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Monica Willi: "Die Oscars sind die Auszeichnungen für englischsprachige Filme, aber nicht für das Weltkino."

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Joaquin Phoenix gibt im Oscar-Favoriten "Joker" einen von psychischen Kränkungen versehrten Comic-Bösewicht.
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Viele Jahre waren die Oscars vorwiegend eine Angelegenheit weißer, amerikanischer Männer. Erst in den letzten paar Jahren hat die amerikanische Filmakademie auf gesellschaftlichen Druck reagiert und bemüht sich seither um größere Vielfalt. Das bringt es mit sich, dass der größte amerikanische Filmpreis zunehmend globaler wird. Und dass auch Stimmen aus Österreich an der Entscheidung mitwirken. Zum Beispiel die der Cutterin Monika Willi, die vor allem durch ihre Arbeit mit Michael Haneke bekannt wurde. Sie hatte in den vergangenen Wochen gut zu tun.

STANDARD: Sie sind Mitglied der American Academy of Motion Picture Arts and Sciences und stimmen damit über die Oscars ab. Seit wann sind Sie dabei?

Willi: Seit Juni 2017. Damals gab es den ersten Schwung bei dem Versuch, die Academy diverser und weiblicher zu machen, 774 Einladungen, so viele wie noch nie. Es wurde aus allen Kategorien eingeladen, 39 Prozent davon waren damals Frauen, heuer waren schon 50 Prozent der neu Eingeladenen weiblich. Jedes Jahr kommen 700 bis 800 neue Mitglieder dazu, heuer, glaube ich, aus rund 50 Ländern.

STANDARD: Wie groß ist die Academy mittlerweile?

Willi: Die Mitgliederanzahl liegt irgendwo zwischen 7000 und 8000, genau weiß ich es nicht. Wir bekommen regelmäßig Tortendiagramme zugeschickt, die zeigen, wie sich die Zusammensetzung verändert, seit die Academy nicht mehr nur amerikanisch, weiß und männlich sein will. Die Mitgliedergruppen, die wachsen sollen, also Frauen und People of Color, sind da in Oscar-Gold gehalten – und sie wachsen.

STANDARD: Ihr Gewerk, wie man das nennt, ist der Schnitt. Wie wurde man in Hollywood auf Ihre Arbeit aufmerksam?

Willi: Seit Die Klavierspielerin habe ich alle Filme von Michael Haneke geschnitten, außer Caché. Das Weiße Band war für den Oscar nominiert, Amour hat ihn gewonnen.

STANDARD: Wie läuft es ab, wenn sich die Academy bei einem meldet?

Willi: Es kommt eine Mail, da steht groß "Congratulations" im Betreff. Bei mir ist die zuerst einmal im Trash gelandet, denn solche Mails bedeuten ja meistens den angeblichen Gewinn von sehr viel Geld, wenn man schnell ein paar Daten hergibt. Hier wurde aber zur Einladung in die Academy gratuliert, die ich gerne akzeptiert habe. Dann zahlt man 450 Dollar jährlich Mitgliedsbeitrag, und das ist es. Bei Jean-Louis Trintignant hatte es die Academy, die ihn einladen wollte, ein bisschen schwerer. Er lebt sehr zurückgezogen auf dem Land, da wurde ich von der Academy aufgrund meiner Arbeit an Amour um Mithilfe bei der Kontaktaufnahme gebeten.

STANDARD: Wie intensiv werden Sie in den Wochen vor den Oscars beansprucht?

Willi: Zuerst geht es um die Nominierungen. Ich kann als Editorin für "Bester Schnitt" nominieren und für die Kategorie "Bester Film". Anmelden könnte ich mich auch in der Nominierungsgruppe "Bester Dokumentarfilm" und "Bester Internationaler Film", doch in diesen beiden Kategorien sind die praktischen Hürden für mich zu groß, denn eine Sichtung im Kino muss bewiesen werden, anders als in den Kategorien, in denen ich ohnehin nominieren darf. Für den Oscar waren dieses Jahr 334 Filme grundsätzlich wählbar. Täglich wird zu Screenings geladen, allerdings finden diese fast ausschließlich in Los Angeles, New York oder London statt. Filme, hinter denen ein starkes Marketing steht, schicken je nach Wunsch DVD oder Blu-ray bzw. stellen die Filme auch zunehmend online zur Verfügung. Ein grundsätzliches Problem an Akademieentscheidungen wird hier schon deutlich – Zugang und zeitliche Möglichkeit.

STANDARD: Jetzt werden Sie uns wahrscheinlich nicht sagen dürfen, wer Ihre Favoriten sind?

Willi: Man wird deutlich darauf hingewiesen, dass es eine geheime Abstimmung ist.

STANDARD: Hat sich Ihr Bild von Hollywood mit der Zeit verändert?

Willi: Ich kenne die globalen Zahlen nicht, sehe aber natürlich die Marktvorherrschaft des amerikanischen bzw. englischsprachigen Kinos – die Oscars sind allerdings die Auszeichnungen genau dafür und nicht für das Weltkino. Aber: In China boomt die Kinoindustrie, in Indien schon lange, das sind die zwei bevölkerungsreichsten Staaten der Welt. Filme aus diesen Ländern kommen bisher kaum bis gar nicht vor. Ich selbst habe einen Hongkong-Film geschnitten, da habe ich einiges gelernt darüber, wie stark sich Asiaten, vergleichbar den People of Color, als Minderheit in Hollywood begreifen, und erfahre in meiner europäischen Welt zunehmend, wie wenigen das überhaupt bewusst ist.

STANDARD: Sie sprechen von "Sons of the Neon Night" von Juno Mak mit einem Superstar wie Takeshi Kaneshiro. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?

Willi: Die Produzenten hatten explizit den Wunsch, einen Blick von außen zu bekommen. Die Suche begann bei diversen Editoren von Maks Lieblingsregisseur David Fincher, ging weiter mit der Idee, es sei eigentlich ein fast europäisch gedrehter Film, wie die, in denen Isabelle Huppert spielt. Da war gerade Elle von Paul Verhoevens herausgekommen, doch dessen Editor Job ter Burg hatte keine Zeit. Und dann war es von Isabelle Huppert, vor allem durch Die Klavierspielerin, wohl nicht mehr weit zu mir.

STANDARD: "Sons of the Neon Night" könnte 2021 bei den Oscars dabei sein.

Willi: Wenn, dann wohl erst 2022, denn um nominiert zu werden, muss ein Film zumindest kurz in den USA im Kino gelaufen sein, diesfalls spätestens im Herbst. Das wird sich kaum ausgehen. Aber wer weiß!

STANDARD: Welchen Stellenwert hat die eigentliche Zeremonie für Sie? Bleiben Sie auf?

Willi: So viel kann ich gar nicht arbeiten, dass ich das nicht schaue. Bei Das weiße Band und bei Amour war ich jedes Mal im Gartenbau, dieses Jahr wird es wie so oft das Sofa, die ORF-Ausgabe, moderiert vom Experten Alexander Horwath, heuer gemeinsam mit Eugen Freund, habe ich gelesen.

STANDARD: Waren Sie schon einmal bei einer Zeremonie in Los Angeles vor Ort? 2013 etwa, als "Amour" von Michael Haneke gewann?

Willi: Nein, und es hätte auch wenig Sinn gehabt. Ins Kodak Theatre kommen in so einem Fall nur Michael und seine Frau Susi rein, schon bei den Produzenten wird es mit den Plätzen eng. Dann verbringt man den Abend in einem österreichischen Lokal in Los Angeles, wenn es keinen Gewinn gibt, ist es sowieso ein trauriger Abend.

STANDARD: Jetzt versuche ich es noch einmal um die Ecke: Dürfen Sie sagen, bei welchem Film Sie sich freuen würden, wenn er gewinnen würde?

Willi: Damit würde ich auch sagen, was ich gewählt habe. (Bert Rebhandl, 8.2.2020)