Zielscheibe von Hass im Netz: Ex-"Spiegel"-Korrespondent Hasnain Kazim wurde von Morddrohungen überschwemmt.

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Hasnain Kazim, "Auf sie mit Gebrüll! Wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet". € 13,– / 208 Seiten. Penguin-Verlag, München, erhältlich ab 10. Februar 2020.

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Die vielen Morddrohungen haben Hasnain Kazim verändert: "Ich bin viel misstrauischer und vorsichtiger geworden", sagt er. Und dennoch: "Ich würde es wieder genauso formulieren." Hasnain Kazim war bis Ende des Jahres Österreich-Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Und er ist seit vielen Jahren lauter Kritiker der AfD.

Die Partei nennt er "geistiger Brandstifter" eines gesellschaftlichen Klimas, das zunehmend vergiftet werde: "Sie treiben ihre Anhänger an, so einen Hass zu verbreiten." Der Hass kulminierte bei Kazim in rund 400 Morddrohungen und tausenden Beschimpfungen, nachdem er etwas auf Twitter geschrieben hatte. Nach dem Erfolg der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen im Herbst 2019 mit 23,4 Prozent der Stimmen formulierte er: "Es geht nicht darum, AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu ‚erreichen‘. Es geht darum, sie auszugrenzen, zu ächten, sie klein zu halten, ihnen das Leben schwer zu machen, sie dafür, dass sie Neonazis und Rassisten den Weg zur Macht ebnen wollen, zur Verantwortung zu ziehen."

"Und morgen bist du tot!"

AfD-Vertreter nahmen den Ball auf und positionierten sich in sozialen Medien gegen Kazim. Seitdem erhält der gebürtige Oldenburger und Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer Nachrichten wie: "Du bist eine hässliche Missgeburt, aber kein Deutscher!!!!!!!!! Man sollte dich nachträglich abtreiben!!!!!!!!!!!!!!!!" Oder: "Wir wissen, wo du dich verkriechst, du vaterlandsloser Geselle! Wir verfolgen dich, wir beobachten dich. Und morgen bist du tot!"

Die Morddrohungen haben mittlerweile aufgehört, sagt Kazim im Gespräch mit dem STANDARD. "Die meisten sind über die Spiegel-Mailadresse gekommen, und die existiert nicht mehr." Kazim hat das Magazin nach 15 Jahren verlassen, um als freier Journalist zu arbeiten und sich Buchprojekten zu widmen. Zu erzählen hat er viel. Auf sie mit Gebrüll! Wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet ist sein fünftes Werk und ein Plädoyer für mehr Streitkultur und gegen Rassismus: "Schweigen wir, gewinnen die anderen."

Die anderen sind für Kazim die Ausgrenzer – dazu gehörten Rechtsextremisten und Islamisten: "Sie sind Geschwister im Geiste." Was sie verbinde, sei die Sehnsucht nach einem starken Mann und Schwarz-Weiß-Denken.

Beschimpfungen auch in Österreich

Den Hass hat der 45-Jährige im Lauf seiner Arbeit von mehreren Seiten kennengelernt, war er doch Spiegel-Auslandskorrespondent in Istanbul. Und wer den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kritisiert, gerät schnell ins Visier seiner Anhänger. Und in Österreich? "Wenn ich über die FPÖ oder die Identitären geschrieben habe, kamen auch immer wieder Beschimpfungen."

Mit dem Buch möchte Kazim jene inspirieren, die noch schweigen. Er erzählt von einer Lesereise, die ihn kürzlich nach Sachsen geführt habe. Zum Beispiel nach Freital. Eine Stadt, die mit militanten Neonazis kämpft. "Ich bin dort auf sehr viele Menschen gestoßen, die für ein tolerantes, buntes Deutschland eintreten." Sie hätten sich beklagt, dass ihre Stadt so einen schlechten Ruf habe, obwohl die Rechtsextremen in der Minderheit seien. "Es nützt nichts, wenn die Menschenverachter, die Rassisten lauter sind", sagt Kazim und postuliert: "Leute, macht den Mund auf."

Natürlich dürfe man Deutschlands Flüchtlingspolitik kritisieren, die Grenzen dichtmachen wollen, aber man müsse in der Sprache menschenwürdig bleiben: "Leute schreiben mir, dass man Flüchtlinge sofort an der Grenze abknallen müsste oder sie zurück aufs Meer schicken sollte. Mit einem Loch im Boot." Das dürfe man nicht akzeptieren.

Pegida-Anhänger ein "Pack"

Kazim steckt sehr viel ein, teilt aber auch gerne aus. So bezeichnet er die rechte Pegida als "widerliches Pack". Das würde er wieder tun: "Diese Leute sind mit einem Holzgalgen durch die Straße gegangen, auf denen zwei Puppen baumelten. Die eine sollte Merkel sein, die andere Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Das ist keine Meinungsbekundung. Ich schäme mich für diese Leute."

Seine Lust am Streiten endet dort, wo es keinen Sinn ergibt, sagt Kazim. So hat er vergangene Woche die Einladung von Servus TV ausgeschlagen, bei Talk im Hangar mit Thilo Sarazzin zu diskutieren: "Es gibt Grenzen, und Sarrazin steht jenseits davon." Leute wie Sarrazin würden die Bühne nutzen, um ihre "unsinnigen Ansichten" darzustellen: "Ich möchte nicht Teil dieses Spiels sein", sagt Kazim. Er würde sich auch nicht mit Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in eine Sendung setzen: "Es macht keinen Sinn, mit jemandem zu streiten, der sich Sachen ausdenkt, der Lügen verbreitet und Fakten so verdreht, dass sie ihm passen."

Haider wurde groß gemacht

Wenn Medien überhaupt mit solchen Politikern reden, dann müsse das extrem kritisch erfolgen. Eine Talkshow sei der falsche Ort dafür: "Und auf gar keinen Fall setzt man solche Leute ständig auf das Cover, wie das in Österreich mit Jörg Haider gemacht wurde. Nur deswegen war er so groß."

Zur Anzeige hat Kazim die vielen Morddrohungen und Beschimpfungen nicht gebracht, er hat sie nur gelöscht: "In den meisten Fällen führt das zu nichts, und es kostet sehr viel Kraft, dagegen vorzugehen." Was er sich wünscht, ist mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften und der Polizei. Und: "Der Weg zur Anzeige müsste leichter werden." (Oliver Mark, 9.2.2020)