst zum Angst klima bei. Wie stehen Sie dazu?

Choi: Natürlich kann man in dieser Richtung Mutmaßungen anstellen und Chinas Regierung und Maßnahmen kritisieren. An erster Stelle würde ich aber doch im deutschsprachigen Raum schauen, wie wir mit dem Virus um gehen – auch im gesellschaftspolitischen Kontext.

STANDARD: Merken Sie selbst die Auswirkungen der Berichterstattung als Frau asiatischer Herkunft in Berlin?

Choi: Ja, schon. Ich bin zurzeit sehr verschnupft, und wenn ich ein Taschentuch zücke, wechseln die Leute die Straßenseite. Das ist nicht schlimm, aber es hat eine reale Auswirkung.

STANDARD: Auf der Homepage des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen schreiben Sie, dass eine Chinesin an gespuckt wurde.

Choi: Das war ein Vorfall in Berlin an einer S-Bahn-Station. Die Frau wurde von zwei anderen Menschen angespuckt und geschlagen. Die Polizei ermittelt. Sie wollte keinen sofortigen Zusammenhang mit dem Virus herstellen. Aber der Rückschluss liegt nahe, weil es im normalen Alltag vergleichsweise wenige tätliche Übergriffe gegen asiatisch aus sehende Menschen gibt – die gelten ja als "fleißig" und "harmlos". Ganz viele berichten auch davon, dass sie sich nicht trauen zu husten. Die Sensibilisierung im Alltag ist für asiatisch aussehende Menschen so stressvoll geworden. Man bleibt lieber unter Freunden oder zu Hause. Obwohl man gesund ist, begibt man sich nicht gerne unter Leuten. (Doris Priesching, 7.2.2020)