Auch der zweite Prozess gegen Eduard L. im vergangenen Sommer stieß auf großes Medieninteresse.

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Graz/Wien – Der Fall des steirischen Arztes Eduard L., der seine heute erwachsenen Kinder über einen Zeitraum von 22 Jahren gequält haben soll, ist noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Sieben Monate nach dem nicht rechtskräftigen Urteil von vier Monaten bedingt und 1920 Euro Geldstrafe gegen den heute 58-Jährigen im Juli 2019 steht allen Beteiligten vielleicht sogar ein weiterer Prozessdurchgang bevor.

Es wäre dies bereits der dritte Verhandlungsanlauf in dem Fall, der auch deshalb für öffentliche Aufmerksamkeit sorgt, weil Eduard L. der Bruder eines hochrangigen ÖVP-Politikers ist.

Suizidandrohungen und Selbstverletzungen

L. wird vorgeworfen, seine heute 22 bis 32 Jahre alten Kinder zwischen 1992 und 2014 durch häufige Suizidandrohungen und Selbstverletzungen in Angst versetzt zu haben. Er habe so Druck gegen die damals sich ankündigende Scheidung von seiner Exfrau aufbauen wollen. Auch soll er seine Kinder wiederholt beleidigt, gedemütigt und geschlagen haben.

Sohn Josef L. sei gezwungen worden, dem Vater intravenöse Injektionen zu verabreichen. Tochter Madeleine soll von ihm Psychopharmaka erhalten haben und dadurch in eine Medikamentensucht getrieben worden sein.

Kritik an Freispruch im ersten Prozess

Ein erstes Gerichtsverfahren endete im September 2017 mit einem Freispruch, der für viel Kritik sorgte. Erstrichter Andreas Rom sah "keinen Anhaltspunkt" für Handlungen laut Paragraf 92 StGB – Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen. Er sprach von einem "verspäteten Rosenkrieg nach der Scheidung".

Auch der zweite Richterspruch war verschiedentlich als überraschend milde bezeichnet worden – etwa vom Verein Autonomer Frauenhäuser, vom damaligen SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim und von L.s Kindern selbst.

Höchst ausführliche Urteilsbegründung

Diese meldeten nach dem Urteil Berufung an, ebenso L. selbst – sowie Staatsanwalt Christian Kroschl. Letzterer arbeitet sich derzeit durch die 94-seitige schriftliche Urteilsbegründung von Richter Oliver Graf, der dieses Dokument erst im heurigen Jänner vorlegte.

Bis Anfang März hat Kroschl Zeit, um über Ausführung seines Antrags zu entscheiden. Bleibt er dabei, kann das Oberlandesgericht Graz einen weiteren Prozessanlauf vorschreiben, das Strafausmaß erhöhen oder verringern.

Renommee als Arzt als Milderungsgrund

Die Urteilsbegründung liegt dem STANDARD vor. Der Richter kommt darin zu dem Schluss, dass L. bei jedem seiner Kinder "das Vergehen des Quälens und Vernachlässigens verantwortet". Als mildernd lässt er L.s "bisherige Unbescholtenheit" gelten sowie den "Umstand, dass die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallender Weise in Widerspruch steht"; L. ist als Arzt renommiert.

Erschwerend seien das "Zusammentreffen mehrerer Vergehen und die Vielzahl der Angriffe".

Richter zweifelt Vorsatz L.s an

Diese jedoch habe L. vielfach nur bedingt vorsätzlich begangen. Die Suizidankündigungen des Arztes seien "primär" auf dessen von der psychiatrischen Gutachterin Adelheid Kastner festgestellte "histrionische Persönlichkeitsakzentuierung" zurückzuführen; eine psychische Störung, die sich in egozentrischem, dramatisch-theatralischem, manipulativem und extravertiertem Verhalten äußert.

Zwar habe L. zeitgleich auch mit dem "erforderlichen Vorsatz zum Zufügen von Qualen" gehandelt – doch eben nicht ausschließlich.

Schraubenzieher im Bauch nicht tatrelevant

Dasselbe gilt für eine besonders spektakuläre Selbstverletzung des Arztes. L. hatte sich einen Schraubenzieher in den Bauch gerammt, eines der Kinder musste ihn wieder herausziehen. Es sei nicht beweisbar, dass ein Kind das Hineinrammen gesehen habe, argumentiert der Richter. L. habe seinen Nachwuchs hier nicht vorsätzlich gequält.

Bei den wiederholten Demütigungen und Züchtigungen wiederum habe L. selbst einen Quälvorsatz ausgeschlossen, also sei er dessen auch nicht schuldig: "Die Ansicht des Richters ist befremdlich und könnte ein Freibrief an Eltern sein, die ihren Kindern psychische Gewalt antun", sagt dazu die Opferanwältin der Kinder, Andrea Peter.

Die Kinder selbst sprechen von einer "täterfreundlichen Urteilsbegründung". Richter Graf habe "offenbar einen Spagat schaffen wollen: den Opfern öffentlichkeitswirksam Glauben schenken, aber andererseits das mildestmögliche Urteil für den prominenten Täter fällen". (Irene Brickner, 13.2.2020)