600 Millionen Euro fließen allein in Österreich in die 24-Stunden-Betreuung. Innerhalb der Branche aber herrschen Missstände, unter denen sowohl Betreuerinnen als auch Betreute leiden.

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Die Welt der 24-Stunden-Betreuung ist eine kleine Welt. Auch wenn sich darin rund 60.000 Betreuerinnen und eine Hundertschaft an Vermittlungsagenturen bewegen, stoßen jene, die nach Missständen fragen, immer wieder auf dieselben Namen. Einer dieser Namen ist jener von R., dessen Vermittlungsagentur in Österreich und der Slowakei sitzt. Und der über Jahre ein geschicktes und lukratives System aufgebaut hat, in dem vor allem er profitiert.

Schon vor zwei Jahren musste R. 19 Klauseln, die sich in seinen Verträgen fanden, unterlassen. Da ging es etwa um 3.000 Euro Strafe, die eine Betreuerin zahlen musste, wenn sie die Verschwiegenheitspflicht verletzt. Oder um 10.000 Euro Strafe, die eine pflegebedürftige Person zahlen musste, wenn sie eine Betreuerin abwirbt oder von Bekannten abwerben lässt – selbst wenn diese schon seit drei Jahren nicht mehr bei ihm arbeitet. Nach einer Verhandlung mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) darf er diese und sinngleiche Bestimmungen nicht mehr verwenden.

Unregelmäßige Zahlungen und Inkassoverträge

Ganz rund läuft es jedoch noch nicht. Frauen, die für R. arbeiten, sprechen davon, dass sie nicht zur Gänze oder unregelmäßig bezahlt würden. Sie schicken Bilder von Strafmahnungen, die sie von R. bekommen haben, voller Verzweiflung, weil sie so viel Geld nicht haben, und legen Verträge und Rechnungen vor, deren Inhalt sie stutzig macht. Etwa wegen hoher Servicepauschalen und Fahrtkostenabzüge, aber auch, weil R. den Betreuerinnen ihre Zahlungsvorgänge abnimmt: Dank einer Inkassovollmacht geht der Bruttolohn direkt an ihn, er überweist den Rest an die Betreuerinnen weiter. Oder lässt sie von den Fahrern bar übergeben, wie manche Betreuerinnen erzählen.

Inkassovollmachten werden in der Betreuungsbranche aus zwei Richtungen betrachtet: Sie nehmen den Frauen, von denen die meisten nicht fließend Deutsch sprechen, Aufwand ab, argumentieren die einen. Sie machen eine selbstständige Personenbetreuerin – und das ist jede von ihnen, zumindest auf dem Gewerbeschein – abhängig, argumentieren die anderen. Vom VKI heißt es dazu etwa, eine Betreuerin gebe "dadurch die Kontrolle aus der Hand", auch wenn das legal sei.

Hohe Strafzahlungen

Problematischer jedoch sieht der VKI die Strafzahlungen, die sich in vielen Verträgen R.s finden. Da ist etwa eine Strafe von 890 Euro vorgesehen, wenn die zu pflegende Person innerhalb der ersten drei Monate kündigen will. Dass die Agentur und ihre Leistung überflüssig werden, soll eine andere Klausel verhindern: Arbeiten Familie und Betreuerin eineinhalb Jahre nach Vertragsende erneut zusammen, können bis zu 8.000 Euro Strafe anfallen.

Klauseln wie diese finden sich immer wieder in Verträgen von Betreuerinnen, nicht nur bei R. In der Branche gedeihen auch deshalb Missstände, weil sie unter prekären Bedingungen tätig ist: Ein Pflegenotstand steht auf der einen, die Suche nach Wohlstand auf der anderen, der osteuropäischen Seite. Die 24-Stunden-Betreuung ist ein Geschäftsmodell, das sich in enormem Tempo über Sprach- und Ländergrenzen hinweg entwickelt hat, was eine rechtliche Regulierung erschwert.

Doch R. sticht heraus. Wolfgang Schmitt ist Jurist und beim VKI mit der Causa R. betraut: "Es gibt andere Agenturen, die nicht zu 100 Prozent rechtskonforme Klauseln verwenden", sagt er, "aber R. fällt ungut auf" – einerseits, wenn es um den Umgang mit Betreuerinnen und zu betreuenden Personen gehe, andererseits mit Vertragsbrüchen. In Beschwerden von den Kunden R.s an den VKI ist etwa die Rede davon, dass Betreuerinnen nicht ausgebildet, unwillig oder gar bösartig seien, dass kein Kundendienst erreichbar sei und auch den Familien hohe Extrakosten berechnet worden seien. Der VKI betont, dass es sich dabei um Vorwürfe handelt, die man nicht überprüfen konnte.

Klauseln künftig verboten

Doch zumindest einige Praktiken sind R. künftig verboten. In einem Teilvergleich mit dem VKI wurde kürzlich erreicht, dass drei weitere Klauseln nicht mehr verwendet werden dürfen, darunter die Kündigungsklausel und ein Passus, in dem es heißt, eine Betreuerin dürfe, wenn die Familie den Vertrag kündigt, bis zum nächsten Abholtermin im Haus bleiben und haushalterische Tätigkeiten verrichten. Zwei Klauseln sollen noch verglichen werden, sagt Schmitt, geschehe das nicht, müsse ein Richter entscheiden. Etwa jene, die die Strafe von bis zu 8.000 Euro ermöglicht, wenn eine Betreuerin ohne Agentur mit der Familie arbeitet – auch eineinhalb Jahre nachdem die Zusammenarbeit über R. beendet wurde.

Ein Brief, datiert mit Jänner, der dem STANDARD vorliegt, fordert genau so eine Strafe ein. 6.000 Euro soll eine Betreuerin zahlen, weil sie ohne R. als Mittler weiterhin bei einer Familie arbeitete – Familie und Betreuerin hätten das gemeinsam beschlossen, sagt die Betreuerin. Und dass sie nicht zahlen wird: "Er hat mir schon genug Geld gestohlen."

DER STANDARD konfrontierte R. mit sämtlichen erhobenen Vorwürfen. Er ließ über seinen Anwalt ausrichten, dass diese nicht der Wahrheit entsprächen, daher wolle er keine inhaltliche Stellungnahme dazu abgeben. (Gabriele Scherndl, 16.2.2020)