Die Geschichte der bundeskanzlerischen Intervention ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Ihren Anfang nahm sie vor zwei Wochen mit dem Auftritt des ehemaligen Telekom-Managers Gernot Schieszler vor Gericht. Dieser brachte im Rahmen des Buwog-Prozesses seine Verwunderung über die tatsächlich paradoxe Situation zum Ausdruck, dass zu den Themen "illegale Parteienfinanzierung" und "Bestechung von Politikern" praktisch keine Politiker auf der Anklagebank landen. Und wenn, wie im Fall des von der Telekom bestochenen ehemaligen Vizekanzlers Hubert Gorbach, kommen sie mit einer beschämend lächerlichen Diversion davon.

Das mag in manchen Fällen menschlich nachvollziehbar erscheinen, zumal die Verschonung ehemaliger Politiker wie Willi Molterer, Kurt Gartlehner oder Reinhart Gaugg als Akt gelebter Barmherzigkeit interpretierbar ist. Aber kann es sein, dass unsere Justiz generell zu viel Nachsicht gegenüber einem ganzen Berufsstand zeigt?

Bundeskanzler Sebastian Kurz leidet unter einem schweren Erbe.
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Diese dunkle Ahnung hat Sebastian Kurz, der sich als wichtigster Politiker des Landes bestimmt seiner Verantwortung als Vorbild bewusst ist, offenbar tief beunruhigt und sein Herz so schwer gemacht, dass er es im Rahmen eines "Hintergrundgespräches" mit Journalisten einfach ausschütten musste. Doch leider wurde dort seine große Sorge über politisch motivierte Einflussnahmeversuche auf die Staatsanwaltschaft von den Anwesenden just als ebensolcher aufgefasst.

Interventionsversuch

Das kann nur ein großes Missverständnis sein! Denn gerade Kurz leidet unter einem schweren Erbe, das die ÖVP bis zum heutigen Tag dazu zwingt, von der Telekom und anderen Firmen illegal erhaltene Parteispenden zurückzuzahlen, ohne dass die dafür Verantwortlichen in seiner Partei bislang von der Justiz zur Rechenschaft gezogen wurden. Genauso, wie es für seinen christlich fundierten Gerechtigkeitssinn sicher unerträglich ist, dass auch die ÖVP-nahen Empfänger von Eurofighter-Schmiergeldern noch immer auf freiem Fuß sind. Und dass die Frage, ob das Verschwindenlassen von Gesetzesentwürfen aufgrund von Interventionen eines Glücksspielkonzerns strafbar ist, selbstverständlich von einem Gericht zu klären ist, wird er, bei aller Freundschaft, gewiss auch Hartwig Löger noch nahebringen. Wobei hier die Gefahr eines weiteren Missverständnisses besteht, falls Löger seine von Reue erfüllte Zustimmung wieder mit einem falsch verwendeten Emoji (gestreckter Mittelfinger) signalisiert. Davon abgesehen bliebe dem ehemaligen Finanzminister immer noch die Möglichkeit eines "Höflichkeitsgesprächs" mit Christian Pilnacek, für den wiederum, im Sinne einer Entpolitisierung der Justiz, eine neu geschaffene Funktion als "Staatsanwaltschafts-Ombudsmann für Interventionen aller Art" eine gesichtswahrende Lösung wäre.

Somit wäre das Missverständnis des Kurz’schen Interventionsversuches als solches erkannt. Was für eine Erleichterung für den Kanzler! Es sei denn, er selbst sitzt in Wahrheit einem noch viel größeren Missverständnis auf: nämlich zu glauben, dass wir uns bezüglich der Akzeptanz von Angriffen auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen, Ungarn oder der Türkei befinden. (Florian Scheuba, 12.2.2020)