Mutter und Kind wagen sich nur geschützt in die Pekinger U-Bahn. Andere in China wie Anna Xu dürfen kaum mehr auf die Straße gehen.

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Die Aussichten für Anna Xu sind alles andere als rosig. Bis Sommer, hat sie gehört, werde sie die Wohnung nur sporadisch verlassen können. Das allein wäre schon schlimm genug, doch sitzt die 24-Jährige nicht in ihrer Geburts- und Heimatstadt Wien fest, sondern 8700 Kilometer östlich in der chinesischen Kreisstadt Qingtian. Dort bekommt Xu hautnah zu spüren, was die chinesischen Behörden unternehmen, um das Coronavirus in den Griff zu bekommen.

Xu, Österreicherin chinesischer Herkunft, befindet sich seit November in China auf Reisen. Nach zwei Monaten in Peking, sagt sie dem STANDARD am Telefon, wollte sie ihre Oma in Qingtian besuchen. In dem Ort angekommen, erfuhr sie von der aufgrund des Virus verhängten Einstellung der Flüge. "Ich habe gelesen, dass Air China noch fliegt, daher habe ich dort einen Flug nach Wien für den 6. Februar gebucht." Am 4. Februar aber widerfährt Qingtian das gleiche Schicksal wie vielen anderen chinesischen Ortschaften: Die Kreisstadt wird abgeriegelt.

Kontrollen vor dem Gebäude

"Ich bin jetzt beim Onkel und der Tante in der Wohnung, die wir nicht verlassen dürfen. Jeden dritten Tag darf eine Person pro Haushalt ins Freie, um Lebensmittel zu kaufen", schildert Xu die Isolation. Vor jedem Gebäude stehen Polizisten oder Freiwillige zur Kontrolle. Die Oma hat Xu noch nicht gesehen. "Sie lebt nur sieben Gehminuten entfernt, aber da sie in einem anderen Gebäude wohnt, darf ich nicht hin."

Auch andere Wohnungen im Gebäude dürfen nicht besucht werden – für den Fall, dass sich jemand im Supermarkt angesteckt hat. Was bei Zuwiderhandeln passiert? "Sie werden eingesperrt", weiß Xu von einigen Fällen.

Das "zweite Wuhan"

Anna Xu ist nicht die einzige Österreicherin, die in Qingtian festsitzt – sie weiß von zumindest weiteren drei Fällen. Die Provinz Zhejiang, in der die Kreisstadt liegt, ist bekannt dafür, dass viele ihrer Einwohner ausgewandert sind. Bis zu 80 Prozent der Chinesen in Österreich, schätzt Xu, stammen von dort. In Zhejiang gibt es nach Hubei die höchste Zahl an Infektionen. Die nahegelegene Stadt Wenzhou, sagt Xu, gilt in China als "zweites Wuhan".

Daheim in Wien, sagt sie, würden sich vor allem die Schwester und Freunde Sorgen um sie machen, die Eltern nicht. "Sie vertrauen darauf, dass China das Virus in den Griff bekommt. Sie verweisen darauf, dass die Regierung es auch geschafft hat, in kurzer Zeit ein riesiges Krankenhaus in Wuhan zu bauen."

Den Zug meiden

Laut Außenamt befinden sich derzeit etwas mehr als 2000 Österreicher in China, keiner von ihnen ist in Hubei. Für den Fall, dass Anna Xu die Wohnung wieder verlassen dürfe, müsste sie mit dem Zug achteinhalb Stunden nach Peking reisen, um dort den Flug nach Wien nehmen zu können. Etwas, was sie sich derzeit nicht antun würde: "Es sind so viele Menschen im Zug. Ich würde mich bestimmt infizieren." Da wartet sie lieber in der Wohnung in Qingtian, bis die Epidemie zu Ende ist. Das sei sicherer, sagt sie. (Kim Son Hoang, 12.2.2020)