Omar al-Bashir in für ihn besseren Zeiten, 2015 vor dem Parlament in Khartum. Seit April 2019 sitzt er hinter Gittern – aber nach Den Haag ausgeliefert wird er wohl nicht.

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Der Jubel nach den ersten Berichten von Dienstagabend hat sich inzwischen gelegt und ist Skepsis gewichen: Nein, die sudanesische Regierung hat eigentlich nicht, wie weltweit gemeldet, beschlossen, den im April 2019 gestürzten Machthaber Omar al-Bashir an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag auszuliefern. Dort laufen zwei Haftbefehle gegen ihn, ausgestellt 2009 und 2010 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwischen 2003 und 2008 im Darfur-Konflikt.

Bewegung gibt es in der Sache aber doch. Die BBC, die den Bericht von der angekündigten Auslieferung als Erste brachte, hat wohl eine Äußerung eines Mitglieds des sudanesischen interimistischen Souveränen Rats, Hassan Eltaish, überinterpretiert. Dieser hatte am Rande von Friedensverhandlungen der neuen Führung mit Darfur-Rebellen in der südsudanesischen Hauptstadt Juba von einer Einigung darüber gesprochen, wie man mit den insgesamt fünf vom ICC Beschuldigten weiter verfahren soll. Die Darfuris wollen sie natürlich vor Gericht sehen. Nach den Worten des Offiziellen würden sie ausgeliefert, in dem Sinn, dass sie vor dem ICC zu erscheinen hätten. Aber Den Haag wurde nicht genannt. Omar al-Bashir wurde namentlich auch nicht genannt.

Hybrides ICC-sudanesisches Gericht möglich

Wie das "Erscheinen" der Beschuldigten vor Gericht in der Praxis aussehen könnte, ist demnach noch unbekannt. Die in London ansässige Sudan-Expertin Yousra Elbagir, die eine Auslieferung allein aus internen politischen Gründen für unwahrscheinlich hält, führt auf Twitter zwei mögliche Optionen an: entweder einen ausgelagerten ICC-Gerichtshof im Sudan oder ein hybrides ICC-sudanesisches Gericht.

Nach der Absetzung Omar al-Bashirs im April, der monatelange Proteste der Bevölkerung in vielen Städten des Sudan vorangegangen waren, hatte der ICC Kontakt mit der damaligen Militärjunta aufgenommen und sich offen für diverse Möglichkeiten der Zusammenarbeit gezeigt. Laut New York Times gab es aber zuletzt keine Verhandlungen mit Khartum oder eine Kommunikation die Auslieferung des 76-jährigen Exdiktators oder anderer von Den Haag Gesuchter betreffend.

Wachsende Unruhe

Elbagir nennt als Hintergrund der positiven Signale aus der Führung die wachsende Unzufriedenheit, der entgegengesteuert werden soll. Es gibt erneut Demonstrationen in Khartum. Im Sommer hatten sich die Militärjunta, die al-Bashir – einen der ihren – gestürzt hatte, und die Protestbewegung auf eine Übergangsperiode mit dem Souveränen Rat und einer Regierung geeinigt. Nach drei Jahren soll gewählt werden. Die Beteiligung an der Übergangsführung hatte die Protestbewegung mit weiteren Demonstrationen, gegen die auch Gewalt eingesetzt wurde, erkämpft. Seit Ende August hat der Sudan einen angesehenen Zivilisten als Premier, Abdulla Hamdok. Die soziale und wirtschaftliche Lage bleibt schwierig.

Dass Omar al-Bashir wegen seiner Verbrechen in Darfur angeklagt wird, ist vor allem den Leidtragenden aus diesem Konflikt – und jenen in anderen Teilen des Sudan – ein Anliegen. In sozialen Medien wurden auch Stimmen laut, die anführten, dass eine saubere Gefängniszelle in Den Haag gewiss bequemer sei als die Verhältnisse in einem sudanesischen Gefängnis. Al-Bashir wurde bereits im Dezember in einem Verfahren wegen Korruption und diverser Bereicherungsdelikte zu zwei Jahren verurteilt.

Zustimmung des Rats unwahrscheinlich

Abgesehen davon, dass Ratsmitglied Hassan Eltaish gar nicht von einer physischen Auslieferung al-Bashirs nach Den Haag gesprochen hat: Es ist unwahrscheinlich, dass die den Rat dominierenden Militärs dem zustimmen würden. Nicht zuletzt Vizechef Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, einst Anführer der berüchtigten Janjaweed-Reitermilizen der Regierung in Darfur, ist wohl nicht an einer gerichtlichen Aufarbeitung durch den ICC interessiert. Er gilt als eigentlicher starker Mann im Rat, obwohl er nominell Nummer zwei hinter Abdel Fattah al-Burhan ist.

Zwischen Rat und Regierung und zwischen Zivilisten und Militärs gibt es Spannungen. Zuletzt gab es Kritik der Protestbewegung an einem Treffen al-Burhans mit Israels Premier Benjamin Netanjahu in Uganda. Die Gründe dafür sind pragmatisch: Der Ratschef erhofft sich, dass der Sudan über israelische Fürsprache von der US-Sanktions- und Terrorismusliste herunterkommt. (Gudrun Harrer, 12.2.2020)