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Mary Lou McDonald feiert. In Dublin wurde sie auf Anhieb mit großer Mehrheit gewählt.

Foto: AP /Peter Morrison

Dublin – Die Sensation ist perfekt: Die linksgerichtete Partei Sinn Féin hat bei der Wahl in Irland die etablierten bürgerlichen Parteien Fianna Féil und Fine Gael überflügelt. Ersten Ergebnissen zufolge landete Sinn Féin mit gut 24 Prozent der Stimmen landesweit an erster Stelle, dürfte aber wegen der Eigenheiten des Wahlsystems nicht die meisten Mandate bekommen. Parteichefin Mary Lou McDonald stellte am Sonntagnachmittag dennoch den Regierungsanspruch.

ORF-Korrespondentin Eva Pöcksteiner berichtet nach der Parlamentswahl in Irland aus Dublin über eventuelle Gründe die Zugewinne von Sinn Féin und eine vermutlich schwierige Regierungsbildung.
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"Ich werde mit jedem reden und jedem zuhören", sagte McDonald. Sie habe bereits mit den Grünen, den Sozialdemokraten und der Linkspartei Solidarity – People Before Profit über die Regierungsbildung gesprochen.

Politischer Orkan

Der Wahlerfolg von Sinn Féin wurde von Beobachtern bereits mit einem politischen Orkan verglichen, der ähnlich wie das Sturmtief Ciara am Wochenende über Irland hinwegfegte. Bisher wurde die Politik des Landes seit der vollständigen Unabhängigkeit von Großbritannien stets von Fine Gael und Fianna Fáil dominiert. Nun betritt eine dritte ernstzunehmende politische Kraft die Bühne. Die Regierungsbildung dürfte schwierig werden.

Börse in Dublin unter Druck

Wegen der Unklarheit über den politischen Kurs nach der Wahl ziehen sich Anleger aus Wertpapieren der Insel-Republik zurück. Der Leitindex der Börse Dublin fiel am Montag um bis zu 1,4 Prozent. Vor allem die Aktien der Bank of Ireland und der Bank AIB flogen aus den Depots. Sie waren mit 3,95 beziehungsweise 2,35 Euro jeweils so billig wie zuletzt vor rund vier Monaten.

Sollte es wider Erwarten zu einer Regierungsbeteiligung der bisher lange geächteten Sinn Féin kommen, dürfte die Forderung nach einem baldigen Referendum über die irische Wiedervereinigung zur offiziellen Regierungslinie werden. Das würde auch die Brüsseler Verhandlungen mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen nach dem Ende der Brexit-Übergangszeit zum Jahresende betreffen. Die linksgerichtete Partei galt als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA, die sich nicht mit der Teilung Irlands abfinden konnte

Der EU-Austritt Großbritanniens hatte allerdings bei der Wahl so gut wie keine Rolle gespielt. Nur ein Prozent der Wähler gab bei einer Nachwahlbefragung an, der Brexit sei das wichtigste Thema gewesen. Weitaus bedeutender waren für die Wähler Gesundheit, Wohnen und Pensionen.

Kompliziertes Wahlsystem

Ersten Prognosen der "Irish Times" zufolge könnte Sinn Féin 36 der 160 Mandate erreichen, 14 mehr als bisher. Sie läge damit an dritter Stelle hinter der rechtsliberalen Oppositionspartei Fianna Fáil (44) und der konservativen Regierungspartei Fine Gael (39) von Ministerpräsident Leo Varadkar. Während Fianna Fáil ihren Mandatsstand von vor vier Jahren halten könnte, würde Fine Gael elf Mandate verlieren.

Den beiden Großparteien kam zugute, dass sie weit mehr Kandidaten aufstellten als Sinn Féin, die – in Erwartung eines schlechteren Ergebnisses – lediglich 42 Bewerber ins Rennen schickte. Bei dem komplizierten irischen Wahlsystem hat jeder Wähler zwar nur eine Stimme, kann aber mehrere Präferenzen angeben, die nacheinander ausgezählt werden.

Fine Gael gibt noch nicht auf

Für Varadkar verlief der Wahltag am Samstag enttäuschend. Dass er im Amt bleiben kann, galt als unwahrscheinlich. Er führt mit Fine Gael eine Minderheitsregierung an, die von Fianna Fáil mit Oppositionschef Micheál Martin an der Spitze toleriert wird. Ob diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann, möglicherweise auch unter umgekehrten Vorzeichen, war in der Nacht auf Montag noch ungewiss.

McDonald sagte beim Eintreffen in ihrem Wahllokal, sie wolle eine Regierung "ohne Fine Gael oder Fianna Fáil bilden". Sie wertete den Wahlerfolg ihrer Partei als "historisch" und betonte, "dass die Vereinigung (Irlands) noch nie so nahe gewesen ist". Die Sinn-Féin-Chefin hofft offenbar darauf, mit Unterstützung kleinerer linksgerichteter Parteien und unabhängiger Abgeordneter Regierungschefin werden zu können. So werden den Grünen zehn Mandate vorhergesagt, kleineren Linksparteien 15 und unabhängigen Kandidaten 18.

Sieg für Sinn Fein in Dublin

Während McDonald in ihrem Dubliner Wahlkreis auf Anhieb mit einer übergroßen Mehrheit gewählt wurde, musste Varadkar in einem anderen Wahlkreis der Hauptstadt um sein Mandat zittern. Entgegen den Erwartungen schaffte er weder im ersten noch im zweiten Durchgang die erforderliche Stimmenanzahl und musste auf weitere Auszählungsrunden hoffen, in denen nach und nach die Zweitpräferenzen der hinter ihm liegenden Kandidaten verteilt werden.

Die beiden Traditionsparteien haben vor der Wahl eine Koalition mit der Sinn Féin ausgeschlossen. Während Varadkar auch nach der Wahl bei seiner harten Haltung blieb, zeigte sich Fianna-Fáil-Chef Martin flexibler. Es gebe für eine Zusammenarbeit aber noch "erhebliche Unvereinbarkeiten", sagte er am Sonntagabend. McDonald schloss nach der Wahl auch Gespräche mit den beiden großen Parteien nicht aus.

Historischer Erfolg

Entscheidend dürfte sein, ob die Mandatszahl von Fianna Fáil und Fine Gael unter 80 rutscht, weil sich dann nicht einmal mehr eine große Koalition ausginge. Die beiden bürgerlichen Parteien haben das politische Leben Irlands seit der Staatsgründung im Jahr 1920 bestimmt und praktisch durchgehend – abwechselnd mit kleineren Parteien – regiert. In der abgelaufenen Legislaturperiode stützte Fianna Fáil die Fine-Gael-Minderheitsregierung. Sollte sich der Sieg der Sinn Féin bestätigen, wäre erstmals überhaupt eine Linkspartei stimmenstärkste Kraft auf der Insel. Als einzige Partei tritt sie bei Wahlen in beiden Teilen Irlands an. (APA, 9.2.2020)