Nicht alles, was man sich so denkt, darf man im Internet auch veröffentlichen. Es kann sogar zu einer Verurteilung führen, wenn eine Meldung abgefangen wurde, wie ein 61-Jähriger in erster Instanz feststellen musste.

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Wien – Die Kolleginnen und Kollegen der STANDARD-Forenwartung haben keinen leichten Job – haben sie doch unter anderem dafür zu sorgen, dass die Diskursplattform nicht zu einer Bassenarunde voller Ausfälligkeiten und strafrechtlich Relevantem wird. Im Fall von Herrn V. ist ihnen das gelungen, sie haben sein Posting nicht freigeschaltet und die NS-Meldestelle im Innenministerium informiert, die auch für Hasspostings zuständig ist. Das kommt laut Forenwartung sehr selten vor. Von der Meldestelle gab es seither keine Rückmeldung mehr.

Der 61-Jährige muss indes vor Richter Stefan Apostol Platz nehmen. V. hatte im September einen Artikel zum Rücktritt des Leiters des griechischen Flüchtlingslagers Moria entdeckt. Und wollte unter seinem Pseudonym auch seinen Standpunkt in der Flüchtlings- und Migrationsdebatte mit der Welt teilen. Laut Anklage unter anderem mit den Forderungen: "Grenzen schließen, Schießbefehl!" und "Aufnahme von sogenannten Flüchtlingen erst nach Sterilisation". Da dieses Posting quasi nie das Licht der Onlinewelt erblickt hat, ist die von Christoph Wancata vertretene Anklage etwas ungewöhnlich: Sie lautet auf versuchte Verhetzung.

Angeklagter will keine Diversion

Nötig wäre sie nicht gewesen, denn die Anklagebehörde hatte V. das Angebot einer diversionellen Erledigung gemacht, falls er einen Sensibilisierungskurs besucht. Das wollte der Selbstständige aber nicht, er beharrt auf einer gerichtlichen Klärung der Vorwürfe.

Der Prozess beginnt mit einer gewissen Verwirrung. Während der Überprüfung der Generalien stellt Apostol die Unbescholtenheit des Angeklagten fest. Der unterbricht: "Entschuldigung, ich glaube, Sie verwechseln mich. Ich habe Vorstrafen", merkt er an. "Im Strafregisterauszug finde ich keine", antwortet Apostol. V. beharrt darauf, dass er zwischen 1979 und 2006 mehrere Verurteilungen bekommen hätte. "Die sind dann wohl schon verjährt. Für mich sind Sie unbescholten", stellt der Richter klar.

Angeklagter verteidigt sich selbst

In der Sache selbst erklärt sich der ohne Verteidiger erschienene Angeklagte für nicht schuldig. Er habe die Äußerungen ganz anders gemeint, argumentiert er. "Beim Schießbefehl habe ich Ungarn als Vorbild erwähnt", versucht er zu erklären, dass er nicht an scharfe Munition, sondern an Gummigeschoße gedacht habe. "Wenn Sie das gemeint hätten, wäre es vielleicht besser, es auch so zu schreiben", erwidert Apostol. "Gegenüber wem soll Ihrer Meinung nach geschossen werden?", fragt der Richter noch. "Muslimische Flüchtlinge."

Aus Sicht des Richters ist für einen Normalbürger aber klar, dass scharfe Munition gemeint sei. "Und Sie haben dafür zu haften, wie es verstanden wird", macht Apostol V. auf das kommunikationswissenschaftliche Sender-Empfänger-Modell aufmerksam, wonach die Botschaft beim Empfänger entstehe.

Eine Geschichte voller Missverständnisse

Auch bei der Sterilisation fühlt Herr V. sich missverstanden. In Indien würden Frauen, die sich freiwillig unfruchtbar machen lassen, dafür 30 Euro bekommen, argumentiert er. Apostol kann dem Konnex zwischen einem freiwilligen Eingriff und einer verpflichtenden Sterilisation nicht ganz folgen. "Ich sehe das Problem ganz einfach Richtung Überbevölkerung", versucht es der Angeklagte.

Was Staatsanwalt Wancata treffend aufgreift: "Sie haben also Angst vor Überbevölkerung?", fragt er. "Sie ist schon da", bescheidet der Angeklagte. "Warum haben Sie dann selbst drei Kinder?", will der Ankläger wissen. V. stockt kurz, dann sagt er: "Damals gab es noch Geburtenmangel."

Auch Versuch ist strafbar

In seinem Schlusswort begeht V. den taktischen Fehler, mit Halbwissen punkten zu wollen, was Apostol erfahrungsgemäß wenig goutiert. "Ich halte dieses Verfahren für nicht notwendig, ich habe keine Verhetzung begangen, da die Sätze von weniger als 30 Leuten gelesen wurden", bemüht der Angeklagte die juristische Definition der "breiten Öffentlichkeit". Apostol kontert kühl: "Daher ist auch der Versuch angeklagt."

Bei einer Strafdrohung bis zu drei Jahren Haft entscheidet Apostol sich nicht rechtskräftig für sechs Monate bedingt. V. habe "in gröbster Weise die Menschenwürde verletzt" und zeige keinerlei Einsicht, begründet er. Zusätzlich ordnet er Bewährungshilfe an und erteilt dem Angeklagten die Weisung, den Sensibilisierungskurs zu besuchen. Mache er das nicht, könne die bedingte Strafe zu einer unbedingten werden, stellt Apostol in den Raum. (Michael Möseneder, 10.2.2020)