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Es kann jeden treffen. Haben Sie schon einmal Fleisch gegessen, eine Serie auf Netflix gestreamt oder sind in einen Flieger gestiegen? Ich hoffe, Sie sind sich Ihres ökologischen Fußabdrucks bewusst. Wie sieht es mit der Familienplanung aus? Rechnen Sie sich vorher die Emissionen Ihres kleinen Rackers aus. Zehn Tonnen Treibhausgase verursacht der durchschnittliche Österreicher im Jahr. Ihr künftiges Kind hat gute Chancen, hundert Jahre alt zu werden. Für das Klima ist das absoluter Wahnsinn.

Foto: APA/dpa/Christian Charisius

Bleibt nur eine Frage: Sind jetzt alle verrückt geworden? Die Klimadebatte treibt seltsame Blüten. Statt die Politik vor sich herzutreiben, reden immer mehr über den Einzelnen, über Autofahrer, Vielflieger, Fleischesser. Dabei ist der Klimawandel ein durch und durch politisches Problem. Es braucht große Reformen, neue Gesetze, schlaue Förderungen und riesige Investitionen.

Es fragt Sie schließlich auch niemand danach, was Sie zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen. Dazu gibt’s die Arbeitsmarktpolitik. Ob Sie ein Baby bekommen oder zwei, ob Sie Netflix schauen oder nicht: Für das Einbremsen des Klimawandels spielt das keine Rolle.

Klimaneutrale Kinder

Trotzdem ist es nicht ganz egal, was Sie im Alltag machen. Ob Sie auf ein E-Auto umsteigen, eine Photovoltaikanlage auf Ihr Dach bauen oder mit dem Zug in den Urlaub fahren. Ihr Verhalten hat Einfluss. Aber anders, als die meisten denken.

Bleiben wir beim Beispiel mit den Kindern. An ihnen lässt sich die Lösung schön veranschaulichen. Reiht man alle Entscheidungen im Leben eines Menschen danach, wie sehr sie zur Erhitzung der Erde beitragen, steht Kinderkriegen ganz oben. Rein rechnerisch betrachtet, könnte man also sagen: Kinderlos zu bleiben ist nur konsequent. Dass dies einige Menschen, aus Klimagründen, wirklich beherzigen, zeigt, wie sehr die Debatte aus dem Ruder gelaufen ist.

Keine Science-Fiction

Denn ein Kind, das in den kommenden Jahren geboren wird, verursacht als Erwachsener vielleicht überhaupt keine Treibhausgase mehr. Die riesigen Datenzentren für Netflix sind dann auch kein Problem mehr, denn der Strom kommt von der Sonne. Abwärme aus der Müllverbrennung heizt die Wohnung, gependelt wird mit dem Elektroauto. Die Industrie heizt den Planeten nicht mehr an. Emissionen sind wegen hoher CO2-Steuern viel zu teuer geworden.

Das ist keine Science-Fiction, sondern alles heute schon möglich, wenn die Politik die nötigen Hebel in Bewegung setzt. Zugegeben: Nicht auf alles gibt es Antworten. Aber für den Großteil der Emissionen schon. Bald könnte es heißen: keine Treibhausgase, keine Sorgen. Nur: Was machen wir bis dahin?

Denn momentan verursachen die meisten unserer Autos, Wohnungen und Urlaube sehr wohl jede Menge CO2. Sind wir dann nicht doch die Generation, die in den sauren Apfel beißen, den Gürtel enger schnallen muss? Nein.

Erstens: Es bringt uns nicht weit. Eine Zeit-Redakteurin hat mit ihrer Familie versucht, klimaneutral zu leben. Das Haus wurde saniert, auf Rindfleisch verzichtet, es wurde mehr mit dem Rad gefahren, und in den Urlaub ging es mit dem Zug statt mit dem Flieger. Das Ergebnis? Pro Kopf sanken die Emissionen von zehn auf sieben Tonnen. Das ist gut, aber viel zu wenig. Die Emissionen müssen so schnell wie möglich auf null.

Das geht aber deswegen noch nicht, weil der Schulbus mit Diesel fährt. Weil der Mieter seine Gasheizung nicht auf eigene Faust rausreißen kann und weil man auf dem Land ohne Auto kaum auskommt. Weil alles, was wir kaufen, Emissionen in sich trägt. Wer in die Arbeit fährt, sein Handy auflädt, sich ernährt, kurz, wer lebt, heizt den Planeten an. Daran führt derzeit kein Weg vorbei.

Zweitens: Verzicht ist unsexy. "Die politischen Erzählungen zum Klimawandel waren zum Großteil katastrophal", sagt der Sozialforscher Christoph Hofinger. Statt auf Verzicht und Freiheitsentzug zu setzen, müsse man inspirieren, unterstützen, wenn möglich Begeisterung entfachen. Dazu gehört auch die Art und Weise, wie wir über das Thema sprechen.

Geschützt wird schließlich nicht das Klima, sagt Hofinger, geschützt werden die Großeltern und das Neugeborene vor extremer Hitze. Der Fleischkonsum soll sinken? Statt Erwachsene zu belehren, bringe es mehr, die nächste Generation in den Schulen zu einer anderen Ernährung zu inspirieren. Dazu kommt: Menschen haben auch andere Sorgen. Wer sich um Job, Haushalt und Kinder kümmern muss, tut sich eher schwer, nebenbei noch den Planeten zu retten.

Drittens: Worauf sollen Inder verzichten? Nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung lebt so wohlhabend wie wir. Die meisten klettern erst langsam die Wohlstandsleiter hinauf, viele Chinesen und Inder sind zum ersten Mal Teil der Mittelschicht. Viele wollen in den Urlaub fahren, Fleisch essen, größere Wohnungen haben.

Mit einem chinesischen Touristen über Flugscham zu diskutieren wird vermutlich wenig bringen. Hoffentlich werden noch viele Menschen in Afrika, Asien und Südamerika Teil der Mittelschicht. Statt gutgemeinter Appelle für ein Weniger brauchen sie leistbare Möglichkeiten, um anders als wir klimaschonend reich werden zu können.

Lehren aus einem Experiment

Einfach weniger zu konsumieren löst also das Problem nicht. Trotzdem ist es nicht egal, wie wir uns im Alltag verhalten. Das lässt sich am besten an einem 50 Jahre alten Experiment veranschaulichen.

Psychologen haben damals ahnungslose Teilnehmer in einen Warteraum gesetzt. Einmal waren sie allein, das andere Mal saßen zwei Eingeweihte daneben. Alle mussten ein Formular ausfüllen, als plötzlich Rauch in den Raum geblasen wurde. Die Aufgabe der Eingeweihten war, mit den Schultern zu zucken und nicht weiter darauf zu reagieren.

Das Ergebnis? Die Teilnehmer, die allein waren, handelten nachvollziehbar: Sie gingen raus. Erstaunlich war die Reaktion jener, die mit zwei Untätigen im Raum saßen: Die meisten blieben einfach sitzen, nach dem Motto "Wird schon nicht so schlimm sein".

Drei Schritte

Das Experiment verrät viel darüber, wie man Bewusstsein schafft. Damit ein Mensch auf einen Notfall reagiert, braucht es drei Schritte. Erstens muss der Notfall erkannt, zweitens als Notfall interpretiert werden, drittens muss man sich selbst verantwortlich sehen zu reagieren.

In allen drei Phasen machen es "Untätige" wahrscheinlicher, dass wir auch passiv bleiben. In der Psychologie nennt man das den "Zuschauereffekt".

Auf den Klimawandel umgemünzt heißt das: Wer in den Nachrichten von der Klimakrise hört, aber niemanden sieht, der reagiert, nimmt das Problem weniger ernst – oder gar nicht wahr. Wer also auf ein E-Auto umsteigt, kein Fleisch isst oder nicht mehr fliegt, sendet ein Signal aus. Ihr Verhalten ist also nicht primär wichtig, weil Sie damit CO2 reduzieren. Sondern weil Sie damit andere wachrütteln.

Der Nachbar und wir

Taten sind auch mächtiger als Worte. Forscher haben eine politische Kampagne begleitet, die Menschen zum Bau einer Photovoltaikanlage auf ihrem Dach animieren wollte. Aktivisten, die selbst eine Anlage hatten, überzeugten 63 Prozent mehr Leute, dies auch zu tun. Zudem steckt Verhalten an. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eine PV-Anlage installiert, steigt stark an, wenn der Nachbar eine aufs Dach baut.

Je mehr Menschen vom Problem überzeugt sind, desto eher handelt die Politik. In Österreich sorgen sich viele um Atomkraft. Politiker deshalb auch. Vielleicht ist die Angst vor Treibhausgasen irgendwann genauso groß. Nur: Es bleibt keine Zeit, darauf zu warten. Wenn Sie wollen, sparen Sie also Strom, fahren Sie Rad, essen Sie weniger Fleisch. Dafür gibt es viele gute Gründe. Aber vergessen Sie dabei nicht, wer wirklich verantwortlich ist. Es ist Zeit, dass die Politik ihren Beitrag leistet.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 23.2.2020)