Annegret Kramp-Karrenbauer gibt auf. Zermürbt von parteiinterner Kritik und den Vorgängen in Thüringen, verzichtet sie auf die Kanzlerkandidatur. CDU-Chefin bleibt sie nur so lange, bis die Nachfolge geklärt ist.

Angela Merkel hat es am Montag in Berlin als Erste erfahren. Am Morgen teilte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer der deutschen Kanzlerin ihre Rückzugsabsichten mit. Danach informierte sie CDU-Präsidium und Vorstand. Dort waren die meisten perplex.

Doch von einem Schnellschuss könne keine Rede sein, erklärt Kramp-Karrenbauer am Nachmittag selbst: "Diese Entscheidung ist seit einer geraumen Zeit in mir gereift und gewachsen." Es habe nicht so funktioniert, wie sie es sich vorgestellt habe seit dem 7. Dezember 2018, als sie von Merkel beim Parteitag in Hamburg den CDU-Vorsitz übernahm.

CDU gegen Linke und AfD

Zum Schluss war AKK nur noch zermürbt von den Querelen in Thüringen, wo die CDU-Abgeordneten gemeinsam mit der FDP und – erstmals in einem deutschen Landtag – auch der AfD einen Ministerpräsidenten gewählt haben, ausdrücklich gegen den Wunsch der Bundes-CDU.

Am Nachmittag, bei ihrer Pressekonferenz, erklärt sie zunächst noch einmal, dass sie und die CDU-Spitze gegen jede Zusammenarbeit mit AfD oder Linken seien. Konsequenterweise plädierte AKK am Montagabend im ZDF für die Aufstellung eines neuen Kandidaten, der das Ministerpräsidentenamt für eine Übergangszeit übernehmen könnte. "Es ist (...) an der abgewählten Regierung in Thüringen, jetzt zu überlegen, ob man zum Beispiel mit einem dritten Kandidaten für ein ganz gesichertes Wahlergebnis von vorneherein sorgen kann", sagte die CDU-Politikerin. Am Nachmittag wirkt AKK abgekämpft, als sie betont, die CDU müsse wieder stärker werden, "und diese Aufgabe liegt in besonderer Weise bei mir als Parteivorsitzender".

Annegret Kramp-Karrenbauer kam nach der politischen Krise in Thüringen massiv unter Druck und will nun den Vorsitz der CDU bald abgeben.
Foto: EPA/CLEMENS BILAN

Allerdings gebe es in der CDU eine ungeklärte Führungsfrage, nämlich die der Kanzlerkandidatur, sagt sie. Der eigentliche Plan war, am Parteitag im Dezember 2020 eine Entscheidung herbeizuführen. Kramp-Karrenbauer hatte immer betont, ihr als Parteichefin stehe dabei auch das erste Zugriffsrecht offen.

Nicht zur Ruhe gekommen

Aber die Partei, räumt sie ein, sei über diese offene Frage nicht zur Ruhe gekommen. "Sie sollte nach dem Willen einiger wohl auch nicht zur Ruhe kommen", fügt die Parteichefin an, man darf dies als Seitenhieb auf den Dauerkonkurrenten Friedrich Merz verstehen.

Kramp-Karrenbauer ist überzeugt: "Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz müssen in einer Hand liegen." Da sie selbst sich nicht als Kanzlerkandidatin bewerben will, kann und möchte sie auch nicht mehr CDU-Vorsitzende sein.

Doch sofort tritt Kramp-Karrenbauer nicht ab, sie will zuerst noch ihre Nachfolge regeln. Wie das genau aussehen wird, ist aber offen. Eine Beteiligung der Basis wird es nicht geben, der Parteitag hat im Dezember die von der Jungen Union geforderte Mitgliederbefragung abgelehnt.

Die endgültige Entscheidung trifft auch nach jetzigem Stand der Parteitag. Er wird aber möglicherweise von Dezember vorgezogen. Hilfe hat Kramp-Karrenbauer umgehend angeboten bekommen. Er "gebe ihr jede Unterstützung" bei der Nachfolgesuche, twittert Merz, der ja als einer der möglichen Kandidaten gilt.

Als sich Kramp-Karrenbauer im Dezember 2018 bei der Wahl zum CDU-Vorsitz knapp gegen Merz durchgesetzt hatte, da gab es viele Gratulationen, Blumen, sogar Küsschen von Merkel und noch sehr viel Hoffnung.

Doch die Frühlingsgefühle überdauerten den Winter nicht, es folgte eine Reihe von Patzern. Mal machte sich die CDU-Chefin im Karneval über Intersexuelle lustig, mal dachte sie anlässlich des äußerst CDU-kritischen Videos des Youtubers Rezo über Regeln für "Meinungsmache" im Internet nach.

Die in der Bewegung Fridays for Future organisierten Schüler kritisierte sie für das Schuleschwänzen. Ins Kabinett wollte sie zunächst partout nicht, legte dann aber eine Kehrtwende hin und wurde im Juli 2019 doch Verteidigungsministerin. Ihr nicht abgestimmter Vorstoß für eine Syrien-Schutzzone irritierte zuerst und verhallte dann.

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Erst Ende 2018 hat Annegret Kramp-Karrenbauer den CDU-Vorsitz von Angela Merkel übernommen.
Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Verluste bei Wahlen

Schlechte Wahlergebnisse bei der EU-Wahl im Frühjahr 2019 und den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg wie Thüringen im Herbst 2019 trugen auch zum Autoritätsverlust der Chefin bei und selbiger immer mehr Kritik ein. Im November 2019 war die Lage so verfahren, dass Kramp-Karrenbauer auf dem Parteitag in Leipzig anbot, abzutreten: Sollte die Partei den Weg nicht mehr mit ihr gehen wollen, erklärte sie völlig überraschend, "dann lasst uns das hier und heute beenden". Doch die Partei stellte sich noch einmal hinter sie und verschaffte ihr eine Atempause. Jetzt ist auch dieser Kredit aufgebraucht.

Verteidigungsministerin bleibt Kramp-Karrenbauer, wie sie betont, auf ausdrücklichen Wunsch der Bundeskanzlerin. Apropos. Diese sagt zum Rückzug: "Ich habe diese Entscheidung mit allergrößtem Respekt zur Kenntnis genommen, sage aber auch, dass ich sie bedaure." Merkel will auch bei der Nachfolgesuche "gut und intensiv" mit AKK zusammenarbeiten.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans meint: "Die Vorgänge an der Spitze der CDU sind sehr besorgniserregend." Er hofft, dass sich die CDU unter neuer Führung "nicht nach rechts öffnet". Die Arbeit in der Koalition sieht er aber nicht gefährdet, ebenso wenig wie die Noch-CDU-Vorsitzende. Sie sagt: "Es hat, wenn es nach mir geht, keine Auswirkungen auf die Stabilität der großen Koalition". (Birgit Baumann aus Berlin, 10.2.2020)