Die Angeklagten im Gerichtssaal.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Krems – Ein 39-Jähriger und seine 35-jährige Frau sind am Mittwochabend in Krems wegen gröblicher Vernachlässigung einer unmündigen Person mit Todesfolge nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Sie ließen die chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung ihrer 13-jährigen Tochter nicht behandeln, sondern beteten stattdessen für ihre Heilung. Die Krankheit löste laut Obduktion den Tod des Mädchens aus.

Er habe auf Gott vertraut, rechtfertigte sich der Angeklagte.
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Der Kindsvater erklärte, dass er und seine Ehefrau gehofft hätten, "dass Gott ihr hilft". Er habe am Sonntag (die 13-Jährige starb am darauffolgenden Dienstag, Anm.) angefangen zu fasten und gebetet. Dass das Mädchen sterben könnte, habe er zwar vermutet, dennoch aber immer weiter gehofft. "Wir glauben auch daran, dass Gott Tote auferwecken kann", sagte der 39-Jährige. Die "Gemeinde Gottes", jene evangelikale Religionsgemeinschaft, der die Familie angehört, charakterisierte der Angeklagte unter anderem als strikt bibeltreu mit konservativen Moralvorstellungen und dem Glauben an Wunderheilungen.

Kind wollte "in den Himmel"

Der 13-Jährigen habe er dennoch angeboten, zum Arzt zu fahren, "aber sie wollte nicht. Sie hat ihr Vertrauen auf Gott gesetzt." Die Erkrankte habe gesagt, "wenn Gott sie nicht heilt, will sie in den Himmel". Den Willen des Mädchens zu respektieren sei in der Nachbetrachtung jedoch falsch gewesen, das sei ihm nun "mehr klar". Über Tage hinweg zuschauen, wie das eigene Kind stirbt, könne man nur, wenn einem Gott helfe. Wieder so lange nicht handeln würde er jedoch nicht: "Ich habe eine Verpflichtung gegenüber den Kindern."

Generell würden er und seine Frau lieber auf Gott als auf die Medizin setzen, denn: "Gott heilt jede Krankheit." Die meisten Ärzte seien ungläubig und daher keine Diener Gottes. Ins Spital zu gehen sei ein Zeichen eines schwachen Glaubens. Er selbst sei "nur einmal im Krankenhaus" gewesen. In diesem Fall habe ihn Gott nicht heilen können, antwortete der Beschuldigte auf eine entsprechende Frage der vorsitzenden Richterin.

Enttäuscht von Gott

Die Mutter erklärte, aus jetziger Sicht "würde ich einen Arzt anrufen". In den Stunden vor dem Tod habe die 13-Jährige kaum sprechen können. Anstatt einen Notruf abzusetzen, habe sie mit ihrer Tochter gesprochen, sie gestreichelt und intensiv gebetet. "Ich habe erwartet, dass Gott sie gesund macht. Er hat uns immer geholfen – es gab keine Ursache, wieso er nicht helfen sollte." Nun, nach dem Tod der Tochter, sei sie zum Teil enttäuscht von Gott: "Keine Mama möchte doch, dass ihr Kind stirbt", sagte die Deutsche unter Tränen.

Wolfgang Denk, der gerichtsmedizinische Sachverständige, ortete einen "dramatischen Verfall" der 13-Jährigen in ihren letzten Lebenstagen. Bei einer Größe von 1,60 Metern habe das Kind nur noch 30 Kilogramm gewogen, "jegliche Fettschicht" habe gefehlt. Gestorben ist das Mädchen dem Gutachter zufolge an einer auf einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung aufbauenden Zuckerstoffwechselentgleisung.

Der Mediziner hielt fest, dass die 13-Jährige – auch als sie sich bereits im diabetischen Koma befand – mit einer Infusionstherapie und mit Insulin hätte gerettet werden können. Beide Maßnahmen seien "nichts Dramatisches". Völlig geheilt werden können hätte die chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung nicht, "aber sie ist sehr gut behandelbar. Kinder können damit gut überleben", befand der Arzt.

"Niemand wirft den Angeklagten vor, dass sie böse Menschen oder schlechte Eltern sind", betonte die Staatsanwältin in ihrem Schlussvortrag. Der Vorwurf sei vielmehr, dass die Angeklagten nichts gegen die chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung getan haben. Ein 13-jähriges Mädchen sei deshalb einen "vollkommen unnötigen Tod gestorben", der etwa durch eine Insulinspritze oder einen Anruf hätte verhindert werden können.

Verteidiger Rudolf Mayer hielt fest, dass die Beschuldigten beim Ableben der 13-Jährigen nicht nur am Bett gesessen seien, sondern "im festen Vertrauen darauf, dass Gott eingreifen wird", gefastet und gebetet hätten. "Es ist nicht absurd, an Wunder und Wunderheilungen zu glauben", sagte der Jurist – "sonst wäre unter anderem auch die katholische Kirche absurd". (red, APA, 12.2.2020)