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Kanzler Sebastian Kurz während der Pressekonferenz mit Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel.

Foto: AP/Meyer

Neulich war der Bundeskanzler wieder einmal in Deutschland. Er hält sich dort gerne auf, weil es danach immer so schöne Berichte über den Eindruck gibt, den seine Erscheinung gemacht habe. Und ausländisch reden muss man auch nicht. "Die Presse" hat sich diesmal sehr bemüht und unter dem Titel Kurz: "Das überrascht dann die Deutschen" Erwartungen geweckt, die mit der Behauptung gestillt wurden, er habe im Fernsehen erklärt, dass es die Deutschen manchmal verblüffe, wenn man eine "eigene Meinung" vertrete. Ein erster diesbezüglicher Versuch beim Sat.1-Frühstücksfernsehen fiel bescheiden aus, der Korrespondent der "Presse" musste sich bei allem Wohlwollen bemühen, sich ein Alzerl Verblüffung abzuringen, erfuhr man doch eher Belangloses, wie zum Beispiel, dass sich der Kanzler seinen Anzug morgens selbst zurechtlegt und dass er Zuhause am liebsten "Pizza" bestellt, wobei er eben viel unterwegs sei. Auch seinen "schönen Haare" (Moderatorin) waren Thema.

Die "schönen Haare" unseres Kanzlers als eher Belangloses abzutun, wo sie doch einen wesentlichen Bestandteil seiner politischen Existenz darstellen, ist klar verfehlt. Sagte da nicht neben der leichten Unterhaltung Kurz einen bemerkenswerten Satz über die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland: "Die Deutschen sind ein großes, tonangebendes Land in der EU und dadurch manchmal überrascht, wenn jemand eine andere Meinung vertritt."

Um das "Presse"-Publikum nicht darüber im Unklaren zu lassen, dass die deutschen Tonangeber nicht überrascht sind, wenn ein Macron, ein Orbán, ein Trump oder Putin eine andere Meinung vertritt, sondern dass es sich bei dem jemand nur um Sebastian Kurz handeln kann, wurde der Satz nachgeschoben: Als Beispiel nannte Kurz sein Lieblingsthema, die Migration.

Verblüffungsversuch

Die deutsche Presse war von der deutsch-österreichischen Differenzanalyse nicht besonders ergriffen, verglich selbst die Kurz zugeneigte Zeitung "Welt" dessen Auftritt bei der Pressekonferenz mit Merkel mit jenem eines "Schuljungen", weil er sich Merkel zugewandt hatte, und nicht, wie üblich, geradeaus blickte, als die Kanzlerin sprach. Dieser Verblüffungsversuch an der tonangebenden Frau ist offenbar in die Hose gegangen. Vielleicht lag es aber nur daran, dass Kurz die Bedeutung der eigenen Meinung über die "eigene Meinung" ein wenig überschätzt.

Anders als in Deutschland ist in Österreich kaum noch wer überrascht, wenn Kurz seine eigene Meinung zu seinem Lieblingsthema, die Migration, wiederkäut. Die "Kronen Zeitung" bietet dafür extra einen Sonntags- und Wirtschaftsphilosophen auf, der sich in der bunten Beilage überkugelt, von Kanzlers Genie nicht verblüfft zu sein, weil er sich selbst für eines hält. Mühsam erfolgte der Aufstieg von Phönix Kurz aus der schwarzen Asche von Christian Konrads und Reinhold Mitterlehners Erbsenzähler- und Betbruderverein. Doch wo liegt das Geheimnis der Best Practice von Kurz, "Dosko" und anderen Ausmistern politischer Augiasställe?

Ja wo? Zum Glück weiß es DI Dr. Klaus Woltron, und Kurz muss nur auf ihn hören. Willst du eine kriselnde Gemeinschaft zurück auf den Weg des Erfolgs führen, untersuche die alten Produkte. Höre den Kunden zu, erlausche ihre Sorgen und Sehnsüchte. Suche die Verborgenen in der Hierarchie auf, denen niemand zuhört. Sie werden dich mit Ideen überschütten. Warum? Jenen, welche die Macht innehaben, fehlt der Plan, die Machtlosen hingegen sind sich darüber im Klaren, was zu tun wäre, können es aber nicht umsetzen. Beobachte deine Konkurrenz, aber imitiere sie nicht.

Der Nietzsche des Boulevards

Endlich ist er uns erschienen, ein Nietzsche des Boulevards, der im Auftrag der Familie Dichand und exakt auf Blattlinie wöchentlich gegen Honorar am Bau eines Übermenschen im Kleinformat bastelt und sich die Bestandteile dafür aus den Siegern der beiden letzten Wahlen zusammenschustert. Man braucht nicht viel Kraft, um seinen Platz zu halten. Es ist nicht nötig, gegen den Strom zu schwimmen. Dennoch bewahrt man eine unverwechselbare Position. An eine solche vielfarbig getupfte, kapitale Forelle erinnert mich der jüngst verschlankte Sieger der Burgenlandwahl.

Im Neusiedler See kommen Forellen zwar nicht vor: Er ist zu trüb. Egal. Der burgenländische Landeshauptmann als limnologisches Ideal der "Kronen Zeitung" lässt jeden Fogosch vor Neid erblassen. Und der Vergleich trifft, gilt doch die Forelle, musikalisch gesichert, als launisch. (Günter Traxler, 8.2.2020)