Der Vorhang ist ihr Kleid: Recha (Theresa Palfi), Tochter des reichen Nathan, ist am Schauspielhaus Linz auf eindrückliche Weise an ihr Heim gekettet.

Petra Moser

Gotthold Ephraim Lessing siedelt sein Drama Nathan der Weise im umkämpften Jerusalem der Kreuzzüge an: 12. Jahrhundert, feudale Gesellschaftsordnung, erste Hochblüte des Ritterstandes. Lessing bringt Vertreter aller drei Weltreligionen als Übung in Toleranz zusammen: Juden, Christen und Muslime. In Zeiten von Islamophobie und neu erstarkendem Antisemitismus ist der Dramenklassiker auf Spielplänen wieder häufig anzutreffen. Am Landestheater Linz schafft sich Regisseurin Katrin Plötner mit einer Kunstmärchenoptik einen zeitlosen Gedankenraum, in dem Vorurteile abgewogen werden.

Landestheater Linz

Dafür hat ihr Lessing einen veritablen Thriller-Plot bereitgestellt: Bei einer Feuersbrunst im Haus des jüdischen Kaufmanns Nathan (Sebastian Hufschmidt) wird dessen Tochter Recha (Theresa Palfi) von einem Ritter des Templerordens (Markus Ransmayr) gerettet. Dieser wiederum verdankt sein junges Leben der Begnadigung durch den regierenden Sultan, der bei Plötner zur Sultanin (Katharina Knap) geworden ist. Damit setzt sie zwei Figuren in eine: den Sultan und dessen ohnehin deutlich durchsetzungsfähigere Schwester Sittah.

Am Ende wird sich herausstellen, dass die jüdisch erzogene Recha nicht die leibliche Tochter Nathans ist und sowohl sie als auch der Tempelherr in Wahrheit Kinder des verstorbenen Sultan-Bruders sind. Und dass, hurra – als Spiegelung der berühmten Ring-Parabel –, alle drei Weltreligionen in einer großen Familie friedlich Platz finden können.

Christlicher Amokläufer

Diesem idyllischen Ende misstraut Plötner. Ihre Inszenierung am Schauspielhaus beginnt mit einem krachenden Milizeinsatz (am Boden robbende Statisten in Camouflage, die erst zum Schlussapplaus wieder auftauchen) und endet mit Schüssen. Muss man die plötzlich festgestellte Verwandtschaft über Religionsgrenzen hinweg bei Lessing als freudvoll einschätzen, so überfordert die neue Konstellation den jungen christlichen Ritter in Plötners Neuinszenierung, und er greift zur Waffe. Als unerträgliches Sündenhaus erscheint ihm diese religiöse Durchmischung. Besonders raffiniert löst Plötner diese letzte Szene, die ihrerseits auch ein offenes Ende hat, das aber hier nicht vorweggenommen werden soll.

Bis dahin drehen die fünf Akte, in denen auch die sprachliche Steilvorlage (Enjambement) dem Ensemble zu schaffen macht, eher zäh ihre Runden. Für die vernuschelten, weggeatmeten Verse entschädigt die Vorhangbühne von Anneliese Neudecker. Sieben riesige Stoffbahnen in warmen Farben verleihen dem abstrakten Raum fernöstliche und herrschaftliche Anmutung und erinnern in ihrem Purismus an Bühnenbilder der großen Katrin Brack. In diese Welt aus Seide ist Recha mit ihrem Kleid eingenäht, ein Schachzug von Kostümbildnerin Henriette Müller, der mustergültig zeigt, wie sehr sich die Inszenierung auf diese (schöne) Oberfläche zurückzieht. (Margarete Affenzeller, 12.2.2020)