"Man kann und sollte es nicht jedem recht machen": Drehbuchautor und Regisseur Oliver Kienle.

Foto: Natalie Schaaf

Auf Arte und im ZDF lief gerade die zweite Staffel der hochdekorierten Bankenserie Bad Banks, die Bücher schrieb der Autor und Regisseur Oliver Kienle (38). Am Freitag startet seine rasante Komödie Isi & Ossi auf Netflix. Darin prallen Arm und Reich, Magdeburg und Heidelberg aufeinander. Damit die Eltern ihrer Karriere als Köchin nicht länger im Weg stehen, täuscht Isi (Lisa Vicari) eine Beziehung mit dem Boxer Ossi (Dennis Mojen) vor.

STANDARD: Isi & Ossi war als Kinofilm geplant. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Netflix ergeben?

Kienle: 2017 war die Premiere meines Films Die Vierhändige in München, da wurde ich von Netflix angesprochen und gefragt, ob ich Lust hätte, eine Serie zu machen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich aber bereits an Bad Banks gearbeitet. Isi & Ossi war als klassischer Kinofilm geplant. Aber wie das in Deutschland so ist: So ein Projekt geht über viele Instanzen, es braucht Fernsehsender, Filmförderung, Filmverleih, es gibt diverse Auflagen usw. Ich war müde von diesem Prozess und habe Netflix kontaktiert. Die Antwort kam sofort. Das Drehbuch haben wir am Freitag geschickt, am Montag kam der Anruf: Ja finden wir toll, wollen wir machen. Eine Woche später war das Projekt finanziert.

STANDARD: Sie haben mit Netflix und mit öffentlich-rechtlichen Sendern Erfahrung. Wo liegen die Unterschiede in den Produktionsbedingungen?

Kienle: Ich gehöre zu jenen Zuschauern, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen quasi verloren hat. Ich schaue das kaum und hatte meine Bedenken und auch Vorurteile. Aber das ZDF hat mich ermutigt, mein Ding mit Bad Banks zu machen, die Zusammenarbeit war sehr gut. Bei Netflix sehe ich eine sehr starke, konsequente Entschlossenheit. Eine totale Klarheit, ein ganz schnelles Ja oder Nein. Man plant durch, und dann wird das auch so gemacht. In der Branche ist man ja gewohnt, dass Projekte immer wieder verschoben werden. Wenn man in Deutschland sagt, wir drehen nächstes Jahr, dann dreht man im übernächsten Jahr oder noch später. Netflix war hier schnell und konkret, ohne fünf Chefs, die man noch fragen, oder eine nächste Runde, die man noch abwarten muss.

Trailer zu "Isi & Ossi", zu sehen ab Freitag auf Netflix.
Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

STANDARD: Müssen öffentlich-rechtliche Sender auch so agieren, weil Talente sonst ganz ins Streaminggeschäft abwandern?

Kienle: Bad Banks war ein Überraschungserfolg, kämpft aber natürlich um die Zuschauer. Die Zielgruppe von Bad Banks ist nur bedingt der klassische ZDF-Zuschauer. Es wird sich zeigen, ob die öffentlich-rechtlichen Sender diesen Kampf, diese Anstrengung auf sich nehmen, dieses Publikum wieder zu holen. Es ist eine Entscheidung, ob einem die Zukunft wichtig ist oder nicht. Bei öffentlich-rechtlichen Sendern kennt man ja die Statistiken, sie wissen, dass sie Probleme bekommen werden, weil die Zuschauer nicht mehr da sind.

STANDARD: Das junge Publikum?

Kienle: Das junge und vor allem das internationale Publikum. Der Unterschied zwischen der Sehgewohnheit meiner Mutter und mir ist, dass meine Mutter mit deutschen und ich mit internationalen Produktionen aufgewachsen bin. Es ist eine andere Generation und eine andere Zielgruppe. Bei Netflix findet sich momentan eher die Zielgruppe, für die junge Talente etwas machen wollen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen muss sich entscheiden, ob es den Weg gehen will. Im linearen TV bekommt es diese Zielgruppe eh nicht mehr. Dass Mediatheken ausgebaut werden, ist ein gutes Zeichen. Die finde ich mittlerweile um manches besser als so manchen Streamingdienst. Diese Entwicklung freut mich, weil es mir zeigt, dass es eine Option bleiben wird, für das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu arbeiten.

STANDARD: Sie hat es also nicht gestört, dass Bad Banks vorab in den Mediatheken auf Arte und im ZDF lief und erst später linear?

Kienle: Nein, im Gegenteil. Das ist eine gute Entscheidung. Auch dass die Quote von Bad Banks jetzt im linearen TV nicht so gut ist, man aber weiß, dass es darauf ankommt, wie viele Menschen die Serie insgesamt – als auch via Mediatheken – gesehen haben. Das ist die absolut richtige Herangehensweise.

STANDARD: Wie wichtig sind Ihnen die Zuschauerquoten?

Kienle: Mir ist wichtig, dass ich das richtige Publikum habe. Ich mache zum Beispiel nie irgendwas, was meine Mutter mag. Bad Banks respektiert sie zwar, versteht es aber nicht. Die Figuren sind ihr alle zu düster. Sie wollte immer, dass ich Tatorte mache, da kann sie dann mit ihren Freundinnen darüber sprechen. Isi & Ossi ist für jüngeres Publikum und ein bisschen derb, das mag sie auch nicht so. Man läuft immer Gefahr, ans falsche Publikum zu geraten. Wenn man so etwas wie Bad Banks macht, dann weiß man, dass das nichts für ein breites Publikum ist wie etwa ein Tatort, der an einem Abend zehn Millionen Zuschauer hat. Mir ist wichtiger, drei Millionen bei dem für mich richtigen Publikum zu haben, als zehn Millionen von irgendwem. Man kann und sollte es nicht jedem recht machen. Denn dann verwässert man das ganze Projekt.

Christelle Leblanc (Désirée Nosbusch, li.) und Jana Liekam (Paula Beer) in "Bad Banks".
Foto: ZDF, Fabrizio Maltese

STANDARD: Bad Banks ist ja nicht auserzählt, wird es eine dritte Staffel geben?

Kienle:Das ist noch nicht klar. Als die erste Staffel ausgestrahlt wurde, hatte ich damals schon an der zweiten Staffel gearbeitet. Dann kam das Go des ZDF, gleich ein Jahr später wurde gedreht. Das war anstrengend, auch weil ich viele Leute überzeugen musste und weil es eine inhaltliche Herausforderung war, das weiterzuführen. Auch wenn die Figuren so angelegt waren, dass es weitergehen musste. Jetzt wollen wir aber einmal abwarten, wie es ankommt, und überlegen dann, ob und wie eine Fortsetzung aussehen kann.

STANDARD: Bad Banks wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Wie wichtig sind Fernsehpreise, welche sind relevant?

Kienle: Gute Frage, ich bin hier gespalten. Klar freut man sich über Preise. Die Romy zum Beispiel war der einzige klare Drehbuchpreis für Bad Banks. Ich war aber auch selbst schon in einer Jury und weiß daher, wie Preise vergeben werden und dass man nicht traurig sein muss, wenn man keine gewinnt. Mein Problem ist, dass es so viele Preise gibt, fast schon inflationär. Den Emmy hätte ich gerne gehabt, den haben wir dann nicht bekommen. Das wäre unser erster internationaler Preis gewesen. Es täte der deutschen Branche aber vielleicht gut, wenn es weniger, dafür aber bedeutendere Preise gäbe.

STANDARD: Drehbuchschreiben für einen Film und Schreiben für eine Serie – was ist anders?

Kienle: In der heutigen globalisierten Welt akzeptieren wir noch viel mehr als in den 90er-Jahren, dass die Welt komplex ist und dass es nicht nur die guten und die bösen Menschen gibt. Serien schauen zu wollen ist heute ein Ausdruck dessen, dass man die Komplexität akzeptiert hat. Ein Vergleich zwischen Film und Serie im Fantasy-Bereich: In "Herr der Ringe" ist jede Figur gut oder böse. In Game of Thrones hingegen gibt es sehr komplexe Figuren mit ambivalenten Handlungen. Das ist Konfrontation. Herr der Ringe ist für mich hingegen absoluter Eskapismus, man flüchtet sich in eine Welt, in der es ganz klar Gut und Böse gibt und in der die Figuren eine Wandlung vollziehen.

In Game of Thrones bin ich Zeuge von Menschen, von denen ich mir vorstellen kann, dass es sie auch in der Realität so gibt. Dramaturgisch ist es im Filmdrehbuch so, dass wir Zeuge der wichtigsten Phase im Leben der Hauptfigur sind. Und diese Figur macht eine Wandlung durch. Am Ende erkennt sie, was ihr tiefes Bedürfnis ist. Eine Serie widerspricht dem und sagt: Menschen sind ihr Leben lang hin- und hergerissen. Der Mensch hat eine innere Zerrissenheit, und das bleibt das ganze Leben. Es stimmt einfach nicht, dass wir uns um 180 Grad drehen und dann ein anderer Mensch sind. (Astrid Ebenführer, 12.2.2020)