Nur-Sultan – Bei schweren Ausschreitungen sind im Süden der zentralasiatischen Republik Kasachstan am Samstag mindestens zehn Menschen getötet worden. 137 Menschen seien verletzt worden, teilte der stellvertretende Gesundheitsminister Kamalschan Nadyrow in der Hauptstadt Nur-Sultan mit. 39 Menschen würden im Krankenhaus behandelt, davon mehrere auf der Intensivstation.

Zuvor hatte Innenminister Jerlan Turgumbajew von acht Toten und 40 Verletzten gesprochen. Am Sonntag teilte seine Behörde mit, dass weitere Verletzte gestorben seien. Dem Informationsminister Dauren Abajew zufolge wurden die Ausschreitungen durch eine "alltägliche Konfrontation" ausgelöst.

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Staatsorgane bestrafen

"Schuld an dem Blutvergießen haben Provokateure, zugelassen haben dies Mitarbeiter der Staatsorgane, sie werden bestraft", teilte Präsident Kassym-Schomart Tokajew am Sonntag im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er ordnete an, die Ursachen für den dort ungewöhnlichen Gewaltausbruch zu klären. Tokajew berief eine Dringlichkeitssitzung der Regierung ein, in der er erklärte, Polizei und Nationalgarde hätten die Situation "unter Kontrolle".

Bei den Auseinandersetzungen in mehreren Siedlungen im Bezirk Kordaj im Gebiet Schambyl wurden laut Innenminister Turgumbajew 30 Häuser, 15 Geschäfte und 23 Autos beschädigt. Auf Videoaufnahmen in Onlinenetzwerken war zu sehen, wie teilweise mit Knüppeln bewaffnete Männer zwischen brennenden Gebäuden entlanglaufen. Mehr als 40 Menschen waren nach den Unruhen vorläufig festgenommen worden, die meisten kamen am Wochenende gegen Auflagen auf freien Fuß. Die Provinz Schambyl liegt etwa drei Autostunden von Kasachstans größter Stadt Almaty entfernt, nahe der Grenze zu Kirgisistan. In Almaty wurden vorsorglich die wichtigsten Basare geschlossen, um weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden.

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Unklare Ursache

Die Bewohner der Region waren aus unklarer Ursache in Streit geraten. Entzündet hatte sich die Gewalt nach Angaben des Innenministeriums vermutlich an einem Konflikt um die Nutzung einer Straße. Bewohnt wird die Region an der Grenze zu Kirgistan mehrheitlich von Duganen – einer muslimischen chinesischen Minderheit. Die Behörden dort verhängten den Ausnahmezustand. In der Region kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen zwischen der kasachischen Bevölkerungsmehrheit und den im 19. Jahrhundert aus China geflohenen Duganen.

Ein Vertreter des Dunganen-Verbandes sagte der privaten Nachrichtenagentur Kastag zufolge, junge Männer hätten mehr als zehn Häuser im Dorf Masantschi in Brand gesteckt. Zudem hätten die Angreifer auf Bewohner des Dorfes geschossen. Es wurde eine Untersuchungskommission eingerichtet, die die Ursachen des Konflikts ermitteln soll. Ihr gehören auch Vertreter der Dunganen an.

In Masantschi waren nach den Ereignissen der Nacht nur wenige Menschen auf den Straßen unterwegs, wie ein AFP-Reporter berichtete. Die Feuerwehr war noch damit beschäftigt, letzte Brände zu löschen. Das Dorf wurde von Polizisten und Spezialkräften bewacht. Einige Bewohner suchten in den Überresten ihrer zum Teil abgebrannten Häuser nach ihren Habseligkeiten und bereiteten sich darauf vor, das Dorf zu verlassen.

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Warten auf Einreise

An der Grenze zu Kirgisistan warteten nach Angaben eines AFP-Reporters mehr als tausend Menschen, um in das ärmere Nachbarland einzureisen. Doch offenbar ließen die Grenzkontrolleure nur Frauen und Kinder durch, wie der Reporter berichtete. In einem Krankenhaus im kirgisischen Tokmak nahe der Grenze wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums insgesamt 18 Menschen nach den Ausschreitungen behandelt.

Tokajew wies humanitäre Hilfe für die Menschen in dem Gebiet an. In dem Steppenstaat – eine autoritär regierte frühere Sowjetrepublik – ist Armut trotz des Reichtums an Öl, Gas und anderen Rohstoffen weit verbreitet.

Die kasachische Regierung betont regelmäßig, dass in Kasachstan "mehr als 100 ethnische Gruppierungen in Frieden leben". Die kasachische Mehrheit macht etwas mehr als zwei Drittel der 18 Millionen Einwohner Kasachstans aus. (APA, 9.2.2020)