STANDARD: Würde die CDU gerne Sebastian Kurz klonen?

Falter: Keine Frage, viele würden sich nach so jemandem sehnen. Vor allem deshalb, weil er ja in der Lage ist, sowohl mit links als auch mit rechts Koalitionen zu schließen und dabei auch noch einigermaßen glaubwürdig zu bleiben. So jemanden gibt es in der CDU aber wahrscheinlich nicht, am ehesten noch Armin Laschet, der aber viel älter und behäbiger ist als Kurz und auch bei weitem nicht so flashy auftritt.

Merkel (li.) und Kurz sind einander nicht immer grün.
Foto: imago images/Emmanuele Contini

STANDARD: Ist in der CDU nun Zeit für einen Kurswechsel?

Falter: Einen generellen Kurswechsel wird es nicht geben. Wenn, dann wird es ein breiteres Aufstellen sein, weil unter Angela Merkel der konservativere und der katholische Teil der CDU vernachlässigt worden ist – nach dem Motto "Die wählen uns sowieso". Das ist nach hinten losgegangen, weil ein Teil von diesen Leuten zur AfD gewechselt ist, nachdem sie sich in ihren Werten von der CDU nicht mehr vertreten gefühlt haben. Wenn sie sich jetzt breiter aufstellen will, muss die CDU auch Leute hochkommen lassen, die andere Strömungen repräsentieren. Unter Helmut Kohl gab es etwa einen Roland Koch, der eher für den konservativen Teil sprach, davor zum Beispiel Alfred Dregger, der ganz eindeutig der sogenannten Stahlhelmfraktionen der CDU entstammte. Man muss also auch mit Personen die Strömungen bedienen und nicht nur mit Worten.

STANDARD: Wie lange wird das Anti-AfD-Dogma in der Union noch halten?

Falter: Noch länger. Das hat viel mit der deutschen Geschichte zu tun. Die öffentliche Meinung ist da viel eindeutiger als in Österreich, wo etwa Kurz eine Koalition mit der FPÖ gemacht hat. Vor allem der völkisch-nationalistische Flügel der AfD mit Björn Höcke an der Spitze ist daran schuld. Auf kürzere Frist hin wird die Ausgrenzung der AfD wohl nicht aufgehoben, sicher nicht im Bund, vielleicht irgendwann einmal auf kommunaler Ebene oder auf Länderebene in Form einer Duldungskoalition. Das würde dann so ähnlich laufen wie mit der PDS (Vorgängerpartei der Linken und Nachfolgepartei der SED, Anm.), die auch erst allmählich integriert worden ist.

STANDARD: Warum setzte Annegret Kramp-Karrenbauer die Linkspartei, die nicht zuletzt in Thüringen jahrelang regiert hat, faktisch mit den AfD-Rabauken gleich?

Falter: Es gibt genügend Stimmen in der CDU, die das nicht so sehen, etwa Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Dass man die Linke nicht vollkommen ausgrenzen kann, belegt schon die Bewegung der Parteien in den letzten dreißig Jahren. Die Linke ist sozialdemokratischer geworden, auch wenn sie noch immer Steinzeitmarxisten in ihren Reihen hat. Die AfD ist hingegen nach rechts gewandert und radikaler geworden. Allein schon was diese Prozesse betrifft, kann man diese beiden Parteien nicht gleichsetzen.

STANDARD: Hat Angela Merkel Kramp-Karrenbauer abgesägt?

Falter: Ich glaube nicht, dass sie das absichtlich gemacht hat. Ihr verbales Eingreifen in der Thüringen-Affäre von Südafrika aus hat Kramp-Karrenbauer am Ende aber den Todesstoß versetzt. Da hat sie nämlich klargemacht, dass am Ende immer noch Angela Merkel das Sagen hat und nicht die CDU-Parteichefin. Fest steht für mich aber, dass Merkel wohl größere Hoffnungen in Kramp-Karrenbauer hatte, als diese dann erfüllt hat.

STANDARD: Kann nun also eine neue Führungsperson aufgebaut werden, solange Merkel noch im Kanzleramt sitzt?

Falter: Das geht, wenn man mehr Hausmacht hinter sich hat als Kramp-Karrenbauer, die aus dem kleinen Saarland kommt. Wenn etwa Armin Laschet es wird oder die beiden anderen Herren aus Nordrhein-Westfalen, Friedrich Merz und Jens Spahn, hätten sie ein ganz anderes Standing.

STANDARD: Könnte Markus Söder von der CSU Kanzler werden?

Falter: Er hat sich erstaunlich gewandelt. Söder ist aber so klug, dass er seinen Hut nicht schon jetzt als Kanzlerkandidat in den Ring wirft, er weiß, dass er sich als bayerischer Ministerpräsident noch mehr profilieren muss. Wenn er schlau ist, macht er sich für denjenigen Unionskandidaten stark, der mit Sicherheit scheitert, weil er dann als Nächster dran wäre.

STANDARD: Friedrich Merz hingegen hatte nie ein Regierungsamt inne. Warum traut er sich Kanzler zu?

Falter: Ein Spitzenpolitiker, der sich das nicht zutraut, ist kein Spitzenpolitiker. Merz war immerhin Fraktionsvorsitzender, also sozusagen der zweitmächtigste Mann in der Regierungsmannschaft, weil er die Stimmen gebracht hat. Politik ist ein Machtspiel. Merz ist aber kein Steinzeitkonservativer oder der Weg nach rechts, wie er nun oft dargestellt wird, sondern ein klassischer Wirtschaftsliberaler, der neben liberalen eben ein paar konservativere Auffassungen in der Gesellschaftspolitik hat.

STANDARD: Die große Koalition in Berlin besteht nun aus zwei Parteien, die in der Krise stecken. Wie lange geht das noch gut?

Falter: So lange, bis sich eine der Parteien einen Vorteil aus Neuwahlen erhofft. Die SPD muss Neuwahlen scheuen, weil sie mit Pech bei 13 Prozent landet. Die CDU will auch nicht neu wählen, nicht zuletzt deshalb kann Angela Merkel auch nicht zurücktreten, weil sonst die SPD bei der Suche nach einem Nachfolger mitreden wollen würde. Sollte die öffentliche Meinung nicht vollkommen umschwenken und etwa Rot-Rot-Grün in Umfragen eine klare Mehrheit haben, rechne ich damit, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält.

STANDARD: Was bleibt von Angela Merkel?

Falter: Eine Reihe von umstrittenen Entscheidungen, etwa jene über den Ausstieg aus der Atomkraft bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kohlekraft. Auch der Ausstieg aus der Wehrpflicht gehört dazu. Merkel war aber international eine außerordentlich angesehene Kanzlerin. Vor allem aber hat sie die Öffnung der Gesellschaft hin zu liberalen Werten weiter vorangetrieben und die CDU mitgenommen. Merkel hat erkannt, dass sich die CDU verändern muss, wenn sich die Mitte der Gesellschaft verändert. Bleiben wird aber auch, dass sie zum Niedergang der CDU als Volkspartei beigetragen hat, weil sie die Konservativen vernachlässigt hat. (Florian Niederndorfer, 11.2.2020)