Youssef Chahines Film "Al-ard" (Das Land) von 1969.

Foto: Filmarchiv

Das Werk von Youssef Chahine ist nahezu einzigartig, vor allem wegen seiner historischen Erstreckung: Sein Debüt Baba Amin stammt von 1950 und führt in eine Welt, in der Ägypten eine regionale Großmacht des Kinos war, mit populären Formen wie Musicals, aber auch mit neorealistischen Einflüssen aus den Erneuerungsströmungen der Nachkriegsepoche. Sein letzter Film Chaos (2007) ahnt beinahe schon den Arabischen Frühling. Er weiß viel von den Spannungen, die sich wenig später auf dem Tahrir-Platz entluden – sexuelle, religiöse und soziale Spannungen.

Epen über die Geschichte Ägyptens

Chahine begleitete die ägyptische Geschichte im 20. Jahrhundert mit seinen Werken, er trug die nationale und die panarabische Aufbruchsstimmung unter General Nasser mit, registrierte später aber auch die Enttäuschungen und die Einengung der Freiheiten. Chahine war ein liberaler Patriot, der immer wieder auch die Geschichte des Landes mit teils epischen Werken aufgriff. Der Emigrant (1994) erzählt zentral die biblische Josefsgeschichte aus einer ägyptischen Perspektive; Das Schicksal (1997) ist ein biografischer Film über den maßgeblichen (und keineswegs fundamentalistischen) muslimischen Denker Averroes.

Adieu Bonaparte wiederum nahm die Zeit in den Blick, in der Napoleon in Ägypten ein koloniales Zeitalter zu begründen versuchte, mit anderen Worten: einen Moment der Modernisierung von außen und unter Zwang, den Chahine in all seiner Ambivalenz zu begreifen versuchte.

Man kann dieses reiche Werk wie den Roman einer Nation lesen, und man wird erstaunliche Entdeckungen machen über ein Kino, das sich seinerzeit vor Hollywood wie vor Bollywood nicht verstecken musste. (reb, 13.2.2020)