Unter den zahlreichen umstrittenen katholischen Würdenträgern Österreichs, die im Laufe des 20. Jahrhunderts wirkten, war er fraglos der umstrittenste: Alois Hudal (1885–1963) hegte wie kaum ein anderer seiner Glaubensbrüder Sympathien für den Nationalsozialismus. Er tat das bereits vor 1938 und auch noch nach 1945. Der Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell'Anima (kurz: Anima) in Rom wurde vor allem dafür bekannt, nach dem Zweiten Weltkrieg zahllosen Nationalsozialisten – darunter auch etlichen Kriegsverbrechern – in Rom Unterschlupf geboten und ihnen bei der Flucht über die "Rattenlinie" nach Südamerika oder in den Nahen Osten geholfen zu haben.

Hat er das nur aus christlicher Nächstenliebe getan? Oder hatte das auch etwas mit seinen ideologischen Überzeugungen zu tun? Zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen richtete die Anima mit dem Österreichischen Historischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften dazu 2006 sogar eine eigene Kommission ein. Das damals gefällte Urteil, an dem die beteiligten österreichischen und deutschen Kirchenhistoriker bis heute festhalten, fiel vergleichsweise ambivalent und milde aus: Hudals Haltung zum Nationalsozialismus sei zwiespältig und letztlich vor allem eine Art "tragischer Irrtum" gewesen. Außerdem habe er während des Zweiten Weltkriegs auch Personen geholfen, die vom NS-Regime verfolgt worden waren.

Allzu reißerisch am Cover, in der Darstellung aber durchwegs sachlich: Johannes Sachslehners Biografie "Hitlers Mann im Vatikan. Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche". € 28,– / 288 Seiten. Molden-Verlag, Wien 2019.
Molden Verlag

Zu einem etwas anderen Schluss kommt die neue Hudal-Biografie des Historikers Johannes Sachslehner, der in den letzten Jahren nebst anderen Werken auch Bücher über österreichische NS-Verbrecher wie Amon Göth, Odilo Globocnik und Franz Murer vorgelegt hat. Der Autor hat für seine Darstellung gründlich recherchiert, die umfangreiche Sekundärliteratur genau studiert und auch einiges Neues zutage gefördert. Die Aufmachung ist freilich etwas reißerisch geraten, und der Titel "Hitlers Mann im Vatikan" ist gleich doppelt irreführend: Hudal verfügte erstens über keine besonderen Beziehungen zu Hitler, und zweitens war er genau genommen in Rom und nicht im Vatikan tätig.

Bekenntnis zum "Tatkatholizismus"

Begonnen hat Hudal seine Karriere in Graz, wo er 1908 zum Priester geweiht wird und 1911 auch promoviert. Daneben tritt er früh als engagierter Pfarrer auf, zuerst in Kindberg, dann an der Front und nach dem Krieg in Knittelfeld. Die dortigen Predigten sind Zeugnisse seines "Tatkatholizismus", der früh antisemitisch und antisozialistisch motiviert ist.

Was der bisherigen Hudal-Forschung und auch Sachslehner in dem Zusammenhang entging, aber gut ins Bild passt: Der politisierte Priester, der noch während des Studiums Mitglied der katholischen Studentenverbindung Winfridia wird, tritt in den Nachkriegsjahren der Deutschen Gemeinschaft bei. In diesem antisemitischen Geheimbund, der 1919 in Wien gegründet wurde, arbeiteten Deutschnationale und rechte Katholiken zusammen, um durch Interventionen "eigene" Leute zu protegieren und Karrieren von Juden und/oder Linken zu sabotieren.

Gebremste Kirchenkarriere

1923 wird der selbstbewusste Geistliche Rektor des Priesterkollegs der deutschen Nationalkirche Anima in Rom. Der nächste, noch größere Karriereschritt bleibt dem Kirchenmann mit großen Ambitionen dann aber verwehrt: Theodor Innitzer wird 1932 Erzbischof von Wien – und nicht Hudal, der fest damit gerechnet hat. Immerhin wird er 1933 in Rom zum Titularbischof von Ela geweiht; die Weihe nahm Eugenio Pacelli vor, der spätere Papst Pius XII., dessen Schweigen angesichts der NS-Verbrechen bis heute diskutiert wird.

Alois Hudal am Höhepunkt seiner Karriere in den 1930er-Jahren.
Foto: Aus dem Buch "Die Grundlagen Nationalsozialismus" / gemeinfrei

Spätestens mit Hitlers Machtübernahme Anfang 1933 steht Hudal vor der Frage, wie er sich zum Nationalsozialismus verhält. Aufgrund seiner Leitungsfunktion am deutschen Priesterkolleg in Rom sitzt er quasi an der Schnittstelle zwischen Deutschland und dem Vatikan, dem er 1934 empfiehlt, Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" auf den Index der verbotenen Bücher zu stellen, ehe er eine Liste der Nazi-Irrtümer aus katholischer Sicht zusammenstellt. Darunter fällt auch die NS-"Rassenlehre". Hier kann man Sachslehner durchaus vorwerfen, Hudals frühe NS-kritische Stellungnahmen nicht ausreichend berücksichtigt zu haben.

Doch wie nicht wenige Katholisch-Nationale in Österreich – darunter etwa Arthur Seyß-Inquart, ebenfalls ein "Bruder" der Deutschen Gemeinschaft – schwenkt Hudal aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen um und sieht 1936 eine prinzipielle Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus. Ob das aus Gründen der Eitelkeit – der Vatikan ignoriert zunächst seine NS-Kritik – oder doch aus ideologischer Überzeugung geschah, wird wohl nie gelöst werden.

Widmungsexemplar für Hitler

Zwar lehnt Hudal den "radikalen Rassenbegriff" der Nazis weiterhin ab und verurteilt auch das "Sozialistische" an der NS-Ideologie. Unter dem Strich fällt sein Urteil in seinem 1936 erschienenen Buch "Die Grundlagen des Nationalsozialismus" aber positiv aus. Eine Allianz zwischen Katholizismus und völkischer Ideologie, der Hudal seit Jahren anhing, sah er als Bollwerk gegen Bolschewismus und Liberalismus. Ein Exemplar seines Werks lässt er deshalb auch Hitler nach Berlin bringen. Es trägt die handschriftliche Widmung: "Dem Führer der deutschen Erhebung, dem Siegfried deutscher Hoffnung und Größe Adolf Hitler".

Die ersten Seiten von Hudals umstrittenem Hauptwerk "Die Grundlagen des Nationalsozialismus".
Foto aus dem angegebenen Buch / gemeinfrei

Doch Hudal setzt sich mit seinem Buch zwischen die Stühle: Die Nazis verbieten sein Werk wegen der kritischen Passagen, im Vatikan hingegen ist man vor den Kopf gestoßen. Hudal hat sich mit seinem Buch in Rom isoliert und aus dem Rennen um höhere Weihen genommen. In Wien hingegen weiß man nicht so recht, wie man mit dem "braunen Bischof" umgehen soll. Bei seinem Vortrag im Haus der Industrie am Schwarzenbergplatz im April 1937 ist jedenfalls die gesamte Elite der Diktatur inklusive Innitzer anwesend. Ob Hudal bei seinem Vortrag den Hitlergruß macht, wie das Buchcover suggeriert, darf getrost bezweifelt werden.

Unklare Rolle bei der "Judenrazzia"

Dass Hudal mehr als nur Sympathien für die Nazis hegt, zeigt sich spätestens bei seinem mehr als nur unterstützenden Verhalten rund um die Volksabstimmung über den "Anschluss" im April 1938. Doch auch Kardinal Innitzer gerierte sich damals so NS-freundlich, dass er nach Rom zitiert wurde. Hudals Verhalten in den Kriegsjahren ist aber einigermaßen widersprüchlich, wie Sachslehner nicht verschweigt: So war er nach der berüchtigten "Judenrazzia" in Rom, bei der 1.022 Jüdinnen und Juden zusammengetrieben und deportiert wurden, vom Vatikan in die Verhinderung weiterer Deportationen eingebunden worden.

Seine konkrete Rolle in dieser Angelegenheit – und auch die von Pius XII. – ist nach wie vor umstritten. Eine Klärung dieser und etlicher anderer Fragen könnte die kurz bevorstehende Öffnung der Akten zu Pius XII. im Vatikanischen Apostolischen Archivs (vormals: Vatikanisches Geheimarchiv) bringen, die ab März 2020 etliche Historiker nach Rom pilgern lassen wird. Faktum ist, dass Hudal zumindest zwei neuseeländische Offiziere vor dem Zugriff der Nazis versteckt.

Schlüsselfigur bei den "Rattenlinien"

Ab der Befreiung Roms von der NS-Herrschaft im Juni 1944 wird die politische Gemengelage noch komplizierter, zumal bald auch der Kalte Krieg und die Angst vor einem kommunistischen Sieg die Lage prägen: Hudal inszeniert sich zunächst als Anti-Nazi, was von Protagonisten des österreichischen Widerstands aber nicht geglaubt wird. Also sucht er sich ein neues Betätigungsfeld und beginnt noch vor Kriegsende seine umstrittenste Mission: Er setzt sich für hohe NS-Funktionäre und Kriegsverbrecher ein, um sie "mit falschen Ausweispapieren ihren Peinigern durch Flucht in glückliche Länder" zu entreißen, wie Hudal selbst später schreibt.

Das geschieht über die sogenannten Rattenlinien, über die Hudal mit der Hilfe einiger Helfer – andere Geistliche, unter anderem in Südtiroler Klöstern und beim Roten Kreuz – hunderte Nazis, darunter auch einige schwere NS-Kriegsverbrecher, aus Europa schleust, wie Sachslehner detailliert und kenntnisreich schildert. Einige der berüchtigtsten Profiteure von Hudals "Caritas": Franz Stangl, der Kommandant der Vernichtungslager von Sobibor und Treblinka; Eduard Roschmann, der "Schlächter von Riga"; Erich Priebke, beteiligt an der Erschießung von 335 Zivilisten (darunter 75 jüdische Geiseln) in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom, oder Walter Rauff, mitverantwortlich für den Einsatz mobiler Gaswagen, mit denen mutmaßlich eine halbe Million Menschen ermordet wurden.

Huldals Hilfe für Otto Wächter

Dass Fass endgültig zum Überlaufen bringt dann im Jahr 1949 Hudals Hilfe für SS-Gruppenführer Otto Wächter. Der Hintermann beim Putsch gegen Dollfuß im Juli 1934 war in die "Aktion Reinhardt" zur Ermordung der Juden und Roma in Polen 1942/43 eingebunden und Gouverneur des Distrikts Galizien. Wächter, der sich vier Jahre lang in den österreichischen Bergen versteckt gehalten hat, will nach Argentinien flüchten und sucht deshalb Hudal in Rom auf, wo er unter nicht restlos geklärten Umständen am 14. Juli 1949 stirbt, Hudal erteilt ihm die Sterbesakramente. (Mehr zu diesem spektakulären Fall gibt es übrigens in einem famosen BBC-Podcast (gratis) von und mit dem britischen Autor und Völkerrechtler Philippe Sands, der Ende April ein ganzes Buch über Wächter vorlegen wird. Sands geht darin davon aus, dass die US-Geheimdienste über Hudals Aktivitäten genauestens im Bilde waren und womöglich sogar von ihm selbst Informationen erhielten.)

Aufgrund der Wächter-Unterstützung gerät Hudal im Vatikan so sehr unter Druck, dass er unter Vermittlung österreichischer Würdenträger nach 29 Jahren das Rektorat der Anima niederlegen und die letzten Jahre seines Lebens quasi vor den Toren Roms verbringen muss. In Österreich freilich wird ihm noch die eine oder andere Ehrung zuteil. Dennoch ist die Verbitterung bei Hudal groß, und er nimmt auch noch das eine oder andere Mal Revanche, indem er etwa dem jungen Rolf Hochhuth Belastendes über Papst Pius XII. berichtet – was die Grundlage für Hochhuts Theaterstück "Der Stellvertreter" werden sollte.

Ideologische Kontinuitäten

Der rechte Kirchenmann, der 1962 starb, war augenscheinlich überehrgeizig, opportunistisch und kein einfacher Charakter. Dennoch liefert Sachslehner nur bedingt psychologisierende Erklärungen für Hudals Verhalten. Er betont vielmehr die ideologischen Kontinuitäten des politisch engagierten Theologen, die auf fast 300 Seiten mit vielen überzeugenden Argumenten belegt werden. Dennoch bleibt Hudal auch in dieser lesenswerten und reich illustrierten Darstellung eine Persönlichkeit voller Widersprüche, die nicht alle aufgelöst werden können.

Das in den letzten Jahren strapazierte Bild von Hudal als tragische Figur, die den Nazis eigentlich Paroli bieten wollte, hat durch Sachslehners Biografie tiefe Risse bekommen. Ob die Dokumente zu Pius XII. im Vatikanischen Apostolischen Archiv, die in wenigen Tagen zugänglich sein werden, diese Risse eher weiter vertiefen oder glätten werden, wird sich weisen. (Klaus Taschwer, 22.2.2020)