Jang Ji-sung begegnete dem Abbild ihrer toten Tochter Nayeon in der virtuellen Realität.

Foto: MBC/Screenshot

Es ist eine unheimliche Begegnung, die in der südkoreanischen Fernsehdokumentation "Meeting You" Anfang Februar ausgestrahlt wurde. Darin zu sehen: Jang Ji-sung und ihre Tochter Nayeon – die allerdings 2016 im Alter von sieben Jahren krankheitsbedingt verstorben war. Der TV-Sender Munhwa Broadcasting Corporation (MBC) hat in achtmonatiger Arbeit in der virtuellen Realität Nayeons Ebenbild erschaffen. Mit einem HTC Vive Headset und berührungsempfindlichen VR-Handschuhen ausgestattet, traf Jang Ji-sung nun auf dieses Ebenbild, das mit Nayeons Stimme auch auf die Worte der sichtlich aufgelösten Mutter reagierte.

MBClife

Das rund zehnminütige Video auf Youtube zeigt herzzerreißende Szenen, etwa eine gemeinsame Geburtstagsfeier, bei der sich die Tochter wünscht, dass die Mutter nicht mehr weine. Oder als Nayeon sagt: "Mama, siehst du? Ich habe keine Schmerzen mehr."

Kritik an TV-Doku

Das Video stößt jedoch auch auf jede Menge Kritik. Der Moment der Wiederbegegnung sei schlichtweg zu intim, um ihn tatsächlich im Fernsehen auszustrahlen. Ein totes Kind auf diese Art und Weise zu "erwecken", sei pietätlos. Zudem könne dieses Experiment den Trauerprozess der Mutter beeinträchtigen. Auch die Wiener Psychotherapeutin und Traumaspezialistin Martina Weissenböck sieht das TV-Experiment gegenüber dem STANDARD "sehr kritisch. Ich finde es aus ethischer Sicht schrecklich, diesen intimen Moment auszustrahlen."

Offene Fragen

Und aus psychotherapeutischer Sicht? Dies sei aus der Ferne schwer beurteilbar, so die Psychotherapeutin. Der Verlust des eigenen Kindes gehöre zu den schrecklichsten Dingen, die Eltern widerfahren können. Aber letztlich verlaufe jeder Trauerprozess höchst individuell, und es käme auch darauf an, in welcher Trauerphase man eine derartige VR-Begegnung vornehme. "Wenn man sich in der Phase befindet, in der die ganzen Emotionen über den Verlust hochpoppen, macht dies das VR-Treffen noch schmerzhafter", sagt Weissenböck. Ob die VR-Begegnung helfen könne, den Trauerprozess abzuschließen, sei offen. "Das Loslassen könnte auch schwieriger werden."

Jang Ji-sung gab laut "Daily Mail" bekannt, dass sie an der TV-Doku teilnahm, um anderen Menschen zu helfen, die ebenfalls den Tod einer nahestehenden Person verarbeiten müssen. "Ihr hat's anscheinend geholfen", sagt Weissenböck. Aber es wäre interessant zu beobachten, wie sich die Begegnung auch langfristig auf ihr Wohlbefinden auswirke. Fürs Erste schrieb Jang Ji-sung in ihrem Blog: "Drei Jahre nach ihrem Tod sollte ich sie mehr lieben, statt sie zu vermissen und mich so krank zu fühlen, damit ich zuversichtlich sein kann, wenn ich sie später wiedersehe."

Echte Erinnerungen

In ihrer Praxis würde die Psychotherapeutin diese Methode jedenfalls nicht anwenden. Letztlich sei die virtuelle Realität nur ein schwacher Trost. Echte Erinnerungen seien viel reichhaltiger. "Da kann man auch umarmen und den Geruch wahrnehmen", so Weissenböck. Dies wird auch in der TV-Doku offensichtlich, in der die Mutter verzweifelt versucht, ihre Tochter "noch ein letztes Mal" zu umarmen, was mit der 3D-Projektion aber nicht möglich ist. Jang Ji-sung steht in der virtuellen Realität auf einer Blumenwiese, real in einer Greenbox im TV-Studio, rundherum MBC-Mitarbeiter, aber auch ihr Ehemann und ihre drei anderen Kinder.

Für Weissenböck ein nicht lohnenswerter Aufwand. Auch in ihrer Arbeit mit Klienten simuliert sie manchmal Verabschiedungsszenen mit Verstorbenen. "Dafür hat jeder genug Erinnerungen. Die muss man nicht künstlich erzeugen." (Andreas Gstaltmeyr, 13.2.2020)