1869 vom Parlamentsarchitekten Theophil Hansen als "Waffenmuseum" errichtet, steht das HGM heute vor einer geschichtspolitischen Neuerfindung.

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Historiker Dieter Binder ist Vorsitzender der Militärhistorischen Denkmalkommission des Österreichischen Bundesheeres.

Nach Vorwürfen rechtsextremer Umtriebe rund ums Heeresgeschichtliche Museum wird dieses nun von allen Seiten evaluiert: Demnächst wird der Rechnungshof einen Bericht vorlegen, parallel dazu kümmert sich eine Kommission unter dem Vorsitz von Museumsbund-Chef und Joanneum-Direktor Wolfgang Muchitsch um eine inhaltliche Überprüfung.

Die Kommission, der außer Muchitsch noch Gerhard Baumgartner (DÖW), Harald Heppner (Uni Graz), Wolfgang Meighörner (Innsbruck) und Verena Moritz (Uni Wien) angehören, wird bis März den seit langem kritisierten Saal "Republik und Diktatur" zur Zeit 1918 bis 1945 evaluieren und an Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) berichten.

Danach wird die Expertengruppe um zusätzliche Mitglieder erweitert und soll alle Bereiche prüfen, die im gesamten HGM und seinen Außenstellen für Besucher zugänglich sind. Dieser Bericht soll bis Jahresende 2020 abgeschlossen sein.

Die Kommission hat sich bis zum Vorliegen konkreter Ergebnisse an Verschwiegenheit gebunden, kritische Stimmen gibt es aber auch von außen: Dazu zählt der Militärhistoriker Dieter Binder. Als Vorsitzender der militärhistorischen Denkmalkommission kennt er das HGM und das Bundesheer gut. Er plädiert für einen behutsamen Reformprozess.

STANDARD: Der Politikwissenschafter Walter Manoschek meint, man müsste das HGM in seiner aktuellen Form sofort zusperren. Sehen Sie das auch so dramatisch?

Binder: Ich halte das für überzogen. Allerdings müssen in einer ersten Revision missverständliche Ausstellungsstücke entfernt und kontroversielle Objekte nachdrücklich mit Tafeln kontextualisiert werden.

STANDARD: Sie wollen mehr Einordnung. Aktuell kann sich jeder Museumsbesucher seine Geschichte selbst zusammenreimen?

Binder: Selbstverständlich kann es nicht sein, dass man den Eindruck erweckt, jeder Besucher kann sich seine Geschichte selbst erzählen, und dieser Subjektivismus ist Ausdruck der Ausstellungsmacher. Hier hat das Museum in seiner doppelten Funktion als klassisches Museum und Ort der Traditionspflege des Bundesheeres klar Stellung zu nehmen.

STANDARD: Müsste sich das HGM nicht eigentlich vom Bundesheer und dem Verteidigungsministerium emanzipieren?

Binder: Ich denke, hier soll man einen Weg finden, der das Haus unter anderem wegen der Traditionspflege im Verteidigungsressort belässt und gleichzeitig eine moderne Museumslandschaft anstrebt. Ein modernes Verständnis würde automatisch auch militärhistorische Aspekte in einen gesellschaftlichen Kontext stellen.

STANDARD: Aber sind Traditionspflege eines Heeres und kritische Wissenschaften überhaupt vereinbar?

Binder: Absolut. Denn die Traditionspflege fokussiert auf ein modernes Gesellschaftsbild, das sich an den Anliegen des demokratischen Staates orientiert. Dieses Anliegen ist im Traditionserlass des Verteidigungsministeriums klar definiert.

STANDARD: Der Traditionserlass des Heeres sieht als Vorbild für die Truppe den Widerstand im Zweiten Weltkrieg vor. Tatsächlich beruft man sich aber gerne auf die Monarchie, das wird nicht nur im HGM deutlich. Widerständler und Deserteure fehlen in der – wenn man so will – "Heldenerzählung".

Binder: Ich habe immer darauf hingewiesen, dass es auch im Sinne des Traditionserlasses notwendig ist zu modernisieren. In der Traditionspflege des Heeres hat sich in den letzten 20 bis 25 Jahren viel getan, was sich im Museum aber kaum spiegelt.

STANDARD: Gerade eben wurde die Rossauer Kaserne nach Widerständlern umbenannt. Gibt es doch ein Umdenken in der Truppe, oder sind das Scheinmaßnahmen?

Binder: Bereits in der Phase der ersten Kasernenbenennungen in den frühen 1960er-Jahren gab es Gedenken an den militärischen Widerstand. Allerdings gibt es eben auch aus dieser Zeit den Überhang aus dem Fundus der k. u. k. Armee, den man wohl zu reduzieren hat. Die Umbenennungen sind nicht zufällig passiert, denn dem militärischen Widerstand wurde seit den Nullerjahren zunehmend Bedeutung geschenkt.

STANDARD: Müsste im HGM nicht auch jemand wie Franz Jägerstätter Platz haben?

Binder: Selbstverständlich. Im HGM gab es ja auch eine Sonderausstellung zum Thema des militärischen Widerstands gegen das NS-Regime. Solche Aspekte sind in die Dauerausstellung markant einzubringen.

STANDARD: Es gibt unter HGM-Besuchern auch viele, die sich eher harmlos an K.-u.-k.-Memorabilia, etwa den schönen Uniformen, erfreuen. Darf Platz für Nostalgie sein?

Binder: Auch andere Museen haben Besucher, die nicht unbedingt fachspezifisches Wissen mitbringen und die sich an dem einen oder anderen Objekt erfreuen. Eine entsprechend moderne Ausstellungskuratierung wird allerdings darauf achten müssen, dass das Museum nicht zum Refugium absurder Nostalgie verkommt. Das Ausstellungskonzept hat die militärischen Artefakte in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen, um zu verhindern, dass die "Schönheit der Montur" oder der alte nationale Erzählduktus weitergetragen werden.

STANDARD: Das HGM scheint von Lobbys getrieben zu sein: Konservative bis FPÖ-nahe Freundeskreise, Militärs, Politik – es sprechen viele mit. Ist das problematisch? Welche Schuld trifft den Direktor?

Binder: Ein klares zivilgesellschaftliches Bekenntnis zum Museum und ein klar definiertes Bekenntnis des zuständigen Ressorts würden automatisch "Freundeskreise" überflüssig machen. Entscheidend dafür ist es, klare, methodisch einwandfreie Positionen zu beziehen und den Museumsbetrieb auch ständig extern evaluieren zu lassen. Ein qualifizierter internationaler Beirat würde hier Abhilfe schaffen. Der bisherige Direktor hat es nicht geschafft, eine eigene Handschrift zu entwickeln.

STANDARD: Immer wieder, auch vom früheren Direktor Rauchensteiner, wird das fehlende Geld bemängelt. Dennoch ließ man sich Events und Sonderausstellungen teuer kommen. Fehlt der Wille zur Veränderung?

Binder: Zweifellos fehlt es an Geld und Ressourcen. Sonderausstellungen haben nur dann einen Sinn, wenn ihre Ergebnisse auch in die ständige Ausstellung einfließen. Auch die Ergebnisse fremder Ausstellungen, zum Beispiel der Wehrmachtsausstellung, müssten sich rasch im HGM spiegeln.

STANDARD: An welchen internationalen Beispielen sollte sich das HGM orientieren?

Binder: Ich denke, dass die deutsche Bundeswehr einen richtigen ersten Schritt mit dem Militärhistorischen Museum in Dresden gesetzt hat. In der Dauerausstellung wird nicht das "Heroische", sondern das Entsetzliche eines Krieges in den Vordergrund gestellt. Aber natürlich muss man laufend nachjustieren. Dauerausstellungen sind nie für die Ewigkeit gemacht.

STANDARD: Seit seiner Neuaufstellung verliert das Dresdner Museum aber Besucher. Ist das der Preis, den man zahlt, wenn man das Militaristenpublikum vergrault?

Binder: Das ist eine Frage des Marketings. Das hat auch die Bundeswehr erkannt und stärkt zurzeit die Infrastruktur, um entsprechend Werbung zu machen.

(INTERVIEW: Stefan Weiss, 10.2.2020)