Das ist ein Symbolbild, aufgenommen im Burgenland. Wo mein Skikurs stattfand, weiß ich nicht mehr – verdrängt.

Foto: Standard/Matthias Cremer

Letzte Woche stand ich nach 26 Jahren wieder auf einer Skipiste. Die neue Regierung hätte eine Freude mit mir. Ein Satz im Regierungsprogramm verrät, dass den türkis-grünen Koalitionspartnern der inoffizielle Nationalsport sehr am Herzen liegt: "Einführung von Sporttagen in der Primärstufe (Volksschule, Anm.) von mindestens vier Tagen und in der Sekundarstufe I und II (Ober- und Unterstufe, Anm.) von mindestens je zwei Wochen, wobei eine davon dem Wintersport gewidmet werden muss".

Die Aussicht darauf, dass es in Schulen bald wieder verpflichtende Skikurse geben könnte, erfüllt mich mit Grauen. Und mit tiefem Mitleid für Generationen von Migrantenkindern, die bald verzweifelt mit Skiern, Skilehrerwitzen und eisiger Kälte kämpfen werden. So wie ich vor über einem Vierteljahrhundert.

Ich war erst seit wenigen Monaten in Österreich, gerade 14 geworden und die Einzige, die noch nie auf Skiern gestanden war. Ich hatte keine adäquate Ausrüstung, weder ich noch meine Eltern hatten von Skiunterwäsche gehört. Verloren und frierend versuchte ich zu verstehen, was die ungeduldige Skilehrerin von mir wollte. Ich fiel dutzende Male hin, war ein ungelenkes Knäuel aus Skiern und Stöcken und hasste die ganze Veranstaltung bereits nach wenigen Minuten.

Was soll der Blödsinn?

Unsportlich war ich schon immer gewesen, aber in diesem Winter war in meinem Kopf nun wirklich kein Platz mehr für neue Herausforderungen. Ich lernte gerade Deutsch und Englisch, ich trauerte meinen Freunden, meiner Familien und dem unbeschwerten Teenagerleben nach. Ich versuchte die Bilder zu verdrängen, die allabendlich aus dem Bosnien-Krieg über dem Bildschirm flimmerten. Ich wendete viel Kraft auf, um das Grauen nicht mit den realen Menschen zu verbinden, die ich kannte und liebte und die weniger Glück hatten als ich.

Am dritten Tag der Skiwoche war ich erschöpft und wütend. Meine balkanische Sturköpfigkeit kam durch: Diesen Blödsinn bei Minusgraden, schwitzend und frierend zugleich, wollte ich keine Sekunde länger mitmachen! Den Rest der Skiwochen lag ich heulend im muffigen Zimmer der Herberge. Ich verfluchte das Skifahren. Die Lehrer hatten, glaube ich, Verständnis für mich. Und Mitleid, nehme ich an, auch.

Das war also das erste und letzte Mal, dass ich Skier angeschnallt habe. Zwei Jahrzehnte lang war Skifahren gar kein Thema mehr: Es war etwas, das Österreicher machten, und zwar auch nur die wohlhabenden. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mit meiner mageren Skierfahrung nicht alleine bin. Auch wenn Bosnien rund um Sarajevo passable Skigebiete hat, war dort, wo ich aufgewachsen bin, Skifahren kein Thema. So wird es ganz vielen Migrantenkindern ergehen, die mitten in ihrer Schullaufbahn plötzlich Teil der begeisterten Skination werden sollen.

Soziale Ungleichheit

Sollte die Skiwoche tatsächlich wieder verpflichtend werden, dann wird hoffentlich auch an jene Schüler gedacht, deren Eltern sie nicht schon mit drei Jahren auf Skier gestellt haben. Das gilt natürlich für österreichische ebenso wie für jene mit Migrationshintergrund: Skifahren ist teuer und inzwischen eine elitäre Veranstaltung geworden. Skipässe, Ausrüstung, Unterkunft, Anreise: Skiurlaub muss man sich leisten können, und viele Familien können es eben nicht. Das macht die Kinder, die sich dann plötzlich auf der Skipiste wiederfinden, zu Außenseitern.

Meinen Kindern wird es nicht so ergehen. Für sie habe ich mich auf die Skipiste begeben und zugeschaut, wie sie mit ihren Kindergartenfreunden die ersten Bogerln machen. Ich stand am Rand der Piste, ohne Skier, versteht sich. Und am Abend habe ich dann auch bei "Schifoan" den Refrain mit den Kleinen mitgesungen, ironisch und etwas abgeändert. (Olivera Stajić, 10.2.2020)