Jetzt reicht es dann mit dem Autohass, denke ich, als der Nachbar versucht, in das Heck des BMW X4 M zu treten. Hätte ich nicht gerade Weinkartons in den Händen gehabt, ich hätte alles fallen gelassen und ihm den Kragen gerichtet. Doch Halt! Nur weil man sich verfolgt fühlt, heißt das ja noch lange nicht, dass sich jemand für einen interessiert.

Er riskiert keine dicke Lippe, der BMW X4 M, dafür reißt er den Schnabel weit auf.
Foto: Guido Gluschitsch
Grafik: der Standard

In dem Fall war die Sache tatsächlich eine andere, als dies im ersten Moment schien. Mit dem Kick unter den Stoßfänger wollte mir der Nachbar freundlicherweise den Kofferraum öffnen. Er habe das erst unlängst bei einem anderen Auto gesehen. Eigentlich ging es ihm aber vielmehr darum, einen Blick in den protzigen BMW zu erhaschen. Mag sein, er steht auf den Wagen.

Danach wartete er geduldig, bis der Sechszylinder sein bollernd Werk begann und stand, als der X4 M um die Ecke bog, noch immer fasziniert auf der Straße.

Noch einmal eine schmale Lippe präsentiert der X4 M am Heck. Dort sorgt ein Carbon-Spoiler wohl für mehr Aufsehen als Anpressdruck.
Foto: Guido Gluschitsch

Kein Gassenhatzerl

Das sind die Momente, in welchen man besonders langsam und zurückhaltend fährt, um ja nicht den Neid der anderen auf sich zu ziehen. Obwohl, der Nachbar hätte vermutlich gar kein Problem gehabt, wenn der X4 M laut böllernd die schmale Gasse raufgeschossen wäre. Beim Nachbarn vom Nachbarn und dessen Nachbarn schaut das vielleicht aber schon ganz anders aus. Und eine besonders sportliche Leistung, die 500 Meter lange Gerade in Rekordzeit hinter sich zu bringen, ist das weder für den BMW noch für den Lenker.

Das Cockpit ist sportlich. Vor allem die beiden roten Knöpfe am Lenkrad drängen sich gern, aber dezent ins Blickfeld. Was das Infotainment und die Assistenzsysteme angeht, spielt der Wagen aber alle Stückerln.
Foto: Guido Gluschitsch

Zugegeben, für die Autobahn, vorzugsweise die deutsche, solange es dort noch kein Tempolimit gibt, ist der X4 M perfekt. Klar macht es auch Spaß, mit den 510 PS ein Bergstraßl rauf und runter zu brennen. Sonderlich sinnvoll wäre das aber nicht. Und auch, wenn BMW die mehr als zwei Tonnen Gewicht hervorragend im Griff hat, ist für die sinnbefreite Berghatz immer noch ein kleiner, leichter und offener Wagen irgendwie sexier. Aber auf der Autobahn, da ist der Wagen eine Macht.

Obwohl BMW die vier Endrohre in dezentem Schwarz hält, fallen die Autofreunden – ja, die gibt es noch – sofort auf.
Foto: Guido Gluschitsch

Die Beschleunigung, das Feedback über Fahrwerk und Lenkung, das einem vermittelt, das Auto auch jenseits der 200 noch im Griff zu haben. Vor allem in den M-Modi, die man über die zwei kleinen roten Knöpfe am Lenkrad mittels Doppeldrück aktiviert.

Im schlimmsten Fall – und das ist gleichzeitig der beste Fall – sind dann alle Assistenten, die lästig in die Fahrerei eingreifen können, im Schlummermodus. Dann kann man den SUV auch hemmungslos Querfahren. Mit den montierten Winterrädern macht man das aber am besten nur auf einer dicken Schneeschicht. Sonst sind die Lamellen gleich aufgerissen wie der luftgierige Grill an der Front. Die Kombination aus hohem Gewicht und Allradantrieb wäre auf griffigem Untergrund nur für Reifenhändler eine Freud.

Sogar Kofferraum kann er, der Performance-SUV. Mehr als 1.400 Liter passen im Bedarfsfall hinein. Ladungssicherung ist aber bei diesem Auto besonders wichtig.
Foto: Guido Gluschitsch

Aber auch im Normalmodus ist die BMW-Idee, die Assistenzsysteme nicht als allmächtigen Herrscher über das Fahrzeug zu betrachten, ein Segen. Da drückt man sich einmal ein paar Sekunden durchs entsprechende Menü, und schon muss man sich nicht mehr fürchten, dass der M wegen jeder Kleinigkeit piepst und ins Ruder greift. Die Einstellung merkt sich der Wagen auch und behält sie auch bei einem Neustart bei. Andere Hersteller schalten beim Neustart gern alles aktiv. Ein Knopfdruck weiter ist alles wieder aktiv – für den Fall, dass man jemand anderen fahren lässt. Und für den Fall, dass er nicht auf die Idee kommt, zweimal auf den roten Ohrwaschln am Lenker herumzudrücken.

Man kann den Wagen auch auf Effizienz und Komfort stellen. Dann kommt man mit rund 13 Litern aus.
Foto: Guido Gluschitsch

Rote Ohrwaschl drohen einem aber selber, wenn man diesen Boliden hierzulande allzu motiviert bewegt. Da tät wohl mancher Sheriff gern kurz den Stern ablegen, wenn er einen dabei erwischt. Aber unsereins ist ja vernünftig und gondelt gesetzeskonform durch über die Straßen. Da ist es ein Vorteil, wenn man die Chance hat, solche Autos auch auf abgesperrten Strecken zu fahren. Nur dort erlebt man, welches Potenzial in diesem Auto steckt.

Ein SUV ist jetzt an sich ja nicht die Quadratur des aerodynamischen Kreises, aber deswegen geben die Burschen der M-Abteilung noch lange nicht auf, sondern perfektionieren alles, bis hin zu den Seitenspiegeln.
Foto: Guido Gluschitsch

Das ist nämlich schon erstaunlich, wie agil sich dieser Wagen bewegen lässt und wie klar er sich im Grenzbereich dirigieren lässt. Was aber ein weiteres Problem mit sich bringt, das einen auch im Alltag recht gach einholt: Man gewöhnt sich sehr schnell daran, mehr als 500 PS Leistung zur Verfügung zu haben. Aber nicht, dass Sie jetzt meinen, der Ritt in dieser Kanonenkugel wäre ein Kinderspiel. Man muss halt sehr schnell sein, immer bei der Sache, blitzschnell reagieren – einfach deswegen, weil der Wagen so stark, die Lenkung so präzise und die Bremsen so bissig sind, dass man da mit einem gesunden Ehrgeiz schon herrlich an den eigenen Rundenzeiten basteln kann.

Der BMW X4 M kann beides, die Alltagsfahrt kommod erledigen und bereit sein, wenn es einem einmal den Vogel raushaut.
Foto: Guido Gluschitsch

Schweißflecken, die von einer Achsel zur anderen gehen, sind also ausnahmsweise ein gutes Zeichen. Nämlich dafür, dass man die Herausforderung des X4 in der M-Version angenommen hat. Ist nur die Brust von den Tränen nass, weil man die rote Bestie nicht derritten hat, bleibt einem nur noch der Hass auf Performance-SUVs. Und der angedeutete Tritt ins Heck eines solchen. (Guido Gluschitsch, 17.2.2020)