Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht Österreichs Sorgen für den Fall einer Wiederaufnahme der Mission Sophia durch die Zahlen zur vorigen Mission nicht bestätigt.

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Brüssel/Wien – Dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zufolge übt die EU-Marinemission Sophia keinen Pull-Effekt auf Migranten aus. "Ich verstehe die grundsätzlichen Bedenken aus Österreich und anderen Ländern", sagt Borrell in einem Interview der deutschen Zeitung "Die Welt" im Zuge der Diskussion über die Wiederaufnahme der Operation. "Aber es gibt dafür keine Belege."

Das Mandat des EU-Marineeinsatzes von 2016 bis 2019 umfasste das Vorgehen gegen Schlepper, die Unterbindung von Waffenschmuggel und illegalen Ölexporten aus Libyen sowie die Ausbildung des Personals der libyschen Küstenwache. Laut internationalem Seerecht sind die Soldaten auch verpflichtet, Menschen aus Seenot zu retten. Nachdem Italien die Aufnahme schiffbrüchiger Migranten ablehnte, solange deren Verteilung auf die EU-Länder nicht geregelt sei, wurde die Mission abgebrochen.

"Das stimmt nicht"

Österreich lehnt nun eine Wiederaufnahme von Sophia zur Überwachung des Waffenembargos für Libyen mit der Begründung ab, diese locke illegale Migranten an, da sich ihre Aussicht auf Rettung verbessere. Die Bedenken seien nicht gedeckt durch Tatsachen, meint Borrell: "Es stimmt nicht, dass die Marinemission Sophia zusätzliche Migranten anzieht und dazu führt, dass die Migration nach Europa weiter steigt."

"Im Jahr 2015 hatten wir 140.000 Ankünfte aus Libyen, und 2016 stiegen die Zahlen, wie überall in Europa, auf 164.000 an", sagte Borrell. 2017 seien es nur noch 105.000 und 2018 lediglich 27.400 gewesen. Auch seien nicht mehr Menschen auf dem Mittelmeer infolge der Marinemission gestorben. "Die Sterberate ging von 3.150 im Jahr 2015 auf 1.300 im Jahr 2018 zurück", wird Borrell zitiert.

Außenminister Schallenberg (ÖVP) widerspracht Borell. Er verwies am Dienstag auf den "Pull-Faktor" für illegale Migration und wertete die Mission zugleich als ungeeignet für die Kontrolle des Waffenembargos. Schallenberg konterte, dass man in Sachen Libyen "umfassende und nachhaltige Lösungen" brauche "und keine Schnellschüsse, die zusätzliche Probleme schaffen könnten". Der Außenminister bekräftigte seine Position, wonach eine Wiederaufnahme der maritimen Komponente der Operation Sophia "keine geeignete Antwort auf den Kern des Problems" sei. Sie würde vielmehr "durch die Präsenz von EU-Schiffen vor der Küste Libyens wieder einen Pull-Faktor für die illegale Migration schaffen".

"Weiter östlich als 2019"

Am kommenden Montag werden die EU-Außenminister in Brüssel über die geplante Kontrolle des UN-Waffenembargos durch EU-Soldaten beraten. Borrell drängt auf eine neue Operation und tritt dafür ein, diese in einem neuen Einsatzgebiet durchzuführen. Ob die neue Mission dann noch Sophia heißen werde, sei zweitrangig. "Wichtig ist aber, dass das Mandat für die neue EU-Mission so ausgestaltet ist, dass die Überwachung des Waffenembargos aus der Luft, an Land und auf dem Mittelmeer möglich ist. Vor allem über die Landgrenzen kommen viele Waffen ins Land. Das müssen wir möglichst unterbinden."

Für Borrell wäre es denkbar, dass die Kontrolle auf hoher See "nicht wie bis März 2019 im zentralen Mittelmeer, wo die Routen der Migranten verlaufen, erfolgt, sondern weiter östlich im Mittelmeer, Richtung Benghazi oder sogar in Richtung Suez-Kanal". "Die Waffen kommen ja aus der östlichen Richtung", sagte Borrell der "Welt". (APA, 11.2.2020)