Das Camp der Wissenschafter in der "Patriot Hills Blue Ice Area".
Foto: AntarcticScience.com

Um zu prognostizieren, wie sich ein Abschmelzen mächtiger Eisschilde wie denen von Grönland oder der Antarktis auf den Meeresspiegel auswirken wird, kann man auch einen Blick in die Vergangenheit werfen. Ein internationales Forscherteam hat dies getan und die letzte Warmzeit vor der aktuellen näher untersucht, wie die Universität Bonn berichtet. In dieser über 100.000 Jahre zurückliegenden Ära stieg der Meeresspiegel beträchtlich.

Vor etwa 2,7 Millionen Jahren begann das Eiszeitalter, in dem wir immer noch leben. Trotz seines Namens ist es von extrem wechselhaften Bedingungen geprägt: In einer steten Pendelbewegung haben seit seinem Beginn Warmzeiten, auch Interglaziale genannt, mit etwa zehnmal so langen Kaltzeiten gewechselt, in denen es zu massiven Vergletscherungen kam. Die gesamte menschliche Zivilisation seit der Jungsteinzeit, in der Ackerbau und Viehzucht aufkamen, fällt in ein solches Interglazial.

Die Eem-Warmzeit

Das letzte Interglazial davor war die sogenannte Eem-Warmzeit, die vor etwa 129.000 bis 116.000 Jahren für lauschige Bedingungen sorgte. Europa war damals von Neandertalern besiedelt, die Jagd auf Waldelefanten machten. Steigende Meerestemperaturen trieben indes das Abschmelzen der antarktischen Eisschilde an und verursachten einen Anstieg des Meeresspiegels um sechs bis neun Meter. Und es brauchte weniger als zwei Grad Celsius bei der Erwärmung der Ozeane, um zu diesem extremen Anstieg zu führen.

"Damals war der Verlust am westantarktischen Eisschild nicht nur sehr groß, sondern dies geschah auch sehr früh während des letzten Interglazials", sagt Chris Turney von der University of New South Wales, der Hauptautor der Studie. Die Westantarktis gilt auch heute als brisante Region, denn die dortigen Eismassen sind vergleichsweise anfällig.

Problemregion Westantarktis

Der Grund: Im Gegensatz zum höher gelegenen ostantarktischen Eisschild ruht der westantarktische Schild auf dem Meeresboden. Er ist von großen Flächen von schwimmendem Eis, dem so genannten Schelfeis, gesäumt, das den zentralen Teil des Schildes schützt. Wenn das wärmere Meerwasser in die Hohlräume unter dem Schelfeis eindringt, schmilzt das Eis von unten. Dadurch wird das Schelfeis dünner und die zentrale Eisdecke sehr anfällig für die Erwärmung der Meerestemperaturen.

Um zu seinen Daten zu kommen, entnahm das Team einen horizontalen Eiskern in der "Patriot Hills Blue Ice Area" am Rande des westantarktischen Eisschildes. Anstatt kilometerweit ins Eis hineinzubohren, entnahmen sie ihre Proben von einer blauen Fläche, in der jahrtausendealtes Eis an die Oberfläche fließt.

Wiederholt sich die Geschichte?

Die Forscher hoffen, ihre Studie künftig noch ausweiten zu können, um ein noch umfassenderes Bild davon zu erhalten, wie lange das Abschmelzen in der Eem-Warmzeit dauerte und welche Gebiete in der Antarktis am stärksten betroffen waren. Der Blick zurück bleibt aber untrennbar von dem nach vorne: Das damalige Szenario ist auch heute in seinen Grundzügen beobachtbar, sagt Michael Weber vom Institut für Geowissenschaften der Uni Bonn. Es lassen sich daraus also Schlüsse ziehen, wie die zukünftige globale Erwärmung die Eisdynamik und den Meeresspiegel beeinflussen könnte. (red, 15.2.2020)